Etsy: Transparenz wird wichtiger
Kati Krause ist Creative Communications Manager bei Etsy Deutschland. Kreative verkaufen über die E-Commerce-Plattform ihre selbstgemachten Produkte, dafür bekommt Etsy eine Provision von 3,5 Prozent. Ein Geschäftsmodell, das aufgeht: Weltweit gibt es über 900 000 aktive Shops, seit vier Jahren ist das 2005 gegründete Unternehmen profitabel, indem es anderen im besten Fall hilft, ihr eigenes Start-up zu gründen. Krause leitete bevor sie bei Etsy einstieg das Deutschlandgeschäft der Webvideoplattform Dailymotion, nachdem sie als Chefredakteurin bei Le Cool Publishing verantwortlich gewesen war für zwei Bücher und das Magazin „Ling“ der spanischen Airline Vueling. Krause schrieb außerdem als freie Journalistin für internationale Medien, unter anderem The Wall Street Journal Europe, Monocle und Zeit Online. Sie kommt ursprünglich aus München und lebt nach Stationen in London und Barcelona seit Ende 2011 in Berlin.
VOCER: Auf Eurer Website steht, Etsys Ziel sei es „den Handel neu zu gestalten“. Wie sieht das genau aus?
Kati Krause: Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt. Kauft man etwas bei Etsy, weiß man, wer das Produkt wie und wo gefertigt hat. Die Ware ist nicht so anonym wie im Supermarkt, denn der Kunde steht mit dem Produzenten im direkten Kontakt und ist unter Umständen sogar in der Herstellung involviert. Ich lasse mir gerade einen Pulli von einer Berliner Designerin stricken, eine Maßanfertigung, weil mir das eigentliche Produkt zu grobmaschig ist.
Als Werte nennt Ihr unter anderem Spaß haben, sich treu bleiben und Nachhaltigkeit. Das klingt großartig, aber wie gut lässt sich das tatsächlich mit wirtschaftlichen Interessen vereinbaren?
Wir sind profitabel und wollen es auch bleiben. Es geht aber nicht um Gewinnmaximierung. Unsere Philosophie: Je besser es unseren Verkäufern geht, desto besser geht es Etsy. Deshalb tun wir alles, um sie zu unterstützen, etwa indem wir ihre Produkte in die Öffentlichkeit bringen.
Wie passt Etsy Wholesale in das bisherige Konzept? Die Großhandelsplattform befindet sich zurzeit in der Betaphase.
Wir bringen dort unsere Verkäufer mit Boutiquen und anderen Einzelhändlern zusammen, die auf die Idee des Individualismus und des Handwerks setzen. Noch sind das vor allem Partner aus den USA. Wir schaffen den Etsy-Kleinunternehmern so einen neuen Vertriebsweg in den stationären Handel. Das stimmt mit unserer Auffassung überein, dass die Shopbetreiber im Fokus stehen. Tatsächlich helfen sich die Community-Mitglieder auch gegenseitig, kritisieren ihre Shops oder tauschen sich über Buchhaltung aus. Auf neue Unternehmer kommt viel zu, von der richtigen Präsentation der Produkte bis zu Steuerregelungen. In unseren Foren ist richtig viel los!
Wie setzt sich die Community zusammen?
Sie besteht geschätzt zu 75 Prozent aus Frauen. Es sind häufig Mütter, die ihren Job aufgegeben und die Muße haben, sich zu überlegen, was sie beruflich wirklich machen möchten. Sie verbinden diese Gedanken mit ihrem kreativen Hobby, starten einen Shop, der sich manchmal zu einem richtigen Geschäft entwickelt. Eine Berlinerin zum Beispiel hat für ihre Tochter eine Puppe gesucht, aber keine gefunden, die ihr gefiel. Also hat sie selbst angefangen, welche herzustellen. Heute muss man bei ihr über ein halbes Jahr auf seine Bestellung warten, so gut läuft es. Und sie bringt anderen in Kursen bei, wie man Puppen bastelt. Einige unserer Verkäufer können also von ihren Produkten und den Projekten leben, die sich daraus ergeben.
Gibt es einen Bereich, in dem das besonders viele schaffen, zum Beispiel Mode?
Nein, das ist ganz unterschiedlich. Schmuck ist generell die größte Kategorie, am schnellsten wächst gerade die Rubrik Möbel.
Chris Anderson, der ehemalige Chefredakteur vom renommierten Technologie-Magazin Wired, schreibt in seinem Buch „Makers“, dass wir alle von Konsumenten zu Herstellern werden. Seine Vision: Mithilfe von 3D-Druckern fertigen wir einfach selbst die Gegenstände, die wir brauchen. Für wie wahrscheinlich hältst Du das?
Ich denke nicht, dass die Entwicklung dahin geht. Natürlich möchten immer mehr Menschen wissen, wie ihr Produkt entsteht, Transparenz wird wichtiger. Ein zentraler Aspekt dabei ist aber, dass man jemand anderen damit beauftragt, es zu fertigen. Jemanden, der das wahnsinnig gut kann und vor dessen Talent und Leistung man Respekt hat. Das ist der Trend, der sich meiner Meinung nach durchsetzen wird.
Etsy besetzt eine Nische, die auch gut zu einem Lifestyle-Magazin passen würde. Versteht Etsy sich selbst eigentlich als Publisher?
Wir geben lieber anderen die Möglichkeit, das zu übernehmen. Mit Etsy Pages haben wir ein neues Tool: Redaktionen und Blogger können Listen mit ihren Lieblingsprodukten aus unserem gesamten Angebot zusammenstellen und diese mithilfe von Widgets auf ihren Webseiten einbinden. Das Interesse mitzumachen ist riesig.
Medienhäusern fehlt es oft selbst an Ideen. Was sind die Gründe dafür?
Das hat viel mit der Unternehmensstruktur zu tun. Medienunternehmen sind in der Regel unterteilt, hierarchisch. Ideen müssen erst über viele Stationen nach ganz oben wandern und werden am Ende nicht selten abgelehnt. Mit den Start-ups wachsen ganz andere Strukturen heran. Ich kann unserem Geschäftsführer jederzeit eine Mail schicken – und weiß, ich bekomme innerhalb weniger Stunden eine Antwort. Besonders in technologischen Start-ups wird viel kommuniziert, da entstehen schnell neue Projekte.
Ist das nicht in Start-ups aus anderen Branchen auch so?
Nicht unbedingt. Menschen aus dem Technologie-Bereich beschäftigen sich sehr mit Unternehmenskultur. Sie lesen viel darüber und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. In Entwicklungsteams gibt es oft die so genannten Stand-ups, bei denen sich die Kollegen morgens gegenseitig in fünf bis zehn Minuten erzählen, was sie gestern gemacht haben und woran sie heute arbeiten werden. Schon weiß jeder Bescheid und kann vielleicht mit einem Tipp weiterhelfen. Was speziell bei Etsy ein entscheidender Faktor ist: die No-Blame-Postmortem-Philosophie. Niemand bekommt die Schuld, wenn etwas schiefgelaufen ist. Das befreit ungemein. Und steigert die Experimentierfreude.