Für mehr „Brückenbauer“ in der Medienpolitik
Mit schöner Regelmäßigkeit wird der Zustand der föderal verantworteten Medienpolitik kritisiert. Jüngstes Beispiel: die medienpolitische Generalabrechnung (PDF) von Lutz Hachmeister und Thomas Vesting in der Funkkorrespondenz (13/2011).
Keine Frage: Es gibt Handlungsbedarf. Aber zunächst gilt es auch zu bilanzieren: Im internationalen Vergleich können sich die Ergebnisse der Medienpolitik in Deutschland sehen lassen. Es waren nicht zuletzt die Medienpolitiker der Länder und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die uns vor Medienrealitäten wie in Berlusconis Italien oder Sarkozys Frankreich bewahrt haben. Von Ungarn, wo ein neues Pressegesetz die Freiheiten der Presse enorm beschneidet, gar nicht zu reden. Das soll nun nicht davon ablenken, dass es Veränderungsbedarf gibt. Historisch gewachsene Strukturen müssen immer wieder überprüft werden. Womöglich zwingen schon bald die Karlsruher Richter zu einer Strukturänderung, wenn sie über die Verfassungsbeschwerde von Rheinland-Pfalz zur Zusammensetzung der ZDF-Gremien bzw. zum ZDF-Staatsvertrag entscheiden.
Auffällig an dieser generellen und mit Blick auf Hachmeister/Vesting speziellen Kritik ist der Mangel an Alternativen. Selbstverständlich ist es legitim, Kritik zu üben. Für den medienpolitischen Diskurs wäre es aber – gelegentlich – hilfreich, sich nicht nur auf wohlfeile Kritik zu beschränken, sondern auch Vorschläge zu machen und Ideen zu präsentieren. Es gibt zweifellos wichtige Fragen, über die wir medien- und gesellschaftspolitisch streiten müssen. Medienpolitik ist längst Gesellschaftspolitik geworden. Die Verknüpfung mit anderen bislang verwandten, jetzt kohärenten Gebieten wie Telekommunikation, Datenschutz, Urheberrecht, Netzpolitik, Medienkompetenz macht das Feld spannend, aber auch komplex und kompliziert zugleich. Anders als beispielsweise in den Vereinigten Staaten fehlen in Deutschland „Think tanks“, die sich mit medienpolitischen Fragen beschäftigen, Vorschläge entwickeln und die Politik beraten.
Selbstverständlich gibt es renommierte Institutionen, wie das Hans-Bredow-Institut, das Mainzer Medien-Institut, das Institut für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln, das itm in Münster oder das kleine, aber feine Formatt-Institut in Dortmund, die immer wieder wichtige Impulse liefern. Auch präsentiert beispielsweise die Friedrich-Ebert-Stiftung seit einigen Jahren interessante medienpolitische Studien, aber angesichts der Umwälzungen in der Medienbranche besteht zusätzlicher Diskursbedarf – und ja: Es besteht ein Mangel an Ideen. Das muss man auch den Medienpolitikerinnen und Medienpolitikern – aller Parteien – zuschreiben. Und ja: Diese Kritik nehme ich an.
Geschwächter Diskurs
Wahr ist aber auch: Obgleich die Bedeutung von Medienpolitik als Teil von Gesellschaftspolitik steigt, hat das Interesse politischer Akteure an diesem Themenfeld eher abgenommen. Fraktionsspitzen jedweder Couleur in Parlamenten sind erleichtert, wenn sich jemand findet, der sich diesem Thema verschreibt; mehr als erschwerend kommt hinzu, dass es zur Zeit noch wenige „Brückenbauer“ gibt, die zwischen den „klassischen“ Rundfunkpolitikern und den „innovativen“ Netzlobbyisten vermitteln. Obgleich sich Medienpolitik als Konsens- und Kompromisspolitik herausgebildet hat, mangelt es in Zeiten der Konvergenz an einer Kompromissfähigkeit.
Das hat sich beispielsweise bei den teilweise heftigen Debatten um die Novellierung des dann gescheiterten Jugendmedienschutzstaatsvertrages gezeigt. Diese besondere Konstellation schwächt zweifellos den medienpolitischen Diskurs.
Die aktuell drängenden Fragen liegen alle auf dem Tisch: Es geht um eine Neuausrichtung des Medienkonzentrationsrechts, welche Rolle spielen Suchmaschinen und soziale Netzwerke? Welche meinungsbildende Wirkung geht von Telemedien aus, welche Erkenntnisse vermittelt uns die Wirkungsforschung? Wie gelingt die Medienanstalt der Länder? Welche Aufsichtsstrukturen sind notwendig und zeitgemäß – sowohl beim kommerziellen (über die Landesmedienanstalten) als auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Was muss ein zeitgemäßer Kinder- und Jugendmedienschutz können? Wie gelingt die Vermittlung von Medienkompetenz? Wie finanzieren wir in Zukunft Journalismus?
Es braucht ein neues Wunder
An zwei Beispielen, dem Medienkonzentrationsrecht und der Medienkompetenz, möchte ich kurz den medienpolitischen Handlungsbedarf konkretisieren.
Zunächst zum Medienkonzentrationsrecht: Mit dem Zuschaueranteilsmodell, Ergebnis des so genannten „Wunders von Bad Neuenahr“, wurde in der analogen Welt ein System etabliert, das mit Blick auf Qualität und Quantität des frei-empfangbaren Fernsehens erfolgreich war – und noch ist. Vielfaltsichernde Inhalte, über Drittsendezeiten und Regionalprogramme abgesichert, haben sich als unverzichtbar etabliert. Weniger positiv fällt mein Urteil über die Programmbeiräte aus. Die Wirksamkeit halte ich für überschaubar, deswegen kann man getrost auf dieses Instrument verzichten.
Keine Frage: Das Fernsehen, das zeigen die Nutzungszeiten, bleibt zumindest auf absehbare Zeit Leitmedium und kann deshalb Objekt eines spezifischen konzentrationsrechtlichen Regulierungsregime bleiben. Aber zugleich müssen wir einen Transformationsprozess einleiten, der die bisherige Fixierung auf das Fernsehen zumindest ergänzt, später möglicherweise ersetzt. Hachmeister/Vesting sprechen sich in diesem Zusammenhang für ein Medienrecht aus, das auf die neuartige Logik der Netzwerkgesellschaft und ihrer „fluiden Themenöffentlichkeit“ umgestellt werden müsse. Wie konkret ein solches Medienrecht aussehen könnte, beantworten sie nicht.
Die Frage, ob die unüberschaubaren Kommunikationsströme des Internets „mit ihrer Überfülle von Mikro-Standpunkten“ überhaupt noch einer herkömmlichen Vielfaltsgewährleistung bedürfen, ist zu bejahen (wobei über den Begriff „herkömmlich“ durchaus gestritten werden könnte). Zwar bietet das Internet aufgrund seiner Struktur per se eine schier unendliche Vielfalt, doch kommt es wie bei den klassischen Medien weiterhin darauf an, wie stark diese Struktur auch wahrgenommen und genutzt wird. Was den Journalismus angeht, so scheint sich im Netz aufgrund der schwierigeren Refinanzierung eher eine Konzentration denn eine Diversifikation abzuzeichnen.
Wenn ein Großteil der Nutzer seine Informationen nur von wenigen Nachrichtenseiten im Netz bezieht, so kann man diesen durchaus eine gewisse Meinungsmacht attestieren. Das Medienrecht muss das berücksichtigen. Gerade auch die Unübersichtlichkeit der Informationen ist zudem ein Argument dafür, dass es im Netz verlässliche Anlaufstellen geben muss. Ein neues Wunder mit Blick auf die Weiterentwicklung des Medienkonzentrationsrechts in Deutschland ist nicht in Sicht. Umso größer ist der Bedarf nach guten Ideen, die Wunder wirken können.
Noch viel zu tun in der digitalen Welt
Keine Wunder-Wirkungen sind von Medienkompetenz, meinem zweiten Beispiel, zu erwarten. Medienkompetenz ist aber längst eine unverzichtbare Schlüsselqualifikation geworden. Angesichts der Vielzahl verfügbarer Quellen geht es beispielsweise um die Fähigkeit, gezielt Informationen aus der Daten- und Bilderflut herauszufiltern, diese einzuordnen und zu bewerten. Dazu ist das Wissen über soziale, politische, kulturellen, historische, ökonomische, technische und nicht zuletzt ethische Bedingungen und Zusammenhänge gefragt. Für die individuelle Entwicklung und Identitätsbildung sind Fähigkeiten zur interaktiven Kommunikation und zur kritischen Auseinandersetzung mit Medieninhalten notwendiges Rüstzeug. Das gilt für Zeitungen, Filme, Rundfunkangebote und Telemedien gleichermaßen.
Was gehört zur Medienkompetenz, um welche Bausteine geht es? Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat sich auf den Weg gemacht und – gemeinsam mit der Medienberatung NRW und der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) – ein ehrgeiziges Projekt von „Open Government“ gestartet. Mit dem Medienpass NRW will die Landesregierung an allen Schulen des Landes Medienkompetenz im Unterricht verankern. An der Ausgestaltung des Medienpasses konnten sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Am 25. Juli endete das Online-Konsultationsverfahren mit einem sehr erfreulichen und zugleich ermutigenden Ergebnis: 54.092 Seitenaufrufe, 7.721 Besuche, 486 registrierte Teilnehmende, 1462 beantwortete Umfragen und 479 Kommentare. Derzeit werden alle Beiträge ausgewertet. Allein die Beteiligung zeigt: Modernes Regierungshandeln muss digitale Instrumente zur Willensbildung nutzen.
Generell gilt: Mit Blick auf diese Partizipationsprozesse stehen wir erst am Anfang. Die Möglichkeiten sind längst noch nicht ausgereizt und Fehler sind Teil des Lernprozesses. Am Ende dieser Prozesse steht – bei aller Sympathie für Partizipation – das Primat der Politik. Die demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten müssen die Partikularinteressen abwägen, entscheiden und für die Entscheidungen gerade stehen. Bei der föderal organisierten Medienpolitik wird es dabei immer Kompromisse geben. Gelegentlich wäre es schon hilfreich, dass es nicht immer als Scheitern ausgelegt würde, wenn ursprüngliche Ideen und Vorhaben nach dem Abstimmungs- und Diskussionsprozess nicht eins zu eins Gesetz werden.
Voraussetzung für den Diskurs sind viele Ideen. Davon brauchen wir einfach mehr, um auch in Zukunft Vielfalt zu sichern und vorherrschende Meinungsmacht zu verhindern. Das ist in der analogen Welt gut gelungen – in der digitalen Welt muss es noch gelingen.