Eine Plattform für Scharlatane
Spirituelle und übersinnliche Themen stossen bei einer breiten Öffentlichkeit meist auf ein grosses Interesse. Handaufleger, Geistheiler, Hellseher, Medien, die Kontakt ins Jenseits herzustellen vorgeben, versprechen Quoten. Esoterische und spirituelle Wunder elektrisieren viele Leser und Zuschauer. Das Unerklärliche, die sanften Heilmethoden, die Vermittlung universeller göttlicher Energien durch Spiritisten und Heiler versprechen den Medienkonsumenten (vermeintlich), einen Blick in die „andere Realität“ zu vermitteln. Das ist exotisch und spektakulär. Ob es auch plausibel ist, fragen die Journalisten selten. Und es kümmert sie meist schon gar nicht, ob sie Obskuranten und Scharlatanen eine Plattform bieten und dem Aberglauben Vorschub leisten.
Nennen wir ein paar Beispiele aus der Schweiz. Unvergessen sind die Auftritte von Uriella bei Frank Baumann in der Sendung „Ventil“ des Schweizer Fernsehens (SRF), bei Viktor Giacobbo in der Sendung „Spätprogramm“ (SRF) und Roger Schawinski in seiner Talkshow auf Tele Zürich. Das „Sprachrohr Gottes“ sorgte regelmässig für Spitzenplätze in der Hitliste der Einschaltquoten. Kein Wunder, war sie regelmässig Gast selbst bei renommierten Talkmastern. Wobei man diesen Komikern und Moderatoren zugute halten muss, dass sie mit ihrer satirischen Note eine gewisse Distanz schafften.
Wenig Distanz
Die meisten Journalisten lassen diese Distanz aber vermissen und vergessen die journalistischen Prinzipien, alles zu hinterfragen oder auch Gegenpositionen darzustellen. Auch beim Schweizer Fernsehen, dem Staatssender. Immer wieder werden Geistheiler und Hellseher porträtiert, ohne kritische Gegenstimmen einzuholen. Ruedi Matter, Generaldirektor des Schweizer Radio und Fernsehen, rechtfertigte sich in einem Interview so: „Es gibt viele Menschen, die an übersinnliche Phänomene glauben.“ Als ob das rechtfertigen würde, journalistische Prinzipien zu missachten.
So war beispielsweise der unkritische Dokumentationsbeitrag über den Handaufleger Walter Wiedmer die meistbeachtete DOK-Sendung des Jahres. Das beobachten auch Medienschaffende, die wenig mit Obskurantismus am Hut haben. Denn auch sie sind gezwungen, erfolgreiche Beiträge zu liefern. Deshalb ist die Versuchung gross, den Publikumsgeschmack mit fragwürdigen Beiträgen zu bedienen und die Chefs zu befriedigen.
Selbstverständlich dürfen Medien übersinnliche Themen transportieren. Journalisten sollen die Welt abbilden, wie sie sie erleben. Allerdings sollten sie gerade bei sensiblen Beiträgen die journalistische Sorgfaltspflicht beachten. Das passiert aber immer seltener. Zwei Beispiele: Karin Frei hat vor einiger in der Sendung „Club“ mit Vertretern der esoterischen und übersinnlichen Gilde diskutiert und bewusst keine Kritiker eingeladen. Es wurde ein einziger Werbespot für die Esoterik und Alternativmedizin. Frei verpasste es auch, kritische Fragen zu stellen. Die Selbstdarstellung verkam zur gegenseitigen Beweihräucherung.
Quoten bolzen
Bald darauf strahlte das Schweizer Fernsehen in der Reihe „Reporter“ eine Reportage über die Geisterschule von André H. Corell aus. Die Kursteilnehmer lernten, Poltergeister aufzuspüren und aus dem Haus zu vertreiben. Am Schluss bekamen sie ein Diplom. Eine kritische Stimme gab’s nicht im langen Beitrag. Reporter Hanspeter Bäni sagte, er habe mit dem ironischen Kommentar Distanz geschaffen. Von Ironie war aber herzlich wenig zu spüren.
Es ist halt nicht sexy, das knackige Thema durch Spielverderber entzaubern zu lassen. Wenn über 45 Minuten ein wohliges metaphysisches Gruseln erzeugt wird, tut es den Produzenten weh, wenn ein Kritiker mit guten Argumenten sagt, dass alles fauler Zauber sei. Dann fällt die Sendung unter Umständen am Schluss in sich zusammen. Deshalb ziehen es Journalisten oft vor, keine kritischen Fragen zu stellen und keine Gegenstimmen einzuholen. Damit verletzen sie die journalistische Sorgfaltspflicht und leisten einen Beitrag zur Volksverdummung. Nur, weil sie ihr Steckenpferd reiten oder Quoten bolzen wollen.