Gutes Fernsehen ist kein Bürgerwille
Das Fernsehfilmfestival Baden-Baden, dessen Programmleitung ich im nächsten Jahr übernehmen werde, zeigte in diesem Jahr zwölf Wettbewerbsbeiträge, die nach dem einhelligen Bekunden der Fachjury ausnahmslos thematisch relevant und formal sehenswert waren. Der sehr überwiegende Teil der Filme kam aus öffentlich-rechtlicher Produktion. Beim Deutschen Fernsehpreis, dessen Jury ich seit 1999 angehöre, ließen sich die non-fiktionalen Wettbewerbskategorien „Reportage“, „Dokumentation“ und „Information“ kaum mit den statuarisch festgelegten drei Nominierungen bestücken, würde es das von der Allgemeinheit finanzierte GEZ-Fernsehen nicht geben.
Das „anhaltende Marktversagen“ der privaten TV-Anbieter im Bereich der Informations-Grundversorgung ist längst von wissenschaftlicher Seite festgestellt worden: Seit 2005 sind rund 30 Minuten politische Berichterstattung das Maximum, das ein privates Fernsehvollprogramm pro 24-Stunden-Sendetag überhaupt erreicht, wie die GöfaK Medienforschung GmbH in der Zehn-Jahres-Bilanz ihrer Langzeitstudie feststellte. „Insbesondere im Bereich der politischen Information, Analyse und Kommentierung“, so das Fazit der Potsdamer Forschergruppe, „haben die privaten Fernsehvollprogramme den Wettbewerb mit den öffentlich-rechtlichen Programmen nie ernsthaft aufgenommen.“
Elite diagnostiziert „schlechtes Fernsehen“
Geschadet hat das den so genannten „privaten Programmen“ nicht, wenn man bedenkt, dass RTL im gleichen Zeitraum wiederholt mit Zerstreuungsprogrammen wie der „Dschungelshow“ oder den Dailysoaps Marktführer bei den unter 50-jährigen Zuschauern wurde und zwischenzeitlich sogar ARD und ZDF in der Gunst des Gesamtpublikums überholen konnte. Die allgemeine Klage über das „schlechte“ Fernsehprogramm meint aus der Sicht des Mehrheitspublikum offenbar etwas völlig anderes als aus der Perspektive der info-elitären Journalisten und Medienkritiker: Nicht ein Zuwachs an substantieller Information, sondern mehr Kurzweile und Entertainment wünscht sich das Publikum. Und es erzappt sich entsprechend regelmäßig einen mehrstündigen Fernsehabend, den die Programmverantwortlichen von ARD und ZDF als „Unterhaltungs-Slalom“ schon seit den siebziger Jahren beklagen.
Das Qualitätsprogramm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten war noch nie Ausdruck von „Bürgerwille“, sondern schon immer eine politische Setzung.
Der staatsferne Rundfunk, das nur zur Erinnerung, ist ein Gründungsgeschenk der britischen Besatzer, die der jungen bundesrepublikanischen Demokratie ihr BBC-Konzept anempfahlen, das in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten meines Erachtens noch von keinem besseren Modell ernstlich Konkurrenz bekommen hat. Auch wenn Hans-Peter Siebenhaar in seiner Streitschrift „Die Nimmersatten“ feststellt: „Niemand ist heute mehr auf den Gebührenrundfunk angewiesen, um sich über eine Bundestagsdebatte in Berlin, über den Bürgerkrieg in Syrien, über den EU-Gipfel zur Eurokrise oder das Wetter in Wernigerode zu informieren“, so ist doch just im Internetzeitalter unübersehbar geworden, dass Information und Kultur nicht umsonst zu haben sind.
Rundfunkbeitrag im Kontext sehen
Sicher kann ich mir mein Medienportfolio abseits des Fernsehens organisieren – eine verlässliche und leistungsstarke DSL-Flatrate sollte ich mir dann aber schon leisten. Für die durch den Rundfunkstaatsvertrag staatlich garantierte Serviceleistung, rund um die Uhr unabhängig und umfassend informiert zu werden, zahle ich derzeit eine Monatsgebühr von 17,98 Euro. Zum Vergleich: Die Telekom bietet den DSL-Basis-Anschluss „Call & Surf Basic“ für 29,95 Euro an. Ein Monatsabonnement der gedruckten FAZ kostet 44,90 Euro und als E-Paper auch noch stattliche 36,90 Euro. Für einen Sitzplatz in der mit meinen Steuergeldern subventionierten Berliner Schaubühne verlangt man an normalen Tagen bis zu 43 Euro. Ich könnte für meinen GEZ-Betrag, der mir jeden Montag und jeden Mittwoch zur Primetime ein Fernsehspiel anbietet, auch maximal drei Mal pro Monat ins Programmkino gehen, um mir dort dann jene deutschen Arthouse-Filme anzusehen, die ohne Kooperationen mit einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender so niemals hätten finanziert und realisiert werden können.
Mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es wie mit dem öffentlichen Straßenwesen: Jeder benutzt es täglich, aber registriert werden nie die Infrastruktur-Vorzüge, sondern nur die Schlaglöcher und Baustellenstaus. Wir Bürger zahlen für beides, weil beides nur so funktioniert: als gesellschaftliche Gemeinschaftsanstrengung.
Ich finde das Internet toll und wünschte mir die Mediatheken von ARD und ZDF als „ewiges Gedächtnis“, also als unbegrenzte On-Demand-Plattformen ohne Zeitlimitierung, damit ich jederzeit und überall nachsehen kann, was ich im laufenden Programm verpasst habe oder gerne noch einmal wiedersehen würde. Die rechtliche Beschränkung des Angebots, die ARD und ZDF nun in der neuen Welt so behäbig erscheinen lässt, wurde seinerzeit mit der Notwendigkeit eines freien Marktes begründet; nun lässt sich von den Gegnern des GEZ-Fernsehens freilich umso leichter der mediale „Bedeutungsverlust des Gebührenrundfunks“ gegenüber den anderen Marktteilnehmern konstatieren.
Aber ich schweife ab! Denn vor allem schätze ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für etwas, dass seiner Konkurrenz so nicht gelingen kann: die zeitsynchrone Ansprache an ein wirklich großen Publikums. Und damit meine ich jetzt wirklich große Mehrheiten! Selbst generierte Millionenereignisse wie bei der ZDF-Show „Wetten, dass..?“ oder der Live-Übertragung der Olympischen Spiele aus London. Größenordnungen also, welche die Reichweite jeder Qualitätszeitung und jedes Blockbusters regelmäßig übersteigen: den mehrfach preisgekrönten Spielfilm „Das weiße Band“ von Michael Haneke – übrigens eine Ko-Produktion des „Bayerischen Rundfunks“ mit der so viel gescholtenen Degeto – sahen im Kino 670.000 Menschen, die Fernsehausstrahlung erzielte eine Quote von 4,25 Millionen Zuschauern (Marktanteil: 13,2 Prozent). Allerdings ist der Geschmack des Fernsehpublikums – ich wiederhole mich hier – nicht immer zuverlässlich an dem Erhabenen interessiert.
Wird niemals alleine gelassen: der Gebührenzahler
Der mit dem Auslands-Oscar ausgezeichnete Kinofilm „Das Leben der anderen“ erreichte in der Free-TV-Premiere im Schnitt 4,58 Millionen Zuschauer. Bei den Jungen musste sich freilich das Stasi-Drama gegen den RTL-Comedian Mario Barth geschlagen geben. Das eigene Programm, darin sind sich alle Senderverantwortlichen einig, ist eben immer so gut oder so schlecht wie die Konkurrenz auf einem anderen Sender. Oder das Wetter draußen im Lande.
Das GEZ-Fernsehen ist ein Jetzt-Medium zum Jedermann-Preis. Als solche müssen ARD und ZDF dem Publikumsgeschmack jederzeit und um jeden Preis verpflichtet bleiben.
Der Gebührenzahler wird deshalb nie allein gelassen. Weit häufiger als es mir als Kritikerin lieb sein kann, wird er vielmehr als Souverän behandelt, der über Programminhalte und Programmgewichtungen entscheidet. Man kann die Quotenfixiertheit der Programmverantwortlichen von ARD und ZDF kritisieren oder als Ausdruck einer Selbstverpflichtung wertschätzen.
Folklore des Hochkulturmilieus
Ein mehrheitsfähiges Programm ist jedenfalls die zwingende Voraussetzung für eine Gebührenpflicht, von der sich Herr und Frau Jedermann erst mit triftigem Grund befreien lassen müssen. Und wenn es nun so ist, dass die Marktführerschaft regelmäßig nur diejenige Senderfamilie erlangen kann, die auch über attraktive Sportrechte verfügt, dann möchte ich als Gebührenzahlerin, die ich mich persönlich für Sport kaum interessiere, trotzdem oder gerade deshalb auch eine hochwertige Umsetzung dieser teuer erworbenen Übertragungsrechte sehen können.
Was will mir der Hinweis eigentlich sagen, dass ARD und ZDF mehr Mitarbeiter zu den Olympischen Spielen schicken als Deutschland Sportler entsendet? Dass es richtig wäre, nur noch einen Kameramann pro Sportler pro Wettbewerb mit deutscher Beteiligung nach London zu schicken? Ich warne ausdrücklich davor, an ein substantielleres, gehaltvolleres, also besseres Programm zu glauben, wenn es aus den Fängen des Redakteursfernsehen entrissen wäre. Das ist die Folklore des Hochkulturmilieus!
Die Abrufzahlen in den Mediatheken von ARD und ZDF zeigen sehr deutlich, dass komplexe Inhalte, die im linearen Fernsehen von den Programmmachern aus Akzeptanzgründen in die Nachtstrecke verbannt werden, auch in den anschließenden sieben Online-Tagen keine Klickwunder mehr werden. Will sagen: Was „besseres Fernsehen“ ist, muss die Gesellschaft beantworten, bevor sie dann entscheidet, wie viel dieses „bessere Fernsehen“ kosten muss und darf.
Nur die Politik kann für eine Gebührenpflicht sorgen, ohne die der Gemeinsinn stiftende, unabhängige Qualitätsrundfunk nicht existieren kann.
Auch wenn ich mich über das unwürdige Berufungsverfahren bei der vorletzten ZDF-Intendantenwahl sehr geärgert habe und wenig später die dreiste Einflussnahme in der Personalie Brender ziemlich ungehörig fand, erscheint es mir nur folgerichtig, dass diejenigen, die ich als meine Volksvertreter wähle, auch über mein Volksmedium Aufsicht führen.
Klassische Arbeitsteilung
Wie ich auch in anderen Belangen an die Arbeitsteilung der repräsentativen Demokratie glaube, möchte ich mich auch nicht via Facebook oder Twitter über die komplexen Unternehmensbelange von ARD und ZDF informieren müssen, um hernach an einer Art Sozialwahl teilzunehmen. Meine Krankenkasse, die Techniker-Kasse, hat für die Sozialwahl 2011 eigens einen Kurzfilm bei YouTube eingestellt, der über Verfahren und Bedeutung dieser „bedeutenden Wahl“ aufklärt. Mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung zählt YouTube ärmliche 266 Abrufe für diesen Film. Da setze ich doch lieber auf die bisherige Arbeitsteilung: Der Zuschauer bestimmt das Programm, die Politik bestimmt nach Empfehlungen der KEF die Rahmenbedingungen, unter denen es entsteht.
Dass diese Rahmenbedingungen manchem Redakteur oder Produktionsleiter gelegentlich wie ein Selbstbedienungsladen erscheint, ist nichts, was ich als Kavaliersdelikt abtun könnte. Völlig zu Recht mussten sich die NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze und der MDR-Herstellungsleiter Marco K. vor Gericht für ihre Untreuetaten verantworten. Während Marco K. sich selbst bei der Polizei anzeigte, kam der Drehbuchfall „Heinze“ übrigens durch einen Medienbericht ins Rollen. Auch die Schleichwerbungs-Affäre in der ARD-Daily „Marienhof“ wurde von einem Journalisten aufgedeckt. In diesem Zusammenhang erscheint es mir bemerkenswert, dass die Arbeitsbedingungen der Medienressorts von Qualitätszeitungen in den 20 Jahren, in denen ich nun schon Medienjournalistin bin, eher schlechter als besser geworden sind.
Während sich das Berichtsgebiet durch das Internet immens erweitert hat, werden in den Redaktionen Stellen gestrichen und Ressortzuschnitte verändert. Texte über Verlagskonzentration oder KEF-Debatten gelten schon seit langem als Auflagengift. Böse Zungen behaupten, dass eine unabhängige und (selbst)-kritische Berichterstattung in vielen Verlagshäusern nicht mehr für zweckdienlich gehalten wird. Auch die „bessere Zeitung“ ist eine, die sich immer besser verkaufen muss und immer weniger kosten darf.
Da frage ich mich doch: Deutet sich nicht auch hier ein gewisses Marktversagen an?