,

Geteilte Plattenbauten

Ein paar Kilo in runde Scheiben gepresster Kunststoff. Als Rob Gordon von seiner Freundin verlassen wird, macht sich der tragische Verlierer im Film „High Fidelity“ an die Spurensuche seines Scheiterns. Er sortiert seine Schallplattensammlung. Nicht etwa chronologisch und natürlich auch nicht alphabetisch. Rob ordnet sein Vinyl in der einzig wahren Weise: autobiografisch. Denn was sich seit seiner Jugend in dem Plattenregal angesammelt hat und nun in hohen Stapeln vor ihm auf dem Fußboden liegt, ist nicht einfach nur Musik. Jedes einzelne Album ist ein Verbindungspunkt zu einer anderen Band, eine Erinnerung, ein Mosaikstein seiner Vergangenheit. Und fertig sortiert ergibt sich daraus der Soundtrack seines Lebens.

Gerade einmal 13 Jahre ist „High Fidelity“ alt, doch Robs Schallplattensammlung ist ein Phänomen aus einer anderen Welt. Ein paar Meter Musikalben im Regal erzählten damals eine Geschichte über ihre Eigentümer, repräsentierten diese gegenüber der Umwelt als Individuen. Hier konnten sich Besucher ein Bild davon machen, wie der Gastgeber musikalisch sozialisiert wurde, was ihn interessiert, wie sich seine Persönlichkeit zusammensetzt. Auch die obligatorischen Bücherregale im Wohnzimmer, vollgestopft mit zerfledderten Taschenbüchern, nie angerührten aber dekorativen Kunstbänden und einer ansehnlichen Sammlung von Fachliteratur erzählten solche Geschichten. Gerne ergänzt durch ein paar Reihen mit DVDs, bevorzugt in Originalsprache. Dazu noch ein Korb mit Tageszeitungen und Magazinen – so funktionierte der Distinktions-Showroom in der Welt physischer Besitztümer. Nur: Diese Welt verschwindet gerade.

Wir im Gerät

Die Zukunft des medialen Eigentums ist digital. Und sie bietet viele gute Gründe und Möglichkeiten, die Wohnung nicht mehr mit den Artefakten unseres Medienkonsums vollzustopfen. Musiksammlung und Filme digitalisieren, E-Book-Bibliothek aufbauen, Magazine digital kaufen – wir brauchen schon heute nicht mehr als Speicherplatz, gut zu bedienende Endgeräte und die Möglichkeit, die Daten überall aufrufen zu können. Und das ist erst der Anfang: Je mobiler wir werden, je mehr unser Alltag vernetzt sein wird, desto stärker werden wir unseren Medienkonsum in den digitalen Raum verlagern. Was dann noch an physischen Produkten übrigbleibt, ist eine nostalgische Reminiszenz an die Haptik. Und vielleicht der Versuch, doch noch irgendwie die eigene Individualität über analoge Dinge zu präsentieren.

Denn natürlich geht mit der Digitalisierung auf den ersten Blick etwas verloren. Wir versenken einige bislang zur Schau getragene gesellschaftliche Codes in unseren Geräten. Ob jemand in der Bahn gerade ein Buch von Ken Follett oder Albert Camus, die „Süddeutsche Zeitung“ oder die „Bild“ liest, können wir nicht mehr erkennen. Wir sehen nur noch Smartphones, Tablets oder E-Book-Reader. Was sich auf deren Displays abspielt, wissen wir nicht – und verlieren dadurch die Möglichkeit, die kulturelle Verortung unseres Gegenübers innerhalb von Sekunden einzuschätzen. Die öffentliche Distinktion funktioniert nicht mehr, zumindest nicht nach den alten Regeln. Aber ist das schlimm?

Geteilter Geschmack

Wir befinden uns im Umbruch. Mit dem Verschwinden der alten Welt hinter den Bildschirmen, verlagert sich auch unsere Persönlichkeit in den digitalen Raum. Und dort haben sich schon längst neue Mechanismen herausgebildet, den Soundtrack unseres Lebens abzubilden. Mechanismen, die den alten Regeln weit überlegen sind. Noch nie war es so einfach, unserem sozialen Umfeld Einblicke in unsere kulturellen Wurzeln zu geben, noch nie konnten wir uns so gezielt wie heute ein Bild von anderen Menschen machen. Die Plattensammlung wird Teil unseres News-Feeds, wir veröffentlichen sie in Playlists, die wir mit anderen teilen. Wir finden Menschen mit dem gleichen Musikgeschmack, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Gleiches gilt auch für die Bücherwand, Filmkonsum, Bilder – die sinnstiftenden Bestandteile unserer Wohnzimmer sind nur auf eine andere Ebene umgezogen.

Die erste Herausforderung dieser Zeit ist nun, den digitalen Raum als den zentralen Ort unserer gesellschaftlichen Kommunikation zu akzeptieren. Und während ein Teil der Gesellschaft schon nach den neuen Regeln spielt, kämpft der andere noch mit dem vermeintlichen Graben zwischen physischer und digitaler Welt. Erst wenn diese beiden Ebenen nicht mehr als Gegensatz, sondern als verzahnte Bereiche unseres Lebens wahrgenommen werden, können wir uns den wirklichen Herausforderungen der Digitalisierung unserer Besitztümer stellen.

Flexibel durch Digitalisierung

Große gesellschaftliche und politische Theorien der Vergangenheit haben sich mit der Rolle des Eigentums beschäftigt. Mal als Ordnung schaffendes Element, mal als Verhinderer einer gerechten Welt. Aber was passiert eigentlich mit einer Gesellschaft, die sich vom physischen Eigentum verabschiedet? Denn es sind vor allem boomende Angebote wie der Musikdienst Spotify oder die Filmplattform Watchever, die den Gedanken einer digitalisierten Medienwelt konsequent weiterentwickelt haben. Sie setzen dem Primat des Eigentums die Idee des temporären Konsums entgegen: Solange man zahlt, hat man Zugriff auf Film-Bibliotheken und Musiksammlungen, die man in dieser Größe niemals selbst erwerben könnten.

Sie lösen damit ein altes Versprechen der Digitalisierung ein. Nämlich, dass eine digitale Welt die Möglichkeiten des Konsums erweitern kann. Doch wie verändert sich unser Verhältnis zum Eigentum, wenn alles in der Cloud liegt, wenn uns nichts mehr gehört, sondern nur auf Zeit ausgeliehen wird? Auf jeden Fall ist das wunderbar komfortabel, macht uns flexibel. Und vielleicht gelangen wir so zu einer Gesellschaft, in der Besitztumsdenken und Neid auf die Mitmenschen von einer Demokratisierung des Zugriffs abgelöst wird. Im schlimmsten Szenario landen wir in einer Falle.

Wir sind auf dem Weg in eine Gesellschaft der geteilten Güter. Doch so gerne Dienste wie Spotify, Watchever oder auch – mit einer nicht digitalen Variante – Carsharing-Angebote sich auch unter dem idealistisch klingenden Label Shareconomy präsentieren, sind sie nicht Folge einer gesellschaftlichen Idee. Sie surfen lediglich die Welle einer sozialen Strömung, die das Teilen von Eigentum als Gegenentwurf einer Überflussgesellschaft definiert. Sie sind Geschäftsmodelle für Industrien, die in Reaktion auf die Digitalisierung nach neuen Möglichkeiten suchen, ihre Waren unter das Volk zu bringen.

Viele Stolpersteine

Zugang, das bedeutet hier Zugang gegen Geld, was nicht weiter verwerflich ist. Doch wenn wir unseren Anspruch auf Eigentum aufgeben, geraten wir in die Abhängigkeit zu den Anbietern und ihren Geschäftsbedingungen. Wenn dominierende Firmen wie Apple, Google oder Amazon ihre Ökosysteme geschlossen halten, wenn sie den Besitzanspruch an die dort erworbenen oder geliehenen digitalen Produkte an einen Account binden, übertragen wir ihnen die Hoheit über unser Eigentum. Das könnte uns im Endeffekt nicht freier, sondern im Gegenteil sogar unfreier machen.

Der Weg in die digitalisierte Gesellschaft hält viele Stolpersteine für uns bereit. Doch wir als Konsumenten können entscheiden, wie wir damit umgehen wollen.


ImageDieser Text ist Teil einer gemeinsamen Reihe von VOCER und „Süddeutsche.de“ zum Thema Digitalisierung der Gesellschaft.

Mitdiskutieren können Sie hier in den Kommentaren oder auf der Google+-Seite von „Digitales Morgen“.