Journalismus hat die Medien überlebt. Gewöhnt euch daran.
Im Jahr 2007 bekam ein nerdiger Softwareentwickler mehr als eine Million Dollar Fördergeld, um eine Datenbank mit geocodierten Informationen aufzubauen – Immobilienpreise, Verbrechensraten und Schulstatistiken. Obwohl das Projekt Everyblock.com auf einer IT-Messe hätte präsentiert werden können, war das Preisgeld verliehen worden, in der Hoffnung, damit Qualitätsjournalismus zu fördern. Und zwar von der Knight Foundation, eine der angesehensten amerikanischen Stiftungen, die sich um die Finanzierung von Journalismus kümmert.
Unter den bisher 72 Projekten, die Fördergeld aus dem „News Challenge“ Wettbewerb der Knight Stiftung erhielten, lässt sich kaum mehr als Handvoll finden, bei der Journalisten auf traditionelle Weise berichten (es gibt einige Radioprojekte). Der diesjährige Wettbewerb läuft noch, aber er wird nicht anders aussehen.
Mehrere Stiftungen auch in anderen Ländern folgen diesem Modell. Das International Press Institute in Wien verlieh gerade mehrere Millionen Dollar von Google gestiftete Preisgelder an Projekte, bei denen Programmierer, nicht Journalisten, die Hauptrolle spielen. Im vergangenen Jahr förderte einen finnische Stiftung den Newsaggregator Scoopinion mit 200.000 Euro.
Warum werfen diese Institutionen Programmierern Geld hinterher? Und das zu einer Zeit, in der Journalisten zu Tausenden entlassen werden? Sie sollen doch den Journalismus fördern? Und niemand beherrscht Journalismus besser als Journalisten, oder?
Falsch.
Der Markt hat sich verändert
In der Zeit vor dem Internet war es einfach, professionellen Journalismus auszumachen. Ob CNN oder die Berliner „Umweltblätter“, die in einer Katakombe im Prenzlauer Berg produziert wurden – wir konnten sicher sein, dass es sich um irgendeine Form von Journalismus handelt. Wenn wir in Prä-Internetzeiten Nachrichten erfahren wollten, dann konnten wir entweder unsere Freunde fragen oder eine Zeitung lesen oder das Radio oder den Fernseher einschalten.
In der digitalen und vernetzten Welt hat sich der Markt mittlerweile dramatisch verändert. Wir können in unsere Twitter-Timeline schauen, in die Facebook-Statusmeldungen unserer Freunde oder in einen Aggregator wie Google News oder Flipboard. Wir können auch Medienportale ansteuern, wo wir immer häufiger ebenfalls Inhalte aus sozialen Netzwerken finden.
Informationen zu aktuellen Ereignissen und ihren Hintergründen können auf unzählige Weise beschafft werden. Eine Möglichkeit ist, Nachrichten zu konsumieren, die von Menschen produziert wurden. Aber wir haben oft auch Zugang zu den Rohdaten. Wollen Sie wissen, wie sich die jungen Griechen fühlen? Warum checken Sie nicht, wieviele von ihnen nach dem Stichwort „green card“ googlen, wahrscheinlich in der Hoffnung, das Land zu verlassen?
Regierungen, die ihre Datenverliese öffnen, und Unternehmen, die maschinenlesbare Zugänge (APIs) zu ihren Daten einrichten, machen es einfacher denn je, aus Daten Wissen zu erzeugen. Darauf waren früher Journalisten spezialisiert. Wenn ein Journalist einen Jahresbericht in 2000 Zeichen zusammenfasst, ihn in einen Zusammenhang stellt, und den Rat gibt, die Aktien eines Unternehmens zu kaufen oder verkaufen, verwandelt er Daten in nutzwertiges Wissen, das der Leser anwenden kann. Heute können das auch die Algorithmen von Narrative Science.
An jeder Stelle in der Wertschöpfungskette werden Computer immer besser darin, Informationen zu verarbeiten, entweder selbst gesteuert oder durch den Einsatz von Laien. Ganze Bereiche der Informationsbeschaffung (s. Pachube oder Ushahidi), Informationsverarbeitung (Narrative Science, Wikipedia) sind außerhalb der Sphäre klassischer Medienorganisationen entstanden.
Was Journalisten tun können
Die Frage lautet nicht, ob Journalismus irrelevant geworden ist. Everyblock-Gründer Holovaty hat darauf die bisher beste Antwort gefunden:
1. Wen interessiert das?
2. Ich hoffe, dass meine Wettbewerber noch viel Zeit damit verschwenden, darüber so lange wie möglich nachzudenken.
Die Debatte über die Zukunft des Journalismus hat nach langer Unschlüssigkeit inzwischen endlich eine Antwort darauf gefunden, ob Programmierer in den journalistischen Prozess integriert werden sollten (s. dazu zum Beispiel diese Beiträge bei VOCER). Aber dies ist erst der Beginn eines viel weitreichenderen Wandels.
Journalisten arbeiten auf dem Informationsmarkt. Dieser Markt ist um ein Vielfaches größer als der journalistische Markt, weil er auch PR, Werbung und nutzergenerierte Nachrichten umfasst. Um ihre Stärken (starke Medienmarken, Vertrauen) gewinnbringend einzusetzen, werden sich Medienunternehmen dem Wandel anpassen müssen. Sie werden in „Produkten“ anstelle von „Artikeln“ denken und den Workflow von Internet-Unternehmen adaptieren müssen.
Genau diese Anpassung fördern die Knight-Stiftung und ähnliche Finanziers. Sie tun es, weil sie ebenso wie ich daran glauben, dass Journalismus, der den Mächtigen auf die Finger schaut und die Wahrheit enthüllt, ein gesellschaftlich wichtiges Gut ist, das unterstützt werden sollte.
Übersetzt von Ulrike Langer