Hans-Jörg Bücking: „In Ruhe das Richtige tun“
Prof. Dr. iur. Hans-Jörg Bücking, M.A. (sc. pol.) ist Experte für Prozessrecht, Professor für Öffentliches Recht sowie Stellvertreter des Vorsitzenden der Gesellschaft für Deutschlandforschung e.V., seit August 2012 im Ruhestand. Mit Martin Lejeune sprach er über das Akkreditierungsverfahren beim NSU-Prozess.
VOCER: Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat in dem Strafverfahren gegen Beate Z. und vier weitere Angeklagte im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April den Beginn des so genannten NSU-Prozesses auf den 6. Mai verschoben und entschieden, dass das Akkreditierungsverfahren für Journalisten neu ausgeführt wird. Ist diese Entscheidung des Vorsitzenden Richters jetzt die Lösung für alle Probleme oder macht sie das seit Wochen wütende Chaos nur noch schlimmer?
Hans-Jörg Bücking: Prinzipiell ist es sicher besser, in Ruhe das Richtige zu tun als in Eile das Schlechte. Wenn dem Richter nun eine weise Entscheidung gelingt und er es schafft, diese auch professionell umzusetzen, könnte das die Wogen glätten und dem Prozess einen weniger aufgeregten Auftakt bescheren. Er kann natürlich auch alles noch viel schlimmer machen.
Weshalb hat der Vorsitzende Richter nicht die vom Bundesverfassungsgericht genehmigte Option gewählt, einfach noch bis Mittwoch drei zusätzliche Stühle auf die Pressetribüne zu stellen?
Richtig verständlich ist mir das nicht. Jedenfalls wäre das die einfachste Lösung gewesen. Aber ich kenne bislang auch nicht seine Gründe. Sollte er sich um einen größeren Saal bemühen, um eine weitaus höhere Zahl als die drei vom Bundesverfassungsgericht erwähnten Plätze für Journalisten – über die fünfzig bisherigen hinaus – zur Verfügung zu stellen, dann wäre das nachvollziehbar – und würde wohl ein gehöriges Maß an Befriedung herbeiführen.
Sie sind auf vielen internationalen Konferenzen. Wie wirkt sich diese neueste von mehreren Aufsehen erregenden prozessrechtlichen Entscheidungen auf das Ansehen Deutschlands im Ausland aus?
Das deutsche Recht und die deutsche Justiz genießen weltweit ein enorm hohes Ansehen. Das darf aber nicht zu Überheblichkeit verleiten. Denn man muß das in Relation sehen. Unsere Justiz ist in Wirklichkeit auch nicht gut. Die anderen sind nur – vielfach – noch schlechter. Insofern ist es heilsam, wenn durch manche Unregelmäßigkeit das internationale Bild von der deutschen Justiz jetzt etwas zur Realität hin korrigiert wird.
Sie sind Experte für Prozessrecht. Weshalb ist das Prozessrecht eines der wichtigsten und spektakulärsten Rechtsgebiete überhaupt?
Ich gehöre nicht zu denen, welche das überhöhen, mit dem sie sich mehr als andere beschäftigen. Dennoch zeigt dieser Fall sehr schön, daß Prozessrecht nicht selten ein entscheidender Anteil daran zukommt, wie auch die materielle Entscheidung ausgeht bzw. ob sie Bestand hat. Die Verteidiger von Beate Z. haben schon reklamiert, daß dieses Hin und Her zu Lasten ihrer Mandantin ginge – wohl im Hinblick, sich allein daraus schon möglicherweise für ein Rechtsmittel zu munitionieren. Vielleicht bekommen in diesem Prozess manche Verfassungsschutzleute keine Aussagegenehmigung. Das ist ein prozessuales Mittel. Es kann aber dazu führen, daß die Täter deshalb straffrei bleiben, weil der Justiz der Beweis nicht gelingt. Ich denke, diese beiden Beispiel verdeutlichen, daß das Prozessrecht vielfach unberechtigt ein Mauerblümchendasein fristet.
Was kann die gerichtliche Praxis und die forschende Rechtswissenschaft auf dem Gebiet des Prozessrechtes von diesem NSU-Prozess lernen?
Das läßt sich jetzt noch nicht beurteilen, weil der Prozes noch gar nicht begonnen hat. Im Vorfeld zeigt sich für mich, daß die Justiz bei Prozessen mit hohem internationalen Interesse, auch wegen der Prominenz der Beteiligten, noch viel an ihrem Öffentlichkeitsmanagement und an ihrer Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber feilen sollte. Das hat auch der „Kachelmann-Prozess“ gezeigt, der in diesen Tagen gern als Referenzgröße genannt wird.
Haben Sie schon eine Ahnung wie viele Doktorarbeiten Ihre Kollegen in Zukunft zum Prozessrecht des NSU-Verfahren betreuen müssen?
Darüber läßt sich nur spekulieren. An sich dürfte es gar keine geben. Das wäre im übrigen zu hoffen. Zuallererst ist es ein ganz normaler Strafprozess, für den es keine besonderen Regeln gibt und für den sie auch nicht erforderlich sind. Neu ist allenfalls die große Zahl der Nebenkläger. Ob das zu neuen Erkenntnissen führt, wird auch davon abhängen, ob es der Verhandlungsführung gelingt, die Nebenkläger gebührend zu integrieren, ohne das Hauptziel des Prozesses, das Urteil über die Strafwürdigkeit der Handlungen der Angeklagten, aus dem Auge zu verlieren.
Wie könnten jetzt eigentlich prozessrechtlich die 50 Journalisten reagieren, die ja schon einen festen Platz zugesichert bekamen?
Das kommt ganz darauf an, wie der Vorsitzende das neue Vergabeverfahren auszugestalten gedenkt. Wenn er zusätzliche Sitze schafft, etwa – wie oben schon erwähnt – in einem größeren Saal und die Rechtsposition der 50 Platzkarteninhaber unangetastet läßt, wäre alles in Ordnung. Sollte diesen aber ihre durch die Vergabe gesicherte Rechtsposition wieder genommen werden, sehe ich das problematisch. Das Bundesverfassungsericht hat nur eingeräumt, „die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten“. Es hat nicht dazu ermächtigt, sich über diese Rechtspositionen hinwegzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat ja nur im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden. Im Hauptverfahren, also der eigentlichen Verfassungsbeschwerde, steht den 50 Journalisten nicht ohne Grund nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz ein Anhörungsrecht zu – als ein prozessuales Mittel, das jedoch auf ein materielles Recht verweist. Unter Umständen hat das Bundesverfassungsericht selbst das im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Wenigstens könnten sie versuchen, wegen des Vertrauens, das sie in die erste Vergabeentscheidung gesetzt haben, Schadenersatz zu verlangen. Sie könnten auch gegen den Entzug der Sitzkarten Ihrerseits das Bundesverfassungsgericht anrufen. Das könnte das Gericht in München dann ebenso anweisen, bei seiner Entscheidung auch deren interessen zu berücksichtigen. Das stünde ja nicht – wie oben erwähnt – im Widerspruch zur ersten Entscheidung.
Kann denn nicht die Videoübertragung, wie sie unsere Politiker immer wieder fordern, eine gerechte Lösung für alle Journalisten sein?
Derzeit ist die gesetzliche Lage eindeutig. Es ist unzulässig. Wenn die Politiker das ändern wollten, hätten sie es schon lange tun können. Insofern wünschte man sich mehr Zurückhaltung und Aufrichtigkeit bei manchen Politikern.
Dieser Beitrag ist zuerst auf Martin Lejeunes Blog erschienen. Lejeune war für den NSU-Prozess akkreditiert, er will eine Verfassungsbeschwerde einreichen.