Es ist Zeit für den großen Wurf
Der Rundfunk in Deutschland, so das Bundesverfassungsgericht, hat „keine Freiheit an sich“, sondern eine „dienende Freiheit“. Er soll der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung und damit der Demokratie „dienen“.[1]
Wenn die Medienpolitik die dienende Freiheit der Medien und insbesondere des Rundfunks zur Sicherung freier individueller und öffentlicher Meinungs- und Willensbildung stärken und sichern will und soll, dann nicht allein mit Blick auf die privatrechtlich, öffentlich-rechtlich oder anders organisierten Akteure, sondern mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Kommunikation. Es ist klar, dass dies heute unter anderen Bedingungen als vor 22 Jahren – dem Bezugsdatum des zwischenzeitlich mehrfach abgeänderten Rundfunkstaatsvertrags – erfolgt. Das Internet steckte damals noch in den Kinderschuhen, mobilen Empfang und mobile Kommunikation gab es nur über Handys, deren Ausmaße und Gewicht eine Nutzung faktisch nur im Auto ermöglichten. Soziale Netzwerke und Communities gab es nur real vermittelt.
Demokratie ist ohne gesellschaftliche Kommunikation nicht möglich, Meinungs- und Willensbildung bedarf des kommunikativen Austauschs. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder darauf verwiesen, dass es eine zentrale Aufgabe der Medienpolitik sowie der sich daraus ergebenden Gesetzgebung ist, vorherrschende Meinungsmacht zu verhindern.
Kommunikationsräume und ihre Funktionalität
Wer das Informations- und Kommunikationsverhalten der Menschen untersucht, wird sehr schnell feststellen, dass dieses im politischen Bereich auch durch lokale und regionale Interessen bestimmt wird. Man kann somit Kommunikationsräume finden, die in ihrer Größe auch den unterschiedlichen politischen Ebenen entsprechen:
Kommunen, Landkreise/Kulturräume, Bundesländer, Deutschland und Europa.
Doch gibt es auf den jeweiligen (Demokratie-)Ebenen tatsächlich ein Medienangebot, das „sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen … in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck“ findet, wie es das Bundesverfassungsgericht 2007 gefordert hat?[2] Ist zudem gewährleistet, „dass die in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet werden“?[3]
Der kommunale Kommunikationsraum
Hier dominieren in der Regel und zunehmend Ein-Zeitungs-Kreise, bei denen eine Zeitung die lokale und regionale Berichterstattung anbietet. Die meisten privaten Lokalfernsehanbieter sind zwar als zusätzlicher Informationsanbieter und Meinungsbildner angelegt, de facto aber keine Alternative, da sie finanziell ums Überleben kämpfen und dem entsprechend ihre journalistischen Ansprüche anpassen. Lokaler privater Rundfunk ist außerhalb der Sonderkonstruktion in Nordrhein-Westfalen maßgeblich nur in großen Ballungsräumen und Stadtstaaten im Sinne eines publizistischen Beitrags zur Meinungsbildung von Bedeutung. Überwiegend bestehen landesweite Programme, die teilweise zur Subregionalisierung, aber eben nicht auf lokaler Ebene, verpflichtet sind. Nichtkommerzieller Rundfunk existiert nur im Ausnahmefall. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wiederum macht hier – mit Ausnahme der Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg – keine umfassenden „lokalen“ Angebote und soll dies teilweise auch gar nicht. Lokale Blogs und „Internetzeitungen“ stoßen in diese Lücke. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist eine flächendeckende lokale Berichterstattung in seinen Telemedien untersagt.
Kommunikation in Landkreisen und Kulturräumen
Auf der regionalen Ebene, der Ebene der Landkreise und Kulturräume ändert sich das Bild kaum. Zwar gibt es mittlerweile auch hyperlokale Blogs. Doch diese beruhen auf Einzelinitiative und sie existieren nicht flächendeckend. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auf regionaler Ebene stärker präsent: Nachrichtenfenster in Radioprogrammen bedienen einzelne Regionen, die Online-Berichterstattung ist reichhaltiger. Im Fernsehen ist eine subregionalisierte Angebotsstruktur eher in solchen Regionen zu finden, in denen eine Landesrundfunkanstalt für ein einziges Land zuständig ist und dieses dann in Subregionen aufsplittet – die „Lokalzeit“ des WDR ist dafür ein Beispiel – auch wenn der Name auf eine falsche Spur lockt, denn es handelt sich weitgehend um Regionalinformationen. Zeitungsangebote für Landkreise oder kleine Kulturräume sind spärlich gesät. Für Privatfunk in Hörfunk und Fernsehen gilt grundsätzlich die gleiche Analyse wie im lokalen Raum.
Bemerkenswert sind dabei Meldungen wie kürzlich aus Südwestsachsen, wo ein Landratsamt dem lokal-regionalen privaten Fernsehanbieter 20.000 Euro zahlte, um dort im redaktionellen Teil Nachrichten aus der Behörde aufbereiten lassen. Eine Kritik an solch halbstaatlicher Nachrichtengebung blieb in der betroffenen Region ebenso wie eine Art Schuldbewusstsein weitgehend aus – der Deutsche Journalistenverband in Sachsen hat die Angelegenheit inzwischen angeprangert, die Landesmedienanstalt wird den Fall prüfen müssen.
Die Länder als Kommunikationsräume
Auf Landesebene gibt es zumeist mehrere Tageszeitungen. Doch diese haben die Verbreitungsgebiete häufig zwischen sich aufgeteilt. Eine Konkurrenz untereinander gibt es nicht überall. Man kann natürlich auf die Dritten Fernsehprogramme der ARD mit ihren Landesmagazinen verweisen sowie auf die jeweiligen Hörfunkwellen. Dort findet Kommunikation statt, über deren Qualität als Beitrag zur Meinungsbildung man jedoch geteilter Auffassung sein kann: Die einschaltrelevanten Angebote bieten zumeist nur ein Abbild politischer Entscheidungen und Meinungen, gehen mitunter kaum in die Tiefe, dienen damit mehr der Bestätigung vorhandener Auffassungen bzw. der Stimmungswiedergabe, als dass sie die politische Meinungs- und Willensbildung auf kompetenter Grundlage befördern.
Dies gilt im Grundsatz auch für viele der privaten Hörfunkangebote. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die einzelnen Medienanbieter immer nur einen Teil der Bevölkerung erreichen und dass sich vor allem die jüngere Generation den etablierten Medien entzieht. Die Internetangebote von öffentlich-rechtlichen wie auch privaten Anbietern bieten hier die Chance, Entwicklungen vertieft zu betrachten, aktuelle Geschehnisse aufzugreifen und engagierte Diskussionen mit den Nutzern zu führen. Hier spielt sich eine interessante Entwicklung ab, deren Chancen oft aber noch kaum oder gar nicht erkannt werden.
Kommunikation auf Bundesebene
Die größte Vielzahl an Angeboten ist sicherlich auf Bundesebene zu erkennen. Hier hat man eine große Auswahl – Funk, Fernsehen, Online. Tageszeitungen, Magazine, Zeitschriften. Kritisch zu betrachten ist dabei aber die gegenseitige Orientierung an Aufmachern, Tagesthemen und Kommentierungsrichtungen. Originäre Themen und Betrachtungsweisen sind zwar vorhanden, aber dem Druck des Mainstreams und des Tagesgesprächs können sich Redaktionen offenbar nur selten entziehen. Es wird weniger entschieden, was im Sinne der Relevanz wichtig und berichtenswert ist, sondern häufig eher danach, was die Konkurrenz als wichtig erachtet. Hier haben insbesondere die verbliebenen Nachrichtenagenturen eine extrem wichtige Rolle in der Nachrichtengebung.
Europa
Der Blick nach Europa soll hier kurz gehalten werden: Diese Ebene wird eher auf der nationalen und regionalen Kommunikationsschiene mit eingebunden (Europamagazine, Einfluss von EU-Entscheidungen in der Heimat). Eigene europäische Medien wie das Debattenmagazin „The European“ sind selten bzw. (noch) nicht von Erfolg gekrönt oder stehen – Stichwort Euronews – in einem für deutsche Verhältnisse schwierigen Teilabhängigkeitsverhältnis von der EU selbst. Der Wunsch von Bundespräsident Joachim Gauck nach einer „europäischen Agora“, einem Medienangebot für alle auf dieser Ebene, weist auf das Defizit hin.
Neue Kommunikationsräume
Daneben sind auch neue Kommunikationsräume entstanden, die zum Teil weit über die politischen Ebenen hinausgehen. Vor allem bei den Anbietern sozialer Netzwerke ist festzustellen, dass sie die Nutzer möglichst auf Dauer an sich binden wollen, jegliche Information und Kommunikation über ihre Plattform abwickeln wollen. Allerdings ist es nicht ihr Ziel, „die Vielfalt der bestehenden Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit“ darzustellen.
Vielfalt und ihre Sicherung als Grundfrage begreifen
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass „Vielfalt“ im medienrechtlichen Sinne nicht nur und auch nicht in erster Linie ein quantitativer Aspekt ist. Die Tatsache, dass es eine Vielzahl an Angeboten gibt, reicht nicht aus, von Vielfalt zu sprechen.[4] Zwar erweitert eine Vielzahl neuer Anbieter erweitert das Angebot und bietet Alternativen. Doch es gibt weiterhin Anbieter mit großer Massenrelevanz. Diese kann man nicht einfach von allen Anforderungen frei sprechen, nur weil die Nutzer eine große Auswahl haben.
Die Sicherung medialer Vielfalt ist eine zentrale Voraussetzung für eine lebendige Demokratie. Denn nur sie versetzt die mündigen Bürgerinnen und Bürger in die Lage, sich umfassend zu informieren, um in der Folge kompetent eine Entscheidung treffen zu können. Zu Recht wird angemerkt: „Deshalb ist dem Postulat der Vielfaltssicherung nur dann Rechnung getragen, wenn die Tiefe und Qualität der Informationen und Hintergründe von Meinungsverschiedenheiten in einer Weise aufgearbeitet werden, die ihrer Komplexität gerecht wird. Je schwieriger, komplexer also eine Frage ist, umso notwendiger ist die inhaltliche Aufbereitung – und zwar – in der Vielfalt der in der Gesellschaft bestehenden Wertungen, Erfahrungen etc.“[5]
Wer mithin Medienpolitik von der Demokratie her denkt, muss sich als allererstes und stets übergeordnet fragen, wie die Vielfalt der Medienlandschaft auf lokaler, regionaler, Landes-, Bundes- als auch europäischer Ebene aussehen muss, um die Meinungs- und Willensbildung zu befördern. Diese grundlegende Frage droht aber in den Hintergrund zu treten, weil aktuell einzelne damit verbundene Themenkomplexe singulär mehr Interesse hervorrufen.
Welche Agenda hat die Medienpolitik?
Zunächst einmal wächst das Konkurrenzverhältnis in der Mediengesetzgebung zwischen Europa, Bund und Ländern. Dies umso mehr und stärker, da es immer mehr Bereiche gibt, bei denen Bund und Länder mit ihrer gesetzlichen Zuständigkeit in Konflikt miteinander geraten.
Die Medienfreiheit ist in Artikel 5 Grundgesetz geregelt. Sie ist ein Grundrecht, das durch die Bundesländer ausgestaltet wird. Allerdings ist festzustellen, dass Entscheidungen in Bereichen, für die der Bund gesetzgeberisch tätig ist, Auswirkungen auf dieses Grundrecht haben.
Dies zeigt sich in der Debatte um die Digitale Dividende II, bei der der Rundfunk weitere Frequenzen an den Mobilfunk abgeben soll. Dies geht auch aus den Entscheidungen des Bundeskartellamts hervor, aus denen folgt, dass es nur schwer möglich ist, eine international konkurrenzfähige deutsche Videoplattform aufzubauen. Es offenbarte sich im Streit um die Filmförderung, wobei das Bundesverfassungsgericht eindeutig urteilte, dass neben den Ländern auch der Bund den Film fördern darf, da der Film sowohl Kultur- als auch Wirtschaftsgut ist.[6]
Es gibt weitere wichtige Fragen, die für den Rundfunk mittlerweile relevant sind und die der Bund regelt, wie zum Beispiel den Datenschutz, die Netzneutralität, das Urheberrecht sowie die Arbeit der Verwertungsgesellschaften.[7] Um die Vielfaltssicherung über den Rundfunk heutzutage mit abzusichern, reichen Reglungen zum Programm sowie zu den Übertragungsfrequenzen eben nicht mehr aus.
Zahlreiche Baustellen
Zusätzlich steht die „klassische“ Rundfunkpolitik der Länder vor einer Reihe von Baustellen:
- KEF-Empfehlung zur Senkung des Rundfunkbeitrags für 2015/16
- Gesamtangebot an Programmen und (Sparten)Kanälen[8], inklusive des crossmedialen Jugendangebots
- Evaluierung „System Rundfunkbeitrag“,
- zeitgemäßer Telemedienauftrag
- Werbung und Sponsoring
- Transparenz der Rundfunkanstalten
- ZDF-Gremienurteil und seine Folgen
- angemessene Vergütungsregelungen und faire Aufteilung der Rechte
- Rückkopplung der Gesellschaft in die Sender durch einen „Medienombudsmann“
- Zukunft der Förderung von Regional- und Lokal-TV sowie Radio
- Anreizsystem zur Förderung der Vielfalt im Lokal- und Privatfunk
- Jugendmedienschutz
- Konzentrationskontrolle
- Förderung des nichtkommerziellen Rundfunks sowie von Community Media im Sinne der Medienvielfalt
- Förderung von Internetangeboten, die zur öffentlichen Meinungs- und Willensbildung beitragen
Eine Kurzanalyse allein dieser Punkte zeigt, dass eine Reihe von Weichenstellungen ansteht.
Die Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages wird seit 2010 Jahr um Jahr verschoben.[9] Hier blockieren vor allem die Länder, welche die Piratenpartei in ihrem Landesparlament haben. Auch die vor zwei Jahren diskutierten Fragen zu den Konzentrationsgrenzen, also zur Begrenzung der Meinungsmacht, liegen auf Eis wie auch die Fragen zur Förderung des Lokalfunks.
Besonders groß erscheint der Reformbedarf beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit Spannung wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zusammensetzung der ZDF-Gremien erwartet. Daneben steht die Frage der Transparenz mit an erster Stelle. Erste zaghafte Schritte waren zu erkennen. Doch die Anstalten agieren nicht einheitlich. Jede legt unterschiedlich viel offen.[10] Manche Daten sind nicht miteinander vergleichbar. Wer von allen den Rundfunkbeitrag einnimmt, ist der Öffentlichkeit auch Rechenschaft pflichtig – auf Euro und Cent. Doch damit wird nur offenbar, was ist. Wichtiger noch ist die Frage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig aufgestellt ist und wie er seine Sonderstellung begründet.
Die Politik muss sich einigen, wie viele „Kanäle“ sie ARD und ZDF zugestehen will und ob die Angebote werbe- und sponsoringfrei sein sollen. Allein diese beiden Fragen sind nicht von heute auf morgen zu entscheiden, wie der monatelange Vorlauf in der Rundfunkkommission zum Digital- und Spartenangebot von ARD und ZDF sowie die intensive Prüfung der KEF eines Wegfalls von Werbung und Sponsoring und dessen potenzielle Auswirkungen beweisen.
Minus 73 Cent
Die KEF hat aktuell auch ihre Beitragsempfehlung abgeben: Minus 73 Cent auf 17,25 Euro – allerdings zunächst „nur“ für die Jahre 2015 und 2016. Ein Großteil der Medienpolitik ist damit nicht ganz glücklich: Einerseits ist die Umstellung von gerätebezogener Gebühr hin zum Rundfunkbeitrag grundsätzlich und ohne Nachschussbedarf gelungen. Anderseits ist die Evaluierung des Rundfunkbeitragssystems, welche die Länder selbst angeschoben haben, noch gar nicht abschließend erfolgt. Der Rundfunkbeitrag ist in seinen Auswirkungen zu evaluieren, etwaige Ungerechtigkeiten bzw. „Unwuchten“ sollen abgebaut werden, so das Versprechen der Politik.
Die öffentlich-rechtlichen Anbieter brauchen einen zeitgemäßen Telemedienauftrag. Dabei geht es weniger um die 7-Tage-Regelung, deren gesetzliche Abänderung eher Kosmetik wäre. Die von den Rundfunkräten genehmigten aktuellen Telemedienkonzepte sehen teilweise viel weiterreichende Verweildauern vor. Vielmehr geht es um die Einsicht, dass eine Online- Beschränkung bei Sport-Großereignissen auf 24 Stunden an der Realität ebenso vorbeigeht wie ein Bezug zu linearen Sendungen oder Kunstbegriffe wie die Presseähnlichkeit. In diesem Zusammenhang haben sich auch die Verlage zuletzt sehr zurückgenommen.
Bei der Rechteaufteilung für die Online-Mediatheken ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele Auftragsproduktionen nicht mehr zu 100 Prozent finanziert werden. Die Produzenten müssen sich aufgrund der Verhandlungsmacht der Sender mit einer Teilvergütung begnügen, erhalten dafür jedoch im Gegenzug einige Rechte zu Nachverwertung auf DVD bzw. in Mediatheken. Im Falle längerer Verweildauern würden diese „entwertet“, sofern sie nicht mitvergütet werden. Welche Mediatheken abseits von ARD und ZDF für eine Eigenvermarktung in Frage kämen und inwiefern einzelne Produzenten dabei überhaupt berücksichtigt würden, bleibt weitgehend hypothetisch: Ansätze zu Vermarktungsplattformen wie „Germany’s Gold“ oder ähnliche Vorhaben der Privaten sind bislang an kartellrechtlichen Bedenken gescheitert. Derweil kündigt das US-Unternehmen Netflix an, demnächst nach Europa zu expandieren.
Festzustellen ist auch, dass ARD und ZDF bis heute die Protokollnotiz zum 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag nicht vollständig und zum Teil nur protokollarisch und nicht in der Praxis umgesetzt haben, in der es heißt, dass „dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Bereich Film- und Fernsehproduktionen Unternehmen sowie Urhebern und Leistungsschutzberechtigten ausgewogene Vertragsbedingungen und eine faire Aufteilung der Verwertungsrechte gewähren soll.“ Die „Terms of trade“ der großen Systeme mit der Produzentenallianz sind ein erster Schritt, allerdings werden sie gerade von kleineren Produzenten nicht mitgetragen.[11]
Vielfalt im Medienbereich
Schließlich ist dies ein wesentlicher Ansatz, um für Vielfalt im Medienbereich zu sorgen. Vielfalt setzt hier nicht nur eine Vielzahl der Angebote, sondern auch eine Vielfalt der Anbieter voraus. Da die Sender vieles nicht mehr selbst produzieren, sondern an Produzenten vergeben, braucht die Vielfalt als eine wichtige Voraussetzung Rahmenbedingungen, welche die Existenz und Entwicklung einer breiten und vielfältigen Produzentenlandschaft ermöglichen.
Dass man die Sender entsprechend beauftragen kann, die Vielfalt der Produzentenlandschaft im ureigenen Senderinteresse zu berücksichtigen, lässt sich daraus ableiten, dass der „klassische Funktionsauftrag neben der Rolle für die Meinungs- und Willensbildung auch seine kulturelle Verantwortung umfasst.“ Somit kann von den öffentlich-rechtlichen Sendern gefordert werden, dass sie neben betriebswirtschaftlichen und programmlichen Kriterien auch jene Gesichtspunkte berücksichtigen, die den Erhalt und die weitere Entwicklung einer vielfältigen, unabhängigen Produzentenstruktur berücksichtigen. Dies kann unter anderem dadurch geschehen, dass den Produzenten ihre Rechte weitgehend belassen werden und eine Übertragung der Rechte nur soweit erfolgt, wie dies zur konkreten Erfüllung des Programmauftrags erforderlich ist.
Zudem könnte vorgegeben werden, dass bei der Auftragsvergabe öffentlich-rechtlicher wie auch privater Anbietern ein Mindestanteil der Aufträge an senderunabhängige Produzenten zu vergeben ist. Dies heißt jedoch nicht, dass es eine Auftragsgarantie für einzelne Unternehmen gibt. Sie müssen vielmehr die qualitativen Anforderungen zur Erfüllung des Programmauftrags mit ihren Produktionen erfüllen.
Weniger Sport?
Zu überlegen ist auch, die Sender aufzufordern, in einer Selbstverpflichtung für bestimmte Genres Mindestsendeanteile in den Hauptprogrammen festzulegen. Schließlich gehören beispielsweise der lange Dokumentarfilm wie auch der Animations- und Kurzfilm zur Vielfalt des Rundfunks. Da zudem in den Sendern immer wieder über gleichbleibende bzw. sinkende Etats geklagt wird, könnten diese sich auch verpflichten, die Ausgaben für Sportübertragungen und Sportrechte, die im Durchschnitt bei weit über 20 Prozent der Gesamtausgaben des ERSTEN bzw. ZWEITEN liegen, auf einen geringeren Anteil zu beschränken. Die Sender hätten so mehr Mittel für die anderen Angebote zur Verfügung – ohne dass die Beiträge erhöht werden müssen.
Immer wieder wird festgestellt, dass die Sender nur selten auf fundierte und substantiierte Kritik reagieren. Das Mittel der Programmbeschwerde ist nicht in jedem Fall für Rückkoppelungen geeignet. Zudem ist die Art und Weise der Bearbeitung, bis eine Beschwerde einen Rundfunkrat erreicht, zwar rechtlich festgelegt, aber nicht für jedermann auf einen Blick nachzuvollziehen. Nicht zuletzt gibt es einen Teil von Fragen und Problemen, die nicht Gegenstand einer Programmbeschwerde sein können. Mitteilungen an die Zuschauer- und Hörerredaktionen wie auch Programmbeschwerden scheinen nur selten eine Wirkung zu haben.
Ein Medienombudsmann
Sie sollten um Instrumente ergänzt werden, die eine Rückkopplung in die Gesellschaft ermöglichen, auf welche die Sender und deren Gremien reagieren müssen. Wie eine öffentliche Debatte befördert werden kann, zeigen die Diskussionen um die Berichte der Datenschützer bzw. Rechnungshöfe. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss die Möglichkeit haben, sich an eine entsprechende „Institution“ („Medienombudsmann“) zu wenden, die sich sowohl im Medienbereich als auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern auskennt. Diese kann aufgrund von Nachfragen von Bürgerinnen und Bürger, aber auch aus eigener Initiative heraus die Sender zu festgestellten oder angemahnten Problemen um Stellung bitten.
Sowohl die Probleme, die Stellungnahme der Sender wie auch die Positionierung des „Medienombudsmanns“ sind mindestens einmal jährlich zu veröffentlichen. Die Programmaufsichtsgremien (Rundfunkräte, Fernsehrat, Hörfunkrat) müssen dann zu jedem einzelnen Punkt Stellung nehmen. Die Stellungnahme ist zu veröffentlichen. Dass dieser „Medienombudsmann“ keinen Riesenapparat hinter sich haben muss, um qualifiziert agieren zu können, zeigt die KEK , die mit geringem Personalbestand im Gremium sowie in der Geschäftsstelle, viele qualifizierte Entscheidungen getroffen hat.
Erst denken, dann senken
All dies – die Zahl der Programme, ein zeitgemäßer Telemedienauftrag, die Evaluierung des Rundfunkbeitragssystems, neue Regelungen zu Werbung und Sponsoring, die angemessene Vergütung der Produzenten sowie eine faire Aufteilung der Rechte sowie eine angemessene Rückkopplung in die Gesellschaft der Beitragszahler – hat Auswirkung auf den Finanzbedarf und somit auf die Beitragshöhe.
Aus diesem Grunde macht es keinen Sinn, in diesem Jahr aufgrund der Empfehlung der KEF eine Reduzierung des Rundfunkbeitrags anzuschieben und zu beschließen. Schließlich haben einige Ministerpräsidenten schon mitgeteilt, dass sie eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags in den folgenden Jahren ablehnen, um einen Jo-Jo-Effekt zu vermeiden. Es spricht nichts dagegen, den Beitrag in der jetzigen Höhe konstant zu halten, sich substantiell über eine Gesamtreform zu verständigen und dann den neuen Beitrag berechnen zu lassen. Die in dieser Zeit angesammelten Mehreinnahmen können dann auf die Folgejahre angerechnet werden und dazu dienen, den Beitrag länger konstant zu halten.[12]
Wer all diese engeren und weiteren Rundfunkthemen jeweils auflistet und vergleicht und in Beziehung setzt, wird beim Sortieren schnell feststellen: Viele der angesprochenen Punkte hängen miteinander zusammen. Fast jede Entscheidung in einem Einzelfall hat Auswirkungen auf andere Punkte. Es ist offensichtlich: Die Zeit sinnvoller Einzellösungen ist vorbei, es geht um ein Gesamtpaket.
Dabei sollten die Fragen des Kartellrechts, des Datenschutzes, der Filmförderung, der Netzneutralität und der Frequenzzuordnung nicht aus dem Blick verloren werden.
Ein „neues duales System“
Es zeichnet sich ab, dass insbesondere die Datensicherheit zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal von digitalen Angeboten in Zukunft wird. Während das „alte duale System“ durch öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk gekennzeichnet war, könnte das „neue duale System“ durch datensparsame Plattformen und „datenfressende“ Plattformen gekennzeichnet sein. Noch haben ARD, ZDF und Deutschlandradio das Potential und die gesellschaftliche Relevanz, um der Kern der datensparsamen Seite des „neuen dualen Systems“ sein und dem entsprechenden Plattformen zu Durchbruch verhelfen, die sich den Kriterien sowie der Kontrolle der Datenschützer stellen. Wer über Beiträge finanziert ist, braucht personenspezifische Daten nicht weiterzuverkaufen.
Dies alles sind ganz andere Fragen als jene, die zu der Zeit anstanden, in der die Grundlage für den noch heute geltenden Rundfunkstaatsvertrag gelegt wurde. Dieser wurde in 22 Jahren 14mal geändert. Mehrere Staatsvertragsentwürfe – zum Jugendmedienschutz, zum Konzentrationsrecht, zur Beitragshöhe, zur Ausgestaltung des Telemedienauftrags – liegen „auf Halde“ bzw. müssen zeitnah erarbeitet werden.
Ein neues medienpolitisches Gesamtkonzept
All dies macht deutlich: es muss ein neues medienpolitisches Gesamtkonzept entwickelt werden Doch wie kann dies nun gelöst werden? Vorrangig ist: Alle den Rundfunk wie auch die Medien betreffenden Regelungen gehören auf einen Tisch. Es ist zu prüfen, welche Angebote es gibt, die Einfluss auf die öffentliche Meinungs- und Willensbildung haben. Es ist zu entscheiden, wie diese dem Vielfaltsgebot entsprechend reguliert werden sollen. Genauso müssen alle Regelungen, die den Rundfunk und die Medien regulieren, miteinander abgeglichen werden. Die ins Leben gerufene Bund-Länder-Kommission unter Leitung der Hamburger Senatskanzlei ist hier ein erster Schritt.
Welche Optionen bieten sich an?
Angesichts des Reformstaus sollten übergeordnet diese Handlungsoption verfolgt werden:
- Es ist ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das alle mittragen können, weil jeder zumindest einen Teil seiner Positionen wiederfindet.
- Dieses Gesamtkonzept soll bis Anfang 2016 stehen, so dass die entsprechenden gesetzlichen Reglungen mit Beginn der neuen Beitragsperiode (2017 bis 2020) gelten.
- Bis dahin sollten sich die Länder gesetzgeberisch zurückhalten und nur einmalig jene Dinge regulieren, die zeitnah notwendig sind und der Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dienen (zeitgemäßer Telemedienauftrag; Rücknahme von Ungerechtigkeiten im Beitragssystem).
- Dabei könnte der Rundfunkbeitrag bis 2016, gegebenenfalls bis 2020 stabil gehalten werden.
So kann das Gesamtsystem mit Blick auf die eingangs formulierten Ziele verändert, gestärkt und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.
Die Ziele und die Notwendigkeit der Vielfaltssicherung gelten in der digitalen Welt unverändert weiter. Viele Instrumente können übernommen werden. Allerdings gibt es eine notwendige Erweiterung: Die Anforderung zur Sicherung der Vielfalt darf sich nicht mehr nur an die Rundfunkunternehmen richten. Sie muss erweitert werden, und zwar auf alle Unternehmen, die in Medienmärkten agieren und damit zur Meinungsbildung beitragen: Telekommunikationsunternehmen, Plattformbetreiber, Suchmaschinen wie auch soziale Netzwerke.
Die Medienpolitik ist in der Pflicht, ihren Gestaltungsauftrag anzunehmen. Andernfalls wird sie ihn verlieren.