Helden ohne Rückendeckung
Der arabische Frühling, das Atomunglück von Fukushima, die schwächelnde Euro-Währungsgemeinschaft: Die großen Ereignisse des Jahres 2011 haben einmal mehr gezeigt, dass die Konzentration der Nachrichtenagenda auf alles, was aktuell, relevant, überraschend sowie geografisch und psychologisch nah ist, meist nur durch neue spektakuläre Krisenereignisse mit (potenziell) schlimmeren Folgen ausgehebelt wird.
Daher nimmt es kaum Wunder, dass die Krisenberichterstattung selbst zu einem der populärsten, zugleich aber gefährlichsten und umstrittensten Tätigkeitsfelder im gegenwärtigen Journalismus werden konnte. Wie Krisenreporter täglich recherchieren und sich untereinander vernetzen, wie sie mit den Heimatredaktionen zusammenarbeiten und mit Gefahrensituationen umgehen, welche ihrer Geschichten über Kriege, Revolutionen, Naturkatastrophen oder Terroranschläge eine Eigendynamik entfalten und welche ausgeblendet werden, ist jedoch unzureichend erforscht.
Für eine umfangreiche Studie haben wir uns konkret mit den Akteuren in diesem Berufsfeld beschäftigt, die sich gerade in der jüngeren Vergangenheit als professionelle Beobachter vielfach beweisen mussten. Wir sprachen mit führenden Auslandsreportern von „Spiegel“ bis RTL und haben ihr individuelles Berufsfeld untersucht. Wir wollten wissen, inwiefern sich erfahrene Krisenreporter und Auslandskorrespondenten regelrecht gezwungen sehen, in den Einsatzgebieten Strategien und Taktiken zu entwickeln, um kulturelle, politische und soziale Barrieren zu überwinden; wie sie sich auf ihre Einsätze handwerklich und psychisch vorbereiten und anschließend mögliche Traumata verarbeiten; und wie die professionellen Defizite in der Kriegs- und Krisenkommunikation kompensiert werden können.
Zwischen Wunsch und Wahnsinn: Rollenbilder im Krisenjournalismus
Abenteurer, Aufklärer, Weltverbesserer versus Rechercheure, Prinzipienverfechter, Chronisten. Das Selbstverständnis der befragten Krisenreporter unterscheidet sich zum Teil gravierend voneinander. Ihre auf sich selbst projizierten Rollenbilder deuten darauf hin, um was für ein uneinheitliches Berufsbild es sich beim Krisenjournalismus handelt.
Krisenreporter finden sich bisweilen schnell in der Rolle von Vorkämpfern wieder, die sich, wie Susanne Koelbl („Der Spiegel“) bestätigt, in Regionen vorwagen, über die seit langer Zeit niemand mehr berichtet hat. Von diesem Pioniercharakter zeugen auch alle möglichen Schilderungen der Befragten, wenn es zum Beispiel um die Überwindung bürokratischer, finanzieller oder rein praktischer Hürden etwa bei Reise- oder Recherchetätigkeiten geht.
Angetrieben werden viele von ihrem Entdeckergeist: „Meine Neugierde ist eigentlich immer dieselbe“, sagt RTL-Auslandsreporterin Antonia Rados – egal, ob sie aus dem Jemen oder Iran, über den Krieg oder die Ruhe vor dem Sturm, die Bundeswehr oder afghanische Frauen berichte.
Krisen-Hopping oder Wurzeln schlagen?
Auch wenn es die redaktionellen Ressourcen immer seltener zulassen, versuchen viele der Befragten mindestens für mehrere Monate Wurzeln im Krisengebiet Wurzeln zu schlagen. So können sie sich in der Regel auf das jeweilige Gebiet spezialisieren, in einen engeren Kontakt mit der Bevölkerung kommen, deren Machthaber auskundschaften, sich besser mit einheimischen Informanten vernetzen und insgesamt die kulturellen, politischen und sozialen Gepflogenheiten vor Ort besser studieren.
Für die Recherchebedingungen wird der längerfristige Umgang mit den Einheimischen durchweg als positiv und gewinnbringend für die journalistische Arbeit empfunden, weil hierdurch ein authentisches Bild von den Lebensweisen und kulturellen Umständen vermittelt werden kann.
Ein fester Wohnsitz am Brennpunkt birgt für die Korrespondenten jedoch auch Risiken: Sie könnten die professionelle Distanz verlieren oder sich mit bestimmten Akteuren und Ansichten gemein machen. Daraus folgen möglicherweise eine emotionale Abstumpfung, die Parteinahme in Konfliktsituationen und Schwierigkeiten bei der neutralen Berichterstattung aktueller Entwicklungen, die aus einem voreingenommenen Blick auf die Region resultieren.
Dagegen eröffnen journalistische Kurzeinsätze bei aller Kritik gegenüber einem ‚Krisentourismus‘ den entscheidenden Vorteil, über einzelne Krisengebiete ‚unverbraucht‘ berichten zu können. Bei mehreren Reisen über längere Zeiträume hinweg werden Ursachen und Andersartigkeiten zwischen unterschiedlichen Krisen zudem besser wahrgenommen, was das Beurteilungsvermögen insgesamt schärft. Ein solches ‚Krisen-Hopping‘ ist also durchaus ein geeignetes Mittel, um die professionelle Distanz aufrechtzuerhalten, verlangt dem Reporter aber Kompetenz und Mühe ab, um die Wissens- und Erfahrungslücken zu kompensieren.
Ökonomische Zwänge im Krisenjournalismus
Die beruflichen Rahmenbedingungen für professionelle Krisenjournalisten haben sich gerade unter dem Druck der Medienkrise in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert – meinen zumindest die Betroffenen: Auch wenn die ökonomische Situation nach Aussage einzelner Befragter bei einschlägigen deutschen Wochenzeitungen, Nachrichtenmagazinen und auch den öffentlich-rechtlichen Medien komfortabler zu sein scheint als bei Tageszeitungen, gibt es sogar hier erste spürbare Einschnitte und Rationalisierungsansätze. Die Auslandsberichterstattung insgesamt ist nach Einschätzung der Befragten vergleichsweise unpopulär geworden und geht mengenmäßig gesehen zurück oder stagniert seit einigen Jahren.
Der Schwerpunkt verschiebt sich insgesamt auf mediale Großereignisse: Finanzielle Mittel werden, wenn überhaupt, eher für eine geballte Event-Berichterstattung über Katastrophen und Kriege mit großer Tragweite zur Verfügung gestellt als über schwelende Konflikte und latente Krisenherde. Es droht ein Missverhältnis, was auch auf das schnell abflauende öffentliche Interesse zurückzuführen ist, sobald der Verlauf der Krise nicht mehr einer gefälligen Dramaturgie und Inszenierungslogik der Medien folgt wie schon wenige Wochen nach Beginn des Irak-Kriegs oder der Erdbebenkatastrophe in Haiti.
Die geringe Kontinuität der Berichterstattung droht Klischees und Vorurteile über die jeweiligen Krisen im öffentlichen Bewusstsein dauerhaft zu verankern und das Image von der hoffnungslosen oder verlorenen Krisenregion zu erhärten.
Gefahren und Chancen durch neue Medientechnologien
Wenn wir über heutigen Krisenjournalismus sprechen, führt an sozialen Medien kein Weg vorbei; das haben zuletzt eindrucksvoll Beispiele wie die Aufstände in London oder die Revolutionen in Nordafrika gezeigt. Neue Medientechnologien werden im Zusammenhang mit der Krisenberichterstattung jedoch als ambivalent eingeschätzt, hat unsere Studie ergeben. Zwar können die Authentizität und Aktualität einzelner Blogger im Vergleich zu den eher monolithisch wirkenden Nachrichtenorganisationen mit ihren Starreportern ganz wesentlich die aktuelle Vermittlung und Wahrnehmung von Krisen bestimmen.
Auch ergänzen die neuen Kommunikationsmedien die Arbeit der Krisenjournalisten auf vielfältige Weise, zum Beispiel durch Mehrwert bei Recherchen oder wenn es darum geht, Stimmungen und Meinungen der einheimischen Bevölkerung in die Berichterstattung einfließen zu lassen.
Blogs und soziale Medien wie Twitter erschweren die journalistische Quellenprüfung jedoch. Zu unsicher sind die Identitäten derjenigen, die eine Nachricht absetzen, zu wenig belastbar die Herkunft der von ihnen angebotenen Informationen. Die Suche nach validen Quellen wird für Krisenjournalisten eher unübersichtlicher und stellt sie vor unbekannte Herausforderungen, weil herkömmliche Prüfmechanismen in der digitalen Umgebung nicht eins zu eins anwendbar sind, sondern neue Strategien erfordern.
Obwohl der vor allem durch die Iran-Krise 2009 ausgelöste Hype um Twitter, Facebook oder Blogs als primäre Quellen für Nachrichten aus erster Hand längst nicht mehr neu ist, bleibt das handwerkliche Rüstzeug von Krisenjournalisten gleich. Noch wurde kein Weg gefunden, Aussagen auf diesen Kanälen verlässlich zu verifizieren und einzuordnen.
Agenda-Setting an der Heimatfront
Bei der journalistischen Themensetzung (Agenda Setting) ist der Korrespondent nach Aussage der Befragten unserer Studie das schwächste Glied in der Berichterstattungskette. Die Heimatredaktionen stützen sich häufig auf die herrschende Nachrichtenlage führender Leitmedien wie der „New York Times“, CNN, BBC und richten ihre aktuelle Agenda insbesondere nach den Eilmeldungen der großen Agenturen aus, so dass gegenläufige Meinungen und Perspektiven tendenziell unberücksichtigt bleiben.
Gegen diesen publizistischen Einfluss kann sich die Einschätzung der Korrespondenten, was vor Ort wichtig und relevant ist, immer seltener durchsetzen: Eigene Sichtweisen, Interpretationen und Analysen müssen sie aufwendig und teilweise gegen den Willen der Redakteure durchsetzen. Dass die eigenen Krisenreporter Krisensituationen in den betreffenden Regionen besser einschätzen und schlüssiger einordnen können, wird geflissentlich ignoriert. An der Heimatfront herrscht somit ein ‚gefühltes Desinteresse‘ gegenüber ohnehin vernachlässigten Themen.
„Ohne Risiko keine Krisenberichterstattung“
Seit Beginn des weltweiten Kriegs gegen den Terror sind Krisenjournalisten selbst verstärkt zu Opfern von Gewaltakten und Geiselnahmen geworden. In einigen Krisenregionen werden sie nicht mehr als neutrale Beobachter und Rechercheure akzeptiert. Terroristen sehen ihre Entführung als Chance, hohe Lösegeldsummen von den westlichen Regierungen und Medienunternehmen zu erpressen oder eine breite Medienpräsenz zu erwirken, was die Gefahr erhöht, dass Krisenjournalisten für bestimmte Interessen vereinnahmt und als Spielball krimineller Anliegen missbraucht werden.
Die befragten Korrespondenten versuchen sich mit Maßnahmen gegen die gefährlichen Unwägbarkeiten bei ihren Kriseneinsätzen zu wappnen, die hauptsächlich auf individuellen Erfahrungen basieren. Das Gros der befragten Krisenreporter versucht dabei jedoch auch, den Zwang zu spontanen Instinkthandlungen und Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu vermeiden, um das Wohl und Wehe nicht Glück und Zufall zu überlassen.
Dennoch bekennen die Befragten, dass der Versuch, Kontrolle über das Chaos zu gewinnen, immer Grenzen habe. Es gelte stets: „Ohne Risiko keine Krisenberichterstattung“, wie Antonia Rados es ausdrückt. Wichtig sei jedoch, so Christoph Reuter vom „Spiegel“ (ehem. „Stern“), dass die Vernunft, und nicht nur die eigene, unter Kontrolle bleibe: Man sollte „keine zu großen Risiken eingehen. Denn genau das machen ja viele, dass sie sagen: ‚Wenn ich 1000 Dollar dafür kriege, dann mache ich alles!‘ Man findet immer jemanden, der sein eigenes Leben für 1000 Dollar auf Spiel setzt, leider aber dann auch das des Journalisten, mit dem sie unterwegs sind.“
Das „Palestine-Syndrom“: Unter Kollegen
Längst nicht alle Krisenjournalisten, das hat unsere Umfrage auch ergeben, entsprechen dem Prototypen des sich durch ein Krisengebiet kämpfenden Reporters, der sein Leben riskiert. Ein gutes Beispiel: ein beispielloses Phänomen, das wir nach dem bekannten Hotel Palestine in Bagdad als Palestine-Syndrom bezeichnen.
Wenn die Welt im Chaos versinkt, hocken hier und an anderen Orten einige Korrespondenten nicht nur sprichwörtlich aufeinander, sondern sie versuchen häufig auch, sich gegenseitig auszustechen. Das Zusammensein einer großen Zahl an Krisenreportern ergebe nämlich keineswegs automatisch eine verschworene Gemeinschaft, sagt Katrin Sandmann (ehemals N24). Ganz im Gegenteil: Diejenige Korrespondenten, die Erfahrung hätten, würden um alles in der Welt einen Lagerkoller vermeiden wollen. Daher gebe es so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl oder ein ausgeprägtes Miteinander nur unter ganz wenigen Kollegen.
Der Charme der Hotelberichterstattung entspringe oft einzig und allein der Möglichkeit, seinen Stress mit spontanen Journalisten-Partys abzubauen, um sich vom schweren Druck des Arbeitsalltags im Krisengebiet und vom Wahnsinn der Krise selbst abzulenken. Die generelle Stimmung unter den Kollegen habe sich jedoch zusehends verschlechtert. Einzelne Befragte wie „Spiegel Online“-Chefreporter Matthias Gebauer berichten davon, dass Journalisten in Krisengebieten mitunter versuchen würden, sich gegenseitig zu beschatten und auszuspionieren.
Von „Stringern“ und „Fixern“
„Ohne Stringer oder Dolmetscher kommt man im Grunde nicht mehr aus, wenn man in die Tiefe recherchieren will und nicht nur im Hotel hocken möchte.“ Gebauer hat den Wert von lokalen Helfern und Helfershelfern bei der Recherchetätigkeit in Krisengebieten zu schätzen gelernt. Stringer fädeln gemäß der Ursprungsbedeutung des englischen Begriffs ein, sie legen Schnüre, knüpfen Kontakte. Für ausländische Journalisten sind sie durch ihr Detailwissen für eine bestimmte Region meist mehr als bloße Dienstleister, die logistische oder sprachliche Hürden überwinden.
Stringer oder Fixer, also Personen, die umgangssprachlich etwas zum Laufen bringen, sind auch Ratgeber in unbekannten und unsicheren Gegenden und Kontexten. Sie recherchieren und organisieren und tragen mit ihrem Erfahrungsschatz entscheidend dazu bei, wie und zum Teil auch worüber aus Krisengebieten berichtet wird.
Aus der großen Abhängigkeit des Korrespondenten von seinem Informantennetzwerk und der organisatorischen Unterstützung von Stringern und Fixern entsteht ein professionelles Gefangenen-Dilemma, weil Manipulation und Missbrauch nie gänzlich ausgeschlossen werden können, insbesondere wegen der in erster Linie geschäftlichen Beziehung zwischen Krisenjournalisten und einheimischen Helfern. Das Verhältnis steht auf wackeligen Füßen der zunehmenden Unprofessionalität von Stringern, die in Abwerbungen durch Konkurrenten, Käuflichkeit und Parteinahme ihren Ausdruck findet.
„Der Weg zum Krieg führt über die Armee“, sagt Katrin Sandmann und spricht damit nicht nur eine Binsenweisheit aus: Für viele Journalisten ist der Schulterschluss mit dem Militär alternativlos, um aus Territorien zu berichten, die nicht oder nicht ausreichend unter staatlicher Kontrolle stehen und damit als unsicheres, gefährliches Kampfgebiet gelten.
Entsprechend haben Krisenreporter auch hier mit der Schwierigkeit zu kämpfen, sich in die Obhut einer staatlichen Ordnungsmacht und dadurch in deren direkte Abhängigkeit zu begeben. Sich von der Bundeswehr oder dem Militär der NATO-Bündnispartner einbetten zu lassen, ist laut Auskunft der befragten Korrespondenten mittlerweile eine anerkannte Recherchemethode, über die gemeinhin keine hitzigen Debatten (mehr) geführt werden.
Die offenkundigen Vorteile für Krisenreporter beträfen in erster Linie die ungehinderten Einblicke in die Organisationsabläufe und in die Psyche der Soldaten – ein Thema, das automatisch wichtiger wird, sobald sich eine Nation im Ausland militärisch engagiert. Allerdings birgt das Embedding das Risiko eines professionellen Distanzverlusts, der den unvoreingenommenen Blick der Korrespondenten auf die jeweilige Krise manipulieren könnte und von den Reportern kaum offen thematisiert wird. Wer sich embedden lasse, könne kaum etwas gegen die korrumpierende Nähe ausrichten.
Auf dem Prüfstand
Wir stellen hier auch zur Diskussion, wie der Krisenjournalismus verbessert werden kann. Ob es in den Redaktionen verbindliche Richtlinien und Kodizes für Krisenfälle geben sollte und was im Umgang mit Terroristen, etwa bei Geiselnahmen, während der Berichterstattung zu beachten ist. Allesamt wichtige Fragen in diesem immer wichtiger werdenden Feld der journalistischen Zunft, die nicht oft genug gestellt und erst recht nicht beantwortet werden.
© Rita Kohel
Um über mögliche praxisorientierte Konzepte sprechen zu können lassen sich einige maßgebliche Kernprobleme des Tätigkeitsfeldes zusammenfassen. Zum einen wird eine Vorbereitung von Kriseneinsätzen wird als problematisch eingeschätzt, wobei das zuweilen praktizierte autodidaktische Prinzip enorme Risiken birgt. Für eine psychologische Nachbereitung von Kriseneinsätzen gibt es keine verlässlichen Anlaufstellen und Abläufe in den meisten Heimatredaktionen.
Der zunehmende Zeit- und Arbeitsdruck, der auf den Heimatredaktionen lastet, untergräbt die Sicherheit, Unabhängigkeit und Betreuung der eigenen Krisenreporter. Krisenjournalisten sind häufig auf sich gestellt und müssen sich gerade in Gefahrensituationen bisweilen auf die eigenen Erfahrungswerte und den gesunden Menschenverstand verlassen.
Auch ist die Qualität der Krisenberichterstattung insgesamt verbesserungswürdig, vor allem, was die Unterstützung und den Austausch mit den Reportern vor Ort angeht.
Eine Krise folgt der nächsten, doch in den Redaktionen mangelt es trotz der Frequenz der Ernstfälle weithin an Lösungen. Ausgehend von den analysierten Intensiv-Interviews sowie im Rückgriff auf den allgemeinen Forschungsstand zu den Defiziten im Krisenjournalismus schlagen wir zunächst folgende strukturelle Verbesserungen vor:
- Die zunehmenden Probleme im Krisenjournalismus erfordern ein klares krisenjournalistisches Berufsprofil, zugeschnittene Verhaltenskodizes und redaktionelle Guidelines.
- Eine Zusatzausbildung zum Krisenjournalisten würde über die anekdotische Qualität vereinzelter Seminare über journalistische Kriseneinsätze hinaus zu einem tieferen Verständnis der berufsethischen Prinzipien sowie zu einem schärfer konturierten Berufsbild des Krisenjournalisten insgesamt beitragen.
Neben den strukturellen lassen sich ferner handwerkliche Verbesserungsmaßnahmen diskutieren, die an den Möglichkeiten der Vor- und Nachbereitung von Krisensituationen ansetzen:
- Um ausgewogen über Krisen oder Kriege zu berichten, muss der Journalist zunächst speziell und umfassend sein journalistisches Wissen trainieren und sein Gewissen schärfen.
- Während die inhaltlich-praktische Vorbereitung maßgeblich in der Eigenverantwortung der Krisenjournalisten liegt, müssen Verlage, TV-Sender und den Berufsverbände eine Optimierungsstrategie bei der redaktionellen Vor- und Nachbereitung von Kriseneinsätzen einfordern, vor allem in punkto eines stärkeren Engagements und Zuschnitts bei der journalistischen Aus- und Weiterbildung.
- Es sollten redaktionsinterne Manöverkritiken installiert werden, die sich auch um solche handwerklichen und psychologischen Probleme kreisen, die nicht unbedingt oberflächlich erkennbar sind.
- Ein Teil der befragten Journalisten wünscht sich Kurse zu praktisch-handwerklichen Problemen des alltäglichen Lebens und der konkreten Berichterstattung aus Krisenregionen, die es vor allem ihren jungen und nachkommenden Kollegen weitgehend ersparen würde, unvorbereitet in die unsichere Fremde zu reisen und dort mit einem vagen Bauchgefühl alleine gelassen zu werden.
- Mit den gestiegenen Risiken für Leib und Leben in vielen Teilen der Welt werden auch praktische Sicherheitstrainings notwendig, die auf die widrigen Umstände für Krisenreporter ausgerichtet sind.
- Ein ebenso vielversprechendes wie in einigen Redaktionen schon länger angedachtes Modell zur Vor- und Nachbereitung von Krisenreportern ist die Einrichtung sogenannter redaktioneller Task Forces im Bereich der Krisenberichterstattung. Hierbei handelt es sich um Sonderredaktionen, die zum Beispiel ressortübergreifend zusätzliche Mitarbeiter einbezieht, die schon einmal im Kriseneinsatz waren oder sich darauf vorbereiten wollen.
- Eine weitere Maßnahme wäre der Zugriff auf jüngere Researcher und Fact-Checker, die vom Redaktionstisch aus die Krisenreporter vor Ort bei Recherchen, Kontaktaufnahmen oder zum Informationsaustausch gezielt und dauerhaft unterstützen, so dass Krisenreporter seltener auf sich allein gestellt sind und sich auf zuverlässige Zuarbeiter berufen können.
Werden sonst für alle möglichen Bereiche Richtlinien etabliert, mangelt es hieran in der Krisenberichterstattung. Verlage und TV-Sender müssen endlich (an)erkennen, dass der Journalismus im praktischen Umgang mit Ausnahmesituationen aber genau solche Handreichungen benötigt, die sich nicht nur mit dem Handwerk beschäftigen, sondern auch festschreiben, was es überhaupt bedeutet, als professionelle Vorkämpfer aus solchen Gebieten zu berichten.
Um die ideologische Unabhängigkeit, Authentizität und Glaubwürdigkeit internationaler Krisenberichterstattung gewährleisten zu können, müssen Ausbildung, Recherchemöglichkeiten und Sicherheitsbedingungen der Journalisten kontinuierlich verbessert werden. Hierdurch könnte sich die Presse auch effektiver dagegen wappnen, dass aus Krisen voyeuristische Medienspektakel und aus Krisenreportern unfreiwillige Spielbälle politischer Interessen werden.
Dieser Text ist ein Destillat der Erkenntnisse aus dem Buch „Die Vorkämpfer. Wie Journalisten über die Welt im Ausnahmezustand berichten“ der VOCER-Herausgeber Stephan Weichert und Leif Kramp (Herbert von Halem Verlag, 2011).