Holger Kreymeier: Im Kampf gegen das Billigfernsehen
Es ist 16 Uhr, als ich im kleinen Büro mit nur zwei Schreibtischen und einem Fenster auf Holger Kreymeier warte. Sein Arbeitsplatz wirkt wie eine dunkle Höhle, kreatives Chaos in jeder Ecke. Sein Büro im Hamburger Osten ist mittlerweile sein zweites Zuhause. Kreymeier ist ein bisschen außer Atem, als er die Tür seines Büros öffnet, aber gut gelaunt.
VOCER: Herr Kreymeier, weshalb haben Sie Fernsehkritik-TV gegründet haben?
Holger Kreymeier: Ich bin ein Kind der 70er und habe ein anderes Fernsehen kennengelernt. Ich war immer erschrocken darüber, was aus dem guten alten Fernsehen geworden ist. Als ich 2007 mit Fernsehkritik-TV anfing, war gerade die Zeit der Abzockereien, mit Sendungen wie 9Live. Die Leute wurden knallhart über den Tisch gezogen. Die Zuschauer mit ein bisschen Verstand mussten doch aber merken, dass das alles Schund war. Das war ja mittlerweile schlimmer als in einem Casino, also wollte ich diese Art von Sendungen kritisieren. Das war dann für mich der Aufhänger, Fernsehkritik-TV zu starten.
Wie sah das Format am Anfang aus?
Zunächst habe ich eher die unfreiwillige Komik mancher Fernsehsendungen in den Mittelpunkt gestellt. Ich wollte mich, ehrlich gesagt, nur über das schlechte Fernsehen lustig machen. Dann kam aber doch schnell der Journalist und Kritiker in mir durch. In erster Linie steckt in meiner Kritik viel Polemik und Spott. Manchmal provoziere ich auch einfach gerne, wenn mir etwas besonders dumm vorkommt. Es ist aber auch konstruktive Kritik dabei, wenn es sich um ernste Themen wie Kriegsberichterstattung handelt. Ich möchte natürlich auch mithelfen, einen gewissen Druck auf das Fernsehen auszuüben, damit es bestimmte Dinge gar nicht mehr sendet. Und da haben wir ja schon etwas erreicht, was die Abzockerei angeht. Mittlerweile gibt es die im Fernsehen so gut wie gar nicht mehr, nur auf einigen Minisendern, wie Sport1. Aber ich glaube kaum, dass sie bei ihren Call-in-Gewinnspielen viel Geld einnehmen. Die Abzockereien sind aus dem deutschen Fernsehen weitestgehend verbannt.
Würden Sie behaupten, dass sich das Fernsehen bis heute vollständig zum Schlechten entwickelt hat?
Schlecht ist vielleicht das falsche Wort. Das Fernsehen war damals handwerklich anspruchsvoller und mehr darauf bedacht, dem Zuschauer wenigstens ein Mindestmaß an Bildung oder kulturelle Inhalte zu liefern. Ich habe das Gefühl, dass die Leute beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk damals leidenschaftliche Fernsehmacher waren. Sie haben Fernsehen für den Zuschauer gemacht, damit sie sich gut unterhalten und informiert fühlten.
Heute veranstalten die Privatsender irgendwelches Billigfernsehen, weil sie wissen, dass die Zuschauer eh einschalten, egal, was sie ihnen bieten. Verändert hat sich, dass die Ansprüche der Zuschauer viel geringer geworden sind als früher. In den 80ern haben die Privatsender zunächst noch versucht, sich an den Öffentlich-Rechtlichen zu orientieren, aber das hat sich im Laufe der Zeit umgedreht. Mittlerweile orientieren sich die Öffentlich-Rechtlichen nur noch an den Privaten. Es geht nur um die Einschaltquote.
Haben Sie eine Lösung dafür, wie Sie die typischen Privatfernseh-Zuschauer zum Umdenken bringen können?
Es kommt immer mal wieder vor, dass ich meistens von jungen Leuten E-Mails bekomme, die mir schreiben, dass sie sich den ganzen Mist früher reingepfiffen haben, aber seitdem sie Fernsehkritik-TV kennen, haben sie eingesehen, dass das verschwendete Lebenszeit war. Es ist nicht einfach, die Leute zum Umdenken zu motivieren. Die Meisten wollen wahrscheinlich auch gar nicht wissen, wie es wirklich ist und haben ihren Spaß daran, sich über Sendungen wie „Schwiegertochter gesucht“ lustig zu machen, wo die armen Menschen einfach nur vorgeführt werden.
Aber ganz praktisch: Wie betreibt man Aufklärung?
Manchmal lade ich Videos bei YouTube hoch, die einen durchaus populären Charakter haben. Es ist noch nicht lange her, da hat sich ein junger Mann bei mir gemeldet, der ganz böse beim Erstwählercheck bei TV Total vorgeführt wurde. Da werden ja junge Leute interviewt, wobei ihnen Allgemeinwissensfragen gestellt werden und dann kommen da die blödesten Antworten bei heraus, wo man sich nur noch fragen kann, was aus unserer Jugend einmal werden soll. Und der Typ meinte, dass ihm nicht gesagt wurde, dass es für das Fernsehen ist, oder dass es überhaupt ausgestrahlt werden würde. Stattdessen habe man ihm erzählt, dass die Aufnahme nicht öffentlich sei und er sich bewusst doof stellen solle, weil sie ein Casting machen wollen würden für eine Filmnebenrolle. Da wurde dann natürlich auf YouTube auch wie wild kommentiert. So kann man dann ein Stück weit etwas bei ihnen erreichen. Vielleicht kommen sie dadurch dann auch ins Zweifeln, ob das Fernsehen wirklich immer so aufrichtig ist, wie sie es glauben.
Neben der Website betreiben Sie auch den YouTube-Kanal Massengeschmack. Was hat es damit auf sich?
Ich hatte immer den Traum, ein eigenes Portal aufzubauen. Nicht so wie ein Fernsehsender, trotzdem sollten dort verschiedene Themen bedient werden. Ich hatte die Idee bisher immer nur im Kopf gehabt, bis ich die Möglichkeit bekam, in Wandsbek ein Studio zu mieten.
YouTube-Kanäle gibt es wie Sand am Meer. Wie baut man einen neuen auf?
Wir haben mit drei Formaten angefangen und dann das Publikum gefragt, was sie interessiert. Da kam dann heraus, dass wir uns nun zwei Mal im Monat hinsetzen und filmen, wie wir ein Brettspiel spielen und erklären. Das Format wurde dann zu Pasch-TV. Mittlerweile befrage ich das Publikum regelmäßig, welche Thematik sie sich wünschen. Seit Kurzem arbeiten wir an einem Format, das Mangas und Animes behandeln soll. Unser Hoaxilla-TV behandelt hingegen Verschwörungstheorien.
Durch Ihre Arbeit haben Sie regelmäßig Gerichtsprozesse mit verschiedenen Unternehmen am Hals. Drückt das nicht enorm auf Ihre Finanzen?
Wenn man sich mit großen Tieren anlegt, dann muss man auch damit rechnen, dass man schnell vor Gericht landet. Das ist ein Problem. Ich finde, unser Rechtssystem ist da leider nicht sehr gut organisiert. Selbst wenn ich nach langwierigem Prozess tatsächlich Recht bekomme, bin ich auf halber Wegstrecke schon stecken geblieben, weil ich in erster und zweiter Instanz verloren habe und bis dahin schon horrende Summen bezahlen musste. Ich habe dann gar keine Chance mehr bis zum Oberlandesgericht oder sogar bis zum Bundesgerichtshof mit einem Verfahren zu kommen. Wenn ein Konzern seine zehn Top-Anwälte hat, die die Kosten aus der Westentasche bezahlen können, kommt ein kleiner Blogger dagegen natürlich nicht an.
Wie also helfen Sie sich?
Mir hat es sehr geholfen, die Klagen öffentlich zu machen, sodass ich dann Spenden generieren konnte, sonst hätte ich das auch nicht geschafft. Die meisten Personen knicken schon bei der Drohkulisse ein, die ein Konzern aufbaut, also geben auf, sobald die Abmahnung vom Anwalt hereinweht, weil sie vor den Kosten scheuen. Man kann auf die Abmahnung auch einfach nicht reagieren und lässt das Geschriebene online. Da gibt es nämlich auch viele Konzerne, die sich dann einfach gar nicht mehr melden. Man muss einfach versuchen, die Nerven zu behalten und sich von der Drohkulisse nicht einschüchtern zu lassen.
Sind Sie denn bisher noch auf jeden Rechtsstreit eingegangen?
Nicht auf jeden. Vor kurzem erst hatte sich ein Rechtsstreit mit der Firma MediaShop-TV angebahnt, einem Teleshop für Haushaltswaren. Dort gibt es diese tollen Pfannen für 29 Euro, die niemals anbrennen und nicht abnutzen. Köche stehen dort an den Herden und probieren die Pfannen für die Zuschauer aus und loben natürlich, wie perfekt damit ein Omelette gelingt. Mir hat jemand Making-of-Material zukommen lassen von eben dieser Werbesendung, wo gar nichts geklappt hat. Der Koch hat dann die ganze Zeit nur herum geflucht: „Geh scheißen!“ Das war wirklich lustig. Das Material habe ich dann in einem Beitrag von Fernsehkritik-TV gezeigt. Die sind dann mit einer Einstweiligen Verfügung vor Gericht durchgekommen, weshalb ich den Beitrag dann gelöscht habe. Die Argumentation lautete, dass ich Interna des Unternehmens öffentlich gemacht hätte. Ich war mir nicht sicher, ob ich damit vor Gericht durchkommen würde, also habe ich die Unterlassung akzeptiert.