Hohle Idole
„Es gibt so viele verschiedene Images wie es Menschen gibt. Du musst nur herauskriegen, welches Deinem Naturell am ehesten entspricht und welches den am meisten gewünschten Effekt erzielt“ – Heidi Klum in iherm Buch „Natürlich erfolgreich„
Die „Selbstentfaltung„, die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ihrer Kandidaten, so behaupten es sowohl Dieter Bohlen wie Heidi Klum, stünde im Zentrum ihrer Castingshows. Sie selbst geben dafür Tipps und strenge Hinweise. Ihr eigenes Leben führen sie als Beispiel für realisierte Erfolgsorientierung vor. Auch Daniela Katzenberger transportiert diese Lehre: Man kann sich selbst zu vorher ungeahnten Erfolgen aufschwingen, wenn man nur einen einmal eingeschlagenen Weg konsequent verfolgt. Für sie alle ist die „Selbstentfaltung“ identisch mit maximaler Selbstvermarktung.
Die Autorität, die sie repräsentieren, ist der Markt. Für sie alle ist die Entfaltung der Persönlichkeit keine Kategorie jenseits der Ökonomie, die auf höchste subjektive Individualität zielt oder psychologische Zufriedenheit meint. Ihr „Selbst“ ist auf Resonanz gepolt. „Es ist schön zu hören“, schreibt Dieter Bohlen, „dass mich jemand gern im Fernsehen sieht. Menschen, die geben ihr Geld aus, weil sie meine Musik lieben. Was für eine Bestätigung!“ Die schönste Bestätigung besteht jeweils darin, dass andere Menschen bereit sind, für Bohlen, Klum, Katzenberger oder mit ihnen verbundene Produkte Geld auszugeben.
Ökonomie der Aufmerksamkeit
Darum sind Bohlen, Klum und Katzenberger – völlig unabhängig von dem, was sie als Individuen insgeheim empfinden oder denken mögen – vor allem Medienfiguren, die es ihrerseits bereits zum Status einer „Marke“ gebracht haben. Sie empfinden dies keineswegs als Entfremdung, sondern als ihre eigentliche Bestimmung.
Aus diesem Grund bestehen sie in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung auch darauf, dass sie tatsächlich so sind, wie wir sie kennen. Sein und Schein sollen deckungsgleich sein. Bohlen versichert, dass er nie Stuss erzähle wie man ihn in Rhetorikkursen angelernt bekomme. Er könne einfach nicht anders, als stets seine wahre Meinung zu sagen. Wer sich verstelle, werde auf Dauer wahnsinnig.
Für Heidi Klum kommt alles auf den Eindruck an, den man hinterlässt. Offensiver als Bohlen bejaht sie den Warencharakter der eigenen Figur. „Wenn du allen ein Begriff bist, wollen sie mehr von dir haben. Es mag krass klingen,“ gibt sie als Devise aus, „aber du musst dich zu jemandem machen, um dich länger im Regal halten zu können.“
Daniela Katzenberger geht ohnehin nur staunend durch die verrückte Medienwelt, in der scheinbar alles zu Gold wird, was sie anfasst. Von der Haarfarbe über das Lippgloss bis zum Busen ist alles künstlich, aber weil sie selbst immer wieder den Zuschauer direkt anspricht auf die komische Welt da draußen, die sie überfordert, wird dieses künstliche Wesen von seinen Fans als besonders „echt“ wahrgenommen.
Fernsehen als Börse
„Die Marke stellt einen Finanztitel in der Ökonomie der Aufmerksamkeit dar,“ notiert Georg Franck, der als erster über diese spezielle Ökonomie nachgedacht hat. „Marken haben, wie Stars, einen Kurswert, der in Präsentationsfläche und Zeit notiert wird.“ Für Figuren wie Bohlen, Klum und Katzenberger, die selbst zu Marken geworden sind, ist das Fernsehen nach wie vor das zentrale Medium. Im privatwirtschaftlich organisierten Fernsehen bringt die Werbung das Geld ein, das nötig ist, um alles zu zeigen, was Rang und Namen hat. Die Aufmerksamkeit, die denen mit Rang und Namen entgegengebracht wird, dient einem Ranking nach Markenwert.
Für Bohlen, Klum, Katzenberger und andere „Promis“ wirkt das Fernsehen deswegen wie eine Börse, an der sie notiert sind. Wer hoch notiert ist, kann wiederum mit seinem Rang und Namen Produkte veredeln, für deren Anpreisen das Fernsehen Geld einnimmt.
Von der Tupperdose bis zum MacBook: Die Marke zählt
Aus Sicht des Konsumenten ist die Markenbildung wichtig, weil nur die Marke stabile Konsumerwartungen verlässlich erfüllt. Es ist kein Zufall, wie Coca Cola schmeckt. Der Konsument darf zudem erwarten, dass dieses Getränk überall auf der Welt in etwa gleich schmeckt. Er kann sich seiner Sache sicher sein. Zu jeder Marke gehören deswegen feste Attributierungen, die sicher mit dieser Marke verbunden sind. Wer „VW“ hört, erwartet keinen rassigen Sportwagen. Wer bei McDonalds einkehrt, war nicht auf der Suche nach einem Gourmet-Restaurant. Aber er weiß in etwa, wofür jeweils die Marke steht. Die wichtigste Voraussetzung jeder Markenbildung ist, dass die Marke bekannt ist. Die Marke kann aber auch die Kraft haben, Gemeinschaften zu bilden. Dem für sein Design berühmten Konzern Apple sagt man das nach, aber es gilt analog auch für Tupper-Töpfe.
Auch für die Fernseh-Promis ist es wichtig, dass ein großer Bekanntheitsgrad fest mit eindeutigen Zuschreibungen gekoppelt ist.
Der unverschämte Pop-Titan
So wird Dieter Bohlen von seinem Sender keineswegs ironisch als „Pop-Titan“ vorgestellt. Zu seinem Image gehört, dass er als dominanter, lauter Chef auftritt. Er ist hart, gnadenlos, ein Macho, der es schrill mag und lieber provozierend und laut seine Meinung sagt als sie diplomatisch zu verpacken oder gar höflich zu artikulieren. Er gilt als ehrlich, weil er unverschämt ist. Er sagt, wie es ist. Er glaubt nicht an „idealistische Flausen“, sondern bekennt sich offen zu rücksichtslosem Egoismus. Er verfolgt seine Interessen und ist ein Vermarktungsgenie. Er trifft den Massengeschmack und weiß, was die Leute hören wollen. Das serviert er ihnen.
So lauten die Eigenschaften, die mit Bohlen verbunden werden. Diese trennscharfen Attribute festigt er nicht nur permanent in seinen Shows, sondern er transferiert sie wiederum auf andere Marken, für die er mit seinem Gesicht bürgt. So kann er Reklame machen für die schrillen Hemden der Marke „Camp David“, aber kaum für besonders elegante Anzüge. Es würde nicht zu Bohlen passen, würde plötzlich bekannt, dass er in seiner Freizeit Wittgenstein liest, versucht den französischen Soziologen Pierre Bourdieu zu verstehen oder ein heimlicher Fan der Molekularküche Ferran Adriàs ist.
Die knallharte Mode-Mama
Zu Heidi Klum gehört natürlich die Wandelbarkeit des Models. Darum wird sie zwar einerseits als strenge Lehrerin und unfehlbare Autorität, andererseits aber auch als sich kümmernde „Model-Mama“ in Szene gesetzt. Das wichtigste ist aber, dass es fest zu ihrem Image gehört, dass sie absolut geschäftstüchtig ist. So konnte auch sie schon für eine Reihe recht unterschiedlicher Marken als Testimonial bürgen: von Kosmetikprodukten über Autos bis hin zu Fruchtgummis, die sie sich zwischen die Zehen klemmte.
Was verbinden wir mit Heidi Klum? Eine besondere Form von Schönheit, die man auch als durch Disziplin hergestellte und gebändigte Schönheit begreifen kann. Klum symbolisiert nicht die grenzenlose Wildheit einer femme fatale, sondern eine Mischung aus Bodenständigkeit und Weltläufigkeit. Strenge ist ihr eigen. Sie strebt eine ständige Kontrolle ihrer Außenwirkung an. Dabei hat sie aber auch das Zeug zu selbstironischen Einsprengseln. Sie macht keine halbe Sachen. Wenn sie etwas tut, dann engagiert sie sich mit Haut und Haaren. Als sie für die Drogeriekette Douglas warb, trug sie selbst zur Auslosung der Fußballweltmeisterschaft ein Kleid im Türkiston dieser Firma. Heidi Klum könnte für allerlei Artikel aus den Bereichen Mode, Fitness oder Kosmetik glaubhaft werben, nicht aber als Muse von Karl Lagerfeld auftreten und kaum Vertrauen spendend für besonders kostspielige oder kulturell elitäre Marken einstehen.
Das einfache Plaudermädchen
Der schnelle Ruhm der Daniela Katzenberger wird schon rundum und multimedial vermarktet. Sie hat eine CD herausgebracht und ein Buch, Cafes eröffnet, tritt allenthalben gegen Honorar auf und ist dabei, mit ihrem Namen allerlei Mode-Linien zu begleiten. Für Katzenberger ist es typisch, dass sie in Situationen gestürzt wird, die ihr fremd sind oder die sie überfordern. Das wird gezeigt und zugleich kann sie sich dann direkt an das Publikum wenden und ihren Empfindungen Ausdruck geben. So wirkt sie echt, obwohl sie doch bis an den Rand einer Karikatur künstlich ist.
Diese vermeintliche Echtheit und Einfachheit ist ihr Marken-Kapital. Sie zeigt, dass man ohne jedes Können mithalten kann, wenn es darum geht, berühmt zu werden. Sie ist ein Aufsteiger-Vorbild. Ihre Botschaft: „Jeder kann es schaffen“ ist auf andere Marken übertragbar. Sie kann z.B. der plastischen Chirurgie alle Exotik nehmen und zeigen, dass diese längst zur alltäglichen Körperoptimierung gehört. Sie kann Reklame machen für Lipgloss und einfachen Schmuck. Wenn Schuhe mit ihrem Namen verbunden werden, dann sind diese natürlich rot, hochhackig und kosten weniger als 100 Euro. Für einfache Produkte aller Art ist die Marke Katzenberger aktivierbar: vom Flatrate-Telefonieren bis zur Tiefkühlkost. Sehr viel schwerer würde es schon, Daniela Katzenberger mit Tüchern von Hermés auszustatten oder sie für das Rheingau-Musikfestival werben zu lassen.
Zum Markenkern der Medienfigur Daniela Katzenberger gehört die Behauptung, sie sei trotz allen Ruhm und Rummels so geblieben wie sie immer war, ein unbedarftes Mädchen von nebenan. Dies limitiert natürlich den Markentransfer. Vermutlich ist Daniela Katzenberger eher für die schnelle Vermarktung geeignet als für eine nachhaltige Entwicklung.
Innovationsstau und Langeweile
Die Basis von allem und für alles aber ist die Fernsehpräsenz dieser Medienfiguren, die selbst zu Marken geworden sind. Ihre Shows müssen verlässlich funktionieren. Darum wird wiederholt, was sich bewährt hat. Also wird Bohlen auch in Zukunft hilflose Kandidaten mit unverschämten Sprüchen demütigen und am Ende einen Sieger in höchsten Tönen loben und ihn in die Charts bringen.
Also wird Heidi Klum auch in Zukunft wie eine strenge Gouvernante hübsche Halbwüchsige in ein gnadenloses Gegeneinander treiben und zum gehorsamen Mitmachen bei absurden Aktionen erziehen. Es können weiterhin Koffer durchs Bild gezogen werden oder Schminkutensilien verteilt werden, für die anschließend in den Werbeblöcken Reklame gemacht wird. Im Bewährten steckt aber zugleich die größte Gefahr: für die Zuschauer kann es langweilig werden, wenn sich von Castingshow zu Castingshow eigentlich nur die Vornamen der Kandidaten verändern.
Die Sendung „Natürlich blond“ mit Daniela Katzenberger kann im Prinzip endlos verlängert werden. Immer kann die Protagonistin irgendwo hin geschickt werden, wo sie sich nicht auskennt. In fremde Länder, auf den Golfplatz, in die Oper, sie kann Häuser bauen und Kinder unterrichten, in einen Tanzkurs gehen oder Ozeane überqueren. Aber auch das erschöpft sich. Also müssen Innovationen her.
Ständiger Überbietungswettlauf
Es gibt kaum etwas, das so verlässlich zu prognostizieren ist, wie die kommenden Innovationen im Fernsehen. Gemeint sind dabei nicht die technischen Neuerungen. Denn was passiert, wenn die Shows lahmen? Sie werden aufgepeppt. Ständig verhandeln die Macher neu mit dem Publikum, welche Attraktionen diese sehen wollen. Alles soll so sein wie das bereits Dagewesene, nur lauter, härter, schriller. Das ist der Regelfall. Also werden die Sensationen noch sensationeller und die Sentimentalitäten noch sentimentaler.
Nur ausnahmsweise geht es in die andere Richtung. Auch die Zuschauer erwarten wie selbstverständlich solche Steigerungen. Das wichtigste in diesem ständigen Überbietungswettlauf aber sind die „Promis“. Also müssen sie noch geballter auftreten. Darum veranstaltet nach Günther Jauch nun auch Stefan Raab die nächste politische Talkshow. Darum hat RTL das einstige „Wetten, dass….?“-Team Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker für die Sendung „Das Supertalent“ als Ko-Juroren dem „Chef-Juror“ Dieter Bohlen an die Seite gestellt.
Sehen und gesehen werden
Wer die Prominenz von Waren durchsetzen will – das ist der Zweck von Werbung – wirbt gerne mit den Promis als Marken. Das ist aktuell schon ein gutes Geschäft und es wird ein zukunftsträchtiges Geschäft bleiben. Es kann sogar über Krisen der industriellen Produktion hinweg tragen. „Kurz, der Wunsch zu sehen und gesehen zu werden, sorgt für Wachstum nicht nur in der Ökonomie der Aufmerksamkeit“, schreibt Franck, „sondern auch in der Ökonomie des Geldes. Die Wachstumspole liegen entlang der Schnittstellen, durch die die Ökonomien wechselwirken.“
Die einen sind bekannt, weil sie bekannt sind. Sie sind als TV-Figuren Marken und können deswegen auch andere Produkte, die zu ihnen passen, zu bekannten Marken machen. Dafür bekommen sie Geld. Je bekannter sie sind, desto mehr. Die Werbeeinnahmen finanzieren wiederum das Fernsehen, dass sich dann im Programm teure Promis leisten kann. Das ist die klassische Wechselwirkung.
Dafür, dass alles zur Marke wird und die grundlegenden Kategorien ökonomische sind, ist natürlich auch ein Preis zu zahlen. Markenbildung bedeutet immer auch einen Verlust von Vielfalt und die Reduktion auf Typisches. Individuen können so zu Stereotypen mutieren. Für Bohlen, Klum und Katzenberger gehört das zur Rezeptur von „Erfolg“.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Bernd Gäbler, OBS Arbeitsheft 72: Hohle Idole – Was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht, Otto Brenner Stiftung, Frankfurt, 123 Seiten. Die Studie kann als PDF-Datei kostenlos heruntergeladen werden.