Gemeinsam arbeiten oder alleine sterben
Mit Innovationen sollen Medienhäuser den Journalismus gesundpflegen. Das ist eine vernünftige Forderung, der aber Verlage nur schwer nachkommen können. Denn bedeutet innovativ zu sein vor allem, antizyklisch riskante Mehrausgaben zu tätigen und in bislang fremde technische oder inhaltliche Welten vorzudringen. Dafür müssten jedoch zuerst Arbeitsstrukturen angepasst werden, was in großen Unternehmen oftmals nicht oder nicht leicht möglich ist. Zudem lässt sich Innovation nicht erzwingen, sie erfordert Geduld und Platz für Kreativität.
Es dürfte also jeder Verständnis dafür haben, dass die Medienhäuser den Problemen der Branche nicht innerhalb weniger Monate mit ausgeklügelten Lösungen beikommen werden. Umso merkwürdiger mutet es aber an, wenn deutsche Medienhäuser trotz ihrer Zurückhaltung gegenüber dem Neuen vollmundig behaupten, innovativ zu sein. Es deutet sich hier ein schwerwiegendes Definitionsmissverständnis an.
Die Antwort auf die allgemeine Forderung nach Innovation sollte nicht wie etwa für Tomorrow Focus Media so aussehen, auf dem ausländischen Markt etablierte Marken wie die „Huffington Post“ nach Deutschland zu importieren. Sie sollte auch nicht wie etwa bei Holtzbrinck so ausfallen, ein soziales Netzwerk um ein bereits existierendes Codegerüst zu errichten und es Rot zu lackieren. In den vergangenen Jahren haben wir das zu erwartende Dahinvegetieren der VZ-Netzwerke beobachten können. Weder kann es als innovativ bezeichnet werden, wenn Medien Tumblr-Blogs starten noch wenn sie ihre Marken in iPad-Apps einspielen noch wenn sie große Themen in multimedialen Dossiers abhandeln.
In den meisten Fällen hat zumindest die “New York Times” bei all dem bereits Pionierarbeit geleistet – und vor allem die Erfahrungswerte zum Beispiel in puncto Design oder Usability gesammelt, auf denen deutsche Medienmacher wie etwa die „Rhein-Zeitung“ aufbauen können. Das meiste von dem, was wir hierzulande als Innovation wahrnehmen, mag national noch freundschaftshalber so bezeichnet werden dürfen. Aus globaler Sicht versucht die hiesige Medienlandschaft den Journalismus allerdings mit Kopien zu verarzten. So jedoch wird eine nachhaltige Gesundung des deutschen Marktes mit seinen individuellen Bedürfnissen vermutlich nicht funktionieren.
Die Freien haben es in der Hand
Was bedeutet diese Unfähigkeit der großen Verlage zur Innovation nun für das Überleben des Journalismus? Und welche Folgen ergeben sich aus ihr für die zwei Drittel der deutschen Journalisten, die als Freiberufler arbeiten und stark unter der Krise der Branche leiden? In letzter Konsequenz sollte sie uns freie Journalisten dazu ermutigen, die Verantwortung für die Zukunft des Journalismus‘ selbst zu tragen. Oder positiv ausgedrückt: Während die feststrukturierten und zuweilen festgefahrenen Redaktionen in ihrem Tagesgeschäft keine Innovationen hervorbringen können, haben wir die Chance, diese wichtige Retterfunktion zu besetzen. Wir können der Motor des Neuen werden.
Die Voraussetzungen dafür sind ausgezeichnet: Nicht nur sind wir in unserer Arbeitsweise flexibler und unabhängiger – über das Netz können wir uns auch viel unbürokratischer Verbündete aus allen Bereichen für die Umsetzung neuer Ideen suchen. Ebenso suchende Grafiker, Programmierer, Fotografen, Kameraleute oder Tonexperten sind nur eine Google-Anfrage entfernt. Der Think Tank für Innovationen wartet darauf, angestochen zu werden.
Kollaborieren lernen
Bevor wir jedoch gemeinsam Innovationen effektiv befeuern können, müssen auch wir etwas lernen: nämlich die Vorteile der kollaborativen Arbeit zu verinnerlichen. Als freier Journalist erlebe ich bei mir und in meinem Umfeld zuweilen ein anstrengendes Bemühen um Selbstvermarktung. Aber diese Vorstellung, unserer Erfolg hinge von der Bekanntheit unserer Person als Marke ab, sollten wir zurückfahren oder gar verwerfen. Falls noch nicht geschehen, müssen wir auch unser Konkurrenzgebaren abschalten. Stattdessen sollten wir anfangen, uns noch stärker in Projekten zu vernetzen. Nur wenn wir unser Know-how mit dem anderer Freiberufler verknüpfen, können uns nachhaltige Innovationen gelingen.
Die vergangene re:publica hat den Wert kollaborativer Arbeit deutlich unterstrichen. Die spannendsten Projekte der Medienmesse, die Twittersuchmaschine Tame etwa oder die Open-Journalism-Doku “st_ry” sind Ideen, die aus der Kollaboration von Freiberuflern hervorgegangen sind. Sie sind das Produkt von interdisziplinären Teams, die keine Angst davor haben, ihr Wissen als Tauschgut zu begreifen. Menschen, die verstehen, dass eine Innovation mehr erfordert als einen Blick über den großen Teich – sondern ein freiberufliches, flexibles und austauschhungriges Team.
Die re:publica hat indes auch gezeigt, dass die Großen den Trend zur kollaborativen Arbeit und zum Wissenstausch ebenfalls begreifen – das ZDF beispielsweise, das für seinen ZDFcheck mit Wikimedia kooperiert oder „Süddeutsche.de“, „Zeit Online“ und „Spiegel Online“, die ebenfalls zusammenrücken wollen. Wenn diese Dickschiffe zur Kollaboration in der Lage sind, dann sind wir es erst recht. Wir müssen nur unsere Eitelkeiten und unsere Eigenbrötlermentalität ablegen und anfangen, uns die Hand zu reichen. Hiermit sei ein Anfang gemacht.