Im Auftrag des Volkes
Die Fakten sind nur wenige Buchstaben lang. „FR“, dapd, „FTD“, „WR“. Und es geht weiter: Um ihre Rendite zu sichern, entlassen deutsche Verlage Hunderte Journalisten. Das Geschäftsmodell zerfällt. Oft ist eine zweistellige Rendite wichtiger als die Qualität des Produkts.
Um das Geschäft am Laufen zu halten, ruft die Branche nach Hilfe. Der Zeitungsverlegerverband will über das Leistungsschutzrecht Google anzapfen, mehrere Verlagshäuser fordern, die bereits auf sieben Prozent reduzierte Mehrwertsteuer auf Presseprodukte ganz abzuschaffen. Und NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann will eine Pressestiftung gründen, die Journalisten ausbildet und Recherchen finanziert.
Experten sehen diese Vorschläge skeptisch. Eine Null-Prozent-Mehrwertsteuer würde nach Meinung von Fachleuten gegen EU-Recht verstoßen, und bei der geplanten NRW-Medienstiftung wird eine zu große Nähe zur Politik befürchtet. Bestehende Journalistenschulen und das gemeinnützige Bildungswerk der Zeitungen wehren sich gegen die vom Staat finanzierte Konkurrenz. Selbst aus der eigenen Partei bekommt Eumann Gegenwind. Brigitte Zypries, die frühere Justizministerin, sitzt heute für die SPD im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien. Sie sagt: „Wenn jemand Anträge stellen muss, gibt es immer auch eine gewisse Kontrolle der Ergebnisse.“ Das sei im Journalismus nicht wünschenswert.
Das Reuters Institute for the Study of Journalism an der Universität von Oxford hat vor zwei Jahren die Pressesubventionen in sechs Ländern untersucht. Die Wissenschaftler nahmen sich Finnland, Frankreich, Italien, Großbritannien, die USA und Deutschland vor. Neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk profitiert der Journalismus in diesen Ländern vor allem vom Gießkannenprinzip: Hunderte Millionen Euro an Steuererleichterungen. Das bringt aber nichts voran, sondern hält nur bestehende Strukturen am Leben, zeigt die Studie. Die Forscher schließen: Wer Subventionen für die Presse möchte, sollte neu darüber nachdenken, wie sich Recherchejournalismus und Vielfalt in der öffentlichen Debatte erhalten lassen – und wie die Politik dies unterstützen kann. Experten glauben, dass gemeinnütziger Journalismus eine Möglichkeit sein kann, um Lokaljournalismus, Auslandsbüros und investigative Recherche im Kleinen weiter finanzieren zu können.
Wenn sich Verleger immer mehr aus der Verantwortung stehlen, wenn Renditeerwartungen die Qualität vernichten: Was liegt da näher, als Journalismus ohne Rendite zu machen? Gemeinnützige Vereine, Stiftungen oder gemeinnützige GmbHs haben zwei große Vorteile: Sie müssen je nach Art ihrer Einnahmen keine Steuern zahlen, und Unterstützer können ihre Spenden wiederum von der Steuer absetzen. In den USA arbeiten bereits Tausende Journalisten auf diese Art. Das Magazin „National Geographic“ ist gemeinnützig, auch die Nachrichtenagentur „AP“. Dazu gibt es zahlreiche lokale und investigative Journalistenbüros. Vom rund 40-köpfigen Newsdesk „ProPublica“ in Manhattan bis hin zum kleinen Büro in den Rocky Mountains: Das Investigative News Network vereint 74 Mitgliedsorganisationen, die die US-Steuerbehörde IRS als gemeinnützig nach Paragraf 501(c)3 eingestuft hat.
Kevin Davis leitet das Investigative News Network. „Teure Dinge wie investigativer Journalismus sind schon immer von anderen Ressorts querfinanziert worden“, sagt Davis. „Jetzt, wo sich das Paket Tageszeitung auflöst, können Lokalteile, Auslandsbüros und investigative Recherchen immer seltener von Ressorts wie Sport und Unterhaltung mitfinanziert werden.“ In den USA entstehen immer mehr gemeinnützige Journalistenbüros. Für Journalisten gibt es dort sogar konkrete Anleitungen, wie sie die Gemeinnützigkeit beantragen. Schritt für Schritt wird im Internet erklärt, welches Formular wie auszufüllen ist. Und wer alleine nicht weiter weiß, findet Hilfe bei Kevin Davis. Das Investigative News Network hat dieses Frühjahr eine Studie vorgestellt, die konkrete Vorschläge macht, wie die US-Steuerbehörde reformiert werden sollte, um gemeinnützigen Journalismus leichter möglich zu machen. Davis‘ Meinung nach müssen Journalisten besser darin werden, Leute für den Wert ihrer Arbeit zu begeistern. Nur so bekomme man Unterstützung. „Wir brauchen eine gesellschaftliche Bewegung für guten Journalismus“, sagt Davis.
Gemeinnützige Journalistenbüros
Auch weltweit nimmt die Zahl der gemeinnützigen Journalistenbüros zu. David Kaplan leitet das Global Investigative Journalism Network. Er hat in den vergan genen Monaten die weltweiten Investigativcenter untersucht: 106 solcher Büros in 47 Ländern hat er gezählt, vor fünf Jahren waren es gerade einmal 39. In Deutschland gehört der Verein Netzwerk Recherche zu Kaplans Network, ein eigenständiges investigatives Recherchebüro gibt es hierzulande bislang noch nicht. Kaplan glaubt, dass das mit dem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammenhängt. Über ein unabhängiges, gemeinnütziges Recherchebüro in Deutschland würde sich Kaplan dennoch freuen. „Ihr habt den „Spiegel“, den „Stern“, viele gute Zeitungen und Sender – aber die können nicht alles abdecken“, sagt Kaplan. „Die bösen Jungs sind uns immer einen Schritt voraus. Ein Teil der besten Recherchen weltweit entstehen mittlerweile in gemeinnützigen Büros.“ Ein solch gemeinnütziges Journalistenbüro zu gründen, ist in Deutschland längst möglich: In Paragraf 52 der Abgabenordnung werden all jene als gemeinnützig definiert, deren „Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“. Darunter fällt auch die Bildung.
Professoren für Steuerrecht sind sich einig, dass bestimmte Spielarten des Journalismus unter den geltenden Regeln als Bildung und damit als gemeinnützig definiert werden können. Professor Joachim Englisch leitet das Institut für Steuerrecht an der Universität Münster. Für ihn kommt lediglich ein „allein auf politischen investigativen Journalismus beschränkter Verein“ als gemeinnützig in Betracht. „Eine solche Körperschaft darf dann aber nicht der Redaktion eines bestimmten Verlags zuarbeiten, ansonsten fehlt es an der Selbstlosigkeit.“ Zustimmung bekommt Englisch von seinem Kollegen Rainer Hüttemann. Der leitet das Steuerrechtsinstitut an der Universität Bonn und ist Experte für Gemeinnützigkeit. „Wichtig ist, dass man den bestehenden Medien keine Konkurrenz macht. Man dürfte zum Beispiel kein Wochenmagazin am Kiosk verkaufen, das gegen den Spiegel antritt. Unbedenklich wäre aber eine kostenfreie Weitergabe der Storys, zum Beispiel über eine Onlineseite“, sagt Hüttemann. Oberstes Ziel des Büros müsse stets die Information der Öffentlichkeit sein, das müsse in einem Redaktionsstatut festgeschrieben werden.
Von „Kontext: Wochenzeitung“ bis VOCER
Die gemeinnützigen Projekte im deutschen Journalismus kann man bislang an einer Hand abzählen. Die „Kontext:Wochenzeitung“ gehört dazu. 250.000 Euro sammeln die Stuttgarter Journalisten im Jahr ein, das ernährt fünf Redakteure. Der Großteil des Budgets stammt von 1.100 Soli-Abonnenten. Die zahlen im Jahr mindestens 120 Euro für eine Internetseite, die sie auch umsonst bekommen würden. Ihre Spende können sie von der Steuer absetzen. Getragen wird die Zeitung vom „Kontext:Verein“ für ganzheitlichen Journalismus. Die Redakteure gehen auch in Schulen: Dort bringen sie Jugendlichen bei, wie man recherchiert, was den Schülern auch beim Lernen hilft. In Zeiten sinkender Erlöse könnte das Stuttgarter Projekt Vorreiter für andere Journalistenbüros werden. Als einem der ersten journalistischen Projekte wurde 2010 dem Hamburger Medienportal VOCER die Gemeinnützigkeit bescheinigt. Ein Verein trägt das Portal, gegründet unter anderem von den beiden Medienwissenschaftlern Stephan Weichert und Leif Kramp.
Wie die „Kontext:Wochenzeitung“ ist auch VOCER unter dem Punkt Bildung als gemeinnützig anerkannt worden. „Bildung und Journalismus sind ja nicht weit voneinander entfernt. Bildung ist die DNA des Journalismus“, sagt Stephan Weichert, der an der Macromedia-Hochschule in Hamburg lehrt. „Für die Gemeinnützigkeit muss man da nichts konstruieren.“ Zwei Bildungsziele hat VOCER in der Satzung festgeschrieben: die journalistische Nachwuchsförderung und die Medienbildung. Dennoch dauerte die Anerkennung beim Finanzamt Hamburg-Nord einige Monate. Die Gemeinnützigkeit ist kein Selbstläufer, sie muss individuell vom lokalen Finanzamt bescheinigt werden und wird jährlich überprüft.
Der Bremer Medienwissenschaftler Leif Kramp sieht ein weiteres Problem: fehlendes Geld. Bislang stecken die meisten Mäzene ihr Geld in andere soziale Zwecke, nicht in den Journalismus. „Milliardäre, die Medien mit mehreren Millionen Euro im Jahr unterstützen, gibt es im Moment in Deutschland nicht – und wird es in absehbarer Zeit auch nicht geben.“Es sei jedoch wichtig, so Kramp, dass die gemeinnützigen Portale genug Förderung bekommen. Denn: Je mehr Idealismus dabei ist, „desto mehr muss man aufpassen, dass es nicht auf Selbstausbeutung hinausläuft“. Kramp findet es wichtig, dass es Journalismus abseits des marktwirtschaftlichen Wettkampfs gibt. Die gemeinnützige Trägerstruktur wäre für ihn eine wichtige Ergänzung der bestehenden Strukturen. Stephan Weicherts Fazit lautet deshalb: „Die Politik sollte lieber an dieser Stelle weiterdenken, als über das dämliche Leistungsschutzrecht zu diskutieren.“
Der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien befasst sich seit einigen Jahren immer häufiger mit neuen Finanzierungsformen für Journalismus. Bislang ging es meist um Bezahlmodelle, das Leistungsschutzrecht, die Absenkung der Mehrwertsteuer oder vom Staat zu gründende Stiftungen. Mit einer Gemeinnützigkeit von Journalismus – und wie man diese unterstützen könnte – hat sich die Politik dagegen bislang kaum beschäftigt. In den USA, wo journalistische Büros seit Jahrzehnten als gemeinnützig anerkannt werden, wissen die Steuerbehörden mit solchen Anträgen umzugehen. Eine Möglichkeit zur Unterstützung von gemeinnützigem Journalismus hierzulande wäre, die Finanzämter dafür zu sensibilisieren. Helfen könnte zum Beispiel ein offizieller Leitfaden.
„Spannende Idee“
Die meisten der angesprochenen Bundespolitiker begrüßen gemeinnützige Trägerstrukturen. Tabea Rößner von den Grünen bezeichnet sie als „spannende Idee“, die man unbedingt verfolgen müsse. Burkhardt Müller-Sönksen von der FDP steht dem Thema „generell sehr wohlgesonnen und aufgeschlossen gegenüber“, und CDU-Mann Wolfgang Börnsen verspricht, dass man die Frage der Gemeinnützigkeit jetzt mal diskutieren werde. Auch von Verlegerseite wird die Gemeinnützigkeit als eine Alternative begrüßt. Axel Springers Cheflobbyist Christoph Keese hat zwar große Abneigungen gegen direkte Subventionen, die eine von NRW-Staatssekretär Eumann vorgeschlagene Stiftung nachsichziehen könnten. Von Journalisten selbst organisierte private Unterstützung und gemeinnützige Trägerstrukturen sind für Keese aber „genau der richtige Weg“. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger hat sich mit der Lösung noch nicht näher befasst.
Einen unabhängigen Zusammenschluss von Journalisten zu einer gemeinnützigen Organisation bezeichnet Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff aber als „gute Idee, die steuerrechtlich durchaus geprüft werden sollte“. Der Gedanke, Qualitätsjournalismus gemeinnützig zu betreiben, gefällt auch den beiden großen Journalistengewerkschaften. „Wenn Gemeinnützigkeit Staatsferne garantiert, dann ist das erst mal gut“, sagt Cornelia Haß von der Deutschen Journalisten-Union. Haß könnte sich ein Investigativbüro wie „ProPublica“ auch in Deutschland vorstellen, im Lokalen könnten gemeinnützige Portale entstehende Lücken schließen. Und Kajo Döhring, Hauptgeschäftsführer des „Deutschen Journalisten-Verbands“, glaubt, dass eine Gemeinnützigkeit punktuell für Entlastung sorgen kann, vor allem in Bereichen, in denen der Markt versagt – wie im Lokal- oder Recherchejournalismus. Die Beispiele hierfür sind in diesen Tagen nur allzu präsent.
Dieser Artikel ist zuvor im „journalist“ erschienen.