„Jeder Journalist kann Probleme bekommen“
Leid, Tod und Gewalt sind auch für Journalisten nicht immer leicht zu bewältigen. Traumatische Erlebnisse im Beruf können krank machen. Psychologin Anke Weidmann spricht im Interview über harte Hunde, ungewolltes Wiedererleben und wie man damit umgehen kann.
Traumatisierung im Beruf – da denkt man zuerst an Rettungsdienst oder Feuerwehr. Gehört Traumatisierung auch für Journalisten zum Berufsrisiko?
Dr. Anke Weidmann: Journalisten gehören zu einer Berufsgruppe, die erst kürzlich in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten ist. Sie wurden lange übersehen, weil sie nicht zu den helfenden Berufsgruppen gehören, bei denen man schon früh erkannt hat, dass Traumatisierung im Beruf ein Thema ist. Doch es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass Journalisten im Vergleich zur Normalbevölkerung einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Sie kommen in ihrem Beruf immer wieder mit sehr schwerwiegenden, sehr grausamen Ereignissen in Berührung. Das kann Spuren hinterlassen, gerade wenn man zum Beispiel als Kriegsreporter unterwegs ist.
Bei Kriegsreportern oder Blaulicht-Reportern liegt das auf der Hand. Wie ist es mit Journalisten, die in solche Ereignisse eher unvermittelt geraten, zum Beispiel im Lokaljournalismus?
Da hängt das Risiko von vielen Faktoren ab. Wir wissen aus der Forschung, dass je häufiger ich in solche Situationen gerate, es wahrscheinlicher ist, dass ich bestimmte psychische Beschwerden entwickle. Erlebe ich es nicht so häufig, ist die Wahrscheinlichkeit nicht so groß. Auszuschließen ist es aber nicht. Kriegsreporter sind eher darauf vorbereitet, bestimmte Ereignisse zu erleben, während Lokaljournalisten unvorbereitet in eine Situation stolpern können und vorher überhaupt nicht wissen, was da auf sie zukommt. Jeder, sei er noch so widerstandsfähig, kann unter bestimmten Umständen Probleme entwickeln.
Gibt es verlässliche Zahlen darüber, wie viele Journalisten in Deutschland in ihrem Job traumatisiert werden?
Konkrete Zahlen gibt es nicht, das lässt die Forschungslage nicht zu. Denn es gibt darüber keine repräsentativen Studien. Auch nicht für den englischsprachigen Raum, wo insgesamt mehr Studien durchgeführt wurden. Aber die Studien, die wir haben, lassen darauf schließen, dass die Zahlen im Vergleich zur Normalbevölkerung höher, im Vergleich zu helfenden Berufsgruppen etwas niedriger sind.
Welche Arten von Traumatisierung gibt es?
Die Psychologie unterscheidet zwei Arten. Die primäre Traumatisierung betrifft Menschen, die selbst von einem Ereignis betroffen sind. Die sekundäre Traumatisierung kann bei jenen vorkommen, die Zeuge dieses Ereignisses werden. Bei Journalisten ist diese Art häufiger der Fall. Sie werden mit belastenden Ereignissen konfrontiert, die schon geschehen sind. Oder sie beobachten, wie etwas anderen passiert. Ist jemand im Krisengebiet unterwegs und gerät etwa bei einer Schießerei zwischen die Fronten, kann er aber auch primär traumatisiert werden.
Wie erkenne ich, dass mich ein Ereignis belastet? Welche Symptome treten auf?
Es gibt eine breite Palette von Symptomen. Manche sind eher unspezifisch, zum Beispiel dass ich gereizter oder niedergeschlagen bin, Schlafstörungen habe. Spezifische Symptome – sogenannte Symptome des ungewollten Wiedererlebens – können darin bestehen, dass ich von dem Ereignis träume oder Flashbacks habe. Kleinere Fetzen der Erinnerung kommen mir, ohne dass ich es will, wieder vor Augen, und ich empfinde das als belastend.
Wann können diese Symptome zum Problem werden?
Nach einer Belastungssituation oder einer traumatischen Erfahrung ist es erstmal normal, solche Symptome zu entwickeln. Es ist ein Zeichen dafür, dass Körper und Psyche beginnen, das Erlebte zu verarbeiten. Sorgen machen sollte man sich erst, wenn die Symptome intensiver werden, über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen nicht weniger werden oder ich das Gefühl habe, ich werde damit alleine einfach nicht fertig. Dann ist es Zeit für professionelle Hilfe. Aber die ist nicht bei allen Menschen ein Muss. Man kann auch erst einmal auf die Selbstheilungskräfte der Psyche vertrauen.
Wie können Psychologen helfen, zu verarbeiten?
Wenn sich wirklich herausgestellt hat, dass jemand zum Beispiel unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, gibt es viele hilfreiche Therapieansätze. Ich bin eine Vertreterin der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei setzt der Patient sich mit einer bestimmten Methode und der Unterstützung des Therapeuten noch einmal mit dem Erlebten auseinander. Ziel ist, dass der Körper und die Psyche sich an das Erlebte gewöhnen, so dass der Patient es abspeichern kann und davon in Ruhe gelassen wird. Das Vorgehen lässt sich ganz schön mit einer Metapher verdeutlichen. Wir gehen davon aus, dass das Gehirn bei einem sehr heftigen Erlebnis nur ganz wenig Zeit hat, diese Eindrücke angemessen zu verarbeiten. Stellen Sie sich vor, die Erinnerungsfetzen liegen wie ein großer Kleiderhaufen vor dem Schrank. Sie haben nur wenige Sekunden Zeit, die Kleidung in den Schrank zu packen. Was Sie tun, ist, alles ganz schnell in den Schrank reinzustopfen. In der Folge ist der Kleiderschrank bis zum Bersten gefüllt und ab und zu gehen die Türen auf und ein Kleidungsstück – eine ungewollte Erinnerung – fällt heraus. In der Therapie nimmt man alle Kleidungsstücke mit Unterstützung des Therapeuten noch mal heraus, betrachtet sie, faltet sie ordentlich zusammen und packt sie dann in den Kleiderschrank. Im Idealfall haben Sie dann einen aufgeräumten Schrank und Sie können das Erlebte gelassener erinnern wie andere emotionale Erlebnisse auch.
Manche Journalisten, die belastende Ereignisse erlebt haben, arbeiten es im Gespräch mit Kollegen auf. Wie wichtig ist das Team oder die Redaktion?
Ich halte das für eine sehr wichtige Unterstützung. Wir wissen aus Studien zu anderen traumatischen Ereignissen, dass soziale Unterstützung ein sehr wichtiger Faktor bei der Verarbeitung ist. Ich glaube, bei Traumata im beruflichen Kontext ist gerade auch die Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten sehr wichtig. Wenn man sich gut dabei fühlt, sollte man die die Möglichkeit ergreifen. Wenn ein Teamgeist herrscht, der es zulässt, kann man tatsächlich auch mit Kollegen darüber reden. Diese Form der Unterstützung kann einen auch ohne professionelle Hilfe erstmal weiterbringen. In sehr schweren Fällen kann es aber sein, dass man um professionelle Unterstützung nicht herum kommt.
Was ist mit denen, die kein Team haben, etwa Videojournalisten?
Die haben es sicherlich schwerer. Nach allem, was ich gehört habe, ist bei Videojournalisten kritisch, dass sie unter Produktionsdruck stehen und kein Team im Hintergrund haben, mit dem sie sich austauschen können. Das eigene Netzwerk oder Kontakte können dann vielleicht helfen.
Wie können sich junge Journalisten, die zum Beispiel Blaulicht-Reporter werden wollen, selbst vor den Folgen belastender Eindrücke schützen?
Generell hat jeder Mensch ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Bewältigungsstrategien, es gibt kein Patentrezept. Ich empfehle aber eher, sich damit auseinander zu setzen, was auf einen zukommt und auch während dieser Erfahrung, die man da immer wieder macht, darauf zu achten, was das bei einem selbst auslöst. Aber nicht im Stile des „harten Hundes“, der alles erträgt und alles an sich abprallen lässt. Außerdem sollte man schauen, dass man Ausgleich schafft. Wenn ich auf der einen Seite sehr viel Belastung erlebe, ist es gut, andere Bereiche in meinem Leben zu haben, wo ich mich stärken und ablenken kann. An den eigenen Ressourcen zu arbeiten, ist sicher eine wichtige Strategie.
Dieses Interview erschien zuvor auf medien-monitor.com.