„Journalismus ohne Mut ist etwas ganz Trauriges“
Wer Geld verdienen will, muss etwas verkaufen: Im Interview mit VOCER spricht „Freitag“-Verleger Jakob Augstein über Finanzierungsmodelle des Journalismus, die App-Begeisterung der Presseverlage und über Medien-Türhüter, die man nicht im Internet trifft.
VOCER: Herr Augstein, in Ihrer Funktion als Verleger des „Freitags“, aber auch in der Rolle als Journalist: Wie sehen Sie die Zukunft des Journalismus? Wo geht es hin?
Jakob Augstein: Ich kann mir vorstellen, dass die Zukunft drei sehr verschiedenen institutionellen Modellen gehören wird. Das ist einmal der klassische Verlag mit einem Produkt, das sich durch den Verkauf von Inhalten über Print und Netz und durch Anzeigen oder sonstige Geschäfte finanziert. Zweitens das unabhängige Fringe-Produkt, das nur wenig Leser erreicht und in Selbstausbeutung entsteht. Die dritte Variante werden stiftungsfinanzierte journalistische Ergänzungsinstitutionen sein, die Teile der Aufgaben wahrnehmen, die von den etablierten Medien nicht mehr wahrgenommen werden.
Das klassische Verlags- und Pressesystem wird also auch in Zukunft Bestand haben?
Wenn man Geld verdienen will, muss man etwas verkaufen. Ich glaube, Anzeigenplatz zu verkaufen, ist sehr schwer, und nennenswerte Bezahlerlöse im Internet zu generieren, ist es ebenfalls. Der Verkauf einer Papierzeitung ist aber durchaus noch ein Geschäft, das funktioniert. Sowohl für die etablierten Titel als auch für Neugründungen. Wahrscheinlich wird es noch schwieriger als früher, große Titel in den Markt zu bringen. Aber kleine und mittlere Titel für klare Zielgruppen, das kann durchaus noch funktionieren. Das ist auch die Idee hinter dem „Freitag“.
Was ist mit dem Modell der Stiftung?
Gibt es relevante stiftungsfinanzierte Medien in Deutschland? Wir haben eine sehr gut funktionierende Medien- und Presselandschaft, auch wenn die Verlage große Panikstimmung verbreiten. Wenn man ehrlich ist, geht es den Verlagen doch gar nicht so schlecht.
Der „Freitag“ positioniert sich in vielen Fragen anders als andere Verlage, zum Beispiel beim Streit um die „Tagesschau“-App. Sie haben schon angedeutet: Es geht gar nicht genau um diese eine App. Was steckt Ihrer Meinung nach wirklich dahinter?
Wenn man so klein ist wie wir, fällt es auch leichter, sich unabhängiger zu positionieren. Die Verlage haben die Geburt des Internets verschlafen. Sie haben nicht reagiert, als ihnen die Stellenanzeigen weggebrochen sind. Sie haben nicht reagiert, als ihnen die Immobilienanzeigen weggebrochen sind. Sie haben nicht reagiert, als die Marktführer „Spiegel“ und Springer ihre Position im Internet auf- und ausgebaut haben. Jetzt ist das Internet an einer Kreuzung angekommen und wird den Weg ins Bezahlnetz nehmen. Apple will aus dem Netz eine geschlossene Benutzeroberfläche machen, die besser zu kontrollieren ist als das World Wide Web. Und diese Kontrolle kann nun wieder von großen Institutionen ausgeübt werden. Das Internet der Zukunft ist nicht mehr dezentral und gleichrangig, sondern wird von den großen Institutionen und Marken geprägt sein. Und die Verlage wollen diesmal rechtzeitig dabei sein, wenn es darum geht, im Netz Geld zu verdienen.
Deshalb auch das App-Fieber?
Ja klar, die App ist der Traum des Verlegers, weil sie ein geschlossenes Produkt ist, das einen Anfang und ein Ende hat, und der Inhalt dazwischen lässt sich kontrollieren. Man kann wieder Autos und Kosmetikprodukte und Reise zusammenbinden, wie in der Zeitung, und aus diesen Branchen Anzeigenkunden gewinnen. Darin liegt ja das Problem des Netzes: Wer sich für Autos interessiert, muss sich nicht mehr mit den Kosmetika herumschlagen.
Von wo gehen Ihrer Meinung nach die stärksten Impulse aus, um den Journalismus zu innovieren? Ist das der technische Bereich oder eher die Redaktion?
Ich denke, es ist die Technik. Es geht gegenwärtig darum: Wie komme ich an die Informationen ran, wie mache ich aus ihnen Sinn, und wie präsentiere ich sie? Diese drei Fragen sind primär technische Fragen. Dafür braucht man Leute, die das können. Es wird also eine neue Art von Journalisten entstehen, sogenannte Data-Journalisten, die keineswegs zu den Hungerlöhnen arbeiten werden wie die Leute, die jetzt auf dem freien Markt unterwegs sind. Sondern Leute, die ein neues Handwerk beherrschen und wie Programmierer denken. Das ist natürlich ein Problem für kleine und mittlere Häuser: Guter Datenjournalismus ist sehr teuer.
Simon Rogers, Datenchef des „Guardian“ sagt, es sei nicht vorrangig eine Frage des Geldes, sondern eine Frage des Umdenkens. Glauben Sie, dass Innovationen zu lange brauchen, bis sie in den Köpfen von Journalisten ankommen?
Na ja, der „Guardian“ ist sehr groß, und von weit oben sehen auch große Summen klein aus. Aber ich finde, Rogers hat Recht: Journalisten sind es gewohnt, Dinge auseinander zu nehmen, betreffen die Veränderungen aber sie selbst, reagieren sie wie alle anderen Menschen und fühlen sich bedroht. Sie richten dann ihr ganzes kritisches Potential gegen diese Veränderungen. Der Berufsstand ist eher schwerfällig in der Selbstreformierung.
In Anbetracht dessen, dass mehr Leute mit Programmierkenntnissen benötigt werden, brauchen wir die Journalisten noch?
Journalismus dient der Herrschaftskontrolle, und die braucht man immer. Ob man viele Journalisten braucht, weiß ich nicht. Teile des Auto-, Sport-, Mode-, Reisejournalismus kommen ja weitgehend ohne Herrschaftskritik aus. Insofern sind wir da auch Opfer der Begriffe. Qualitätsjournalismus, investigativer Journalismus: Was meinen wir damit eigentlich? Ich gehöre auch nicht zu denen, die meinen, früher sei alles besser gewesen und künftig müsse es schlechter werden. In den letzten Jahren konnten wir eine explosionsartige Vermehrung der Titel beobachten. Für die Verlage war das weniger gut, weil die durchschnittlichen Renditen gesunken sind. Aber unheimlich viele Leute konnten Journalist werden. Dann gab es die Entwicklung, dass der PR-Bereich gewachsen ist und man das Gefühl hatte, PR wird plötzlich wichtiger als Journalismus. Jetzt sagen alle: Die Zukunft wird prekär, weil keine festbezahlten Jobs mehr da sind.
„Zeit Online“-Chefredakteur Wolfgang Blau spricht vom goldenen Zeitalter…
Ja, irgendein Zeitalter ist immer gerade.
Brauchen wir eine andere Art von Journalisten? Eine, die vorrangig selektiert und einordnet?
Wir brauchen vor allem Mut. Journalismus ohne Mut ist etwas ganz Trauriges. Wir brauchen mutigere Leute, die sich anlegen mit ihren eigenen Chefs, mit denen, die Geld haben, mit denen, die die Entscheidungen treffen. Ich finde die Leute so mutlos. Ich glaube, das ist das Hauptproblem des Journalismus.
Glauben Sie denn, dass freie Journalisten, wenn sie das Netz effektiv nutzen, bessere Chancen haben als früher?
Es gibt natürlich die Chance, sich einem größeren Kreis von Leuten bekannt zu machen, man ist leichter und schneller zu identifizieren. Das Selbstmarketing wird durch das Netz leichter. Aber ich bezweifele, dass damit sehr viel gewonnen ist. Es gibt in den deutschen Medien eine überschaubare Anzahl von Türhütern – und die treffen Sie nicht im Internet.
Sind die alten Türhüter notwendigerweise auch die neuen Türhüter?
Ich glaube, in dem Maße, in dem das Netz und die Technik zur ubiquitären Öffentlichkeit führt, werden die Zirkel, in denen wirklich relevante Entscheidungen getroffen werden und wirklich relevante Vernetzungen stattfinden, abgeschlossen von dieser Scheinöffentlichkeit. Mit Scheinöffentlichkeit meine ich: Quasi jeder kann sich im Netz veröffentlichen, jeder kann alles reinstellen und twittern. Sie können als freier Journalist 20-mal ihre Storys ins Netz stellen, ob Sie aber in die Kanzlermaschine eingeladen werden, das hat mit dem Netz nichts zu tun. Da sind wir dann immer noch in einer sehr analogen Welt.
Welche Rolle kann man dem Leser, dem User zumuten?
Wir beim „Freitag“ wollen, dass jeder Nutzer wie ein Redakteur agieren kann. Bei uns kann jeder einen Artikel schreiben, jeder kann Bilder dazu machen, und unsere Leute sortieren das dann. Wir wollen aber noch mehr, zum Beispiel, dass der Nutzer selbst die Seite gestaltet, indem er Dossiers anlegt, die sich aus eigenen Artikeln, aber auch aus Artikeln von „freitag.de“ oder anderen Stellen zusammensetzen. Der Leser sollte im Netz alles tun können, was er kann. Die wenigsten Leser werden in der Lage sein, etwas Sinnvolles über die Lage an der afghanisch-pakistanischen Grenze zu schreiben. Wenn Sie aber einen haben, der dort in einem Hilfsprojekt arbeitet, der am Ort ist, warum soll der sich nicht äußern?
Werden die Potenziale des Nutzers noch zu wenig genutzt?
Ich glaube tatsächlich, dass jedes Medium im Netz den Weg finden wird, der für ihn am passendsten ist, und ich glaube eben nicht, dass dieser Weg für jedes Medium der gleiche ist. Für den „Spiegel“ zum Beispiel, und auch für die „Bild“-Zeitung mit ihren unfassbar hohen Umsätzen, wäre ein moderiertes Diskussionsvorhaben oder ein Community-Building nicht funktional. Aber auch „Spiegel“ und „Bild“ haben gute Wege gefunden, ihre Leser zum Teil des Produktes zu machen.
Glauben Sie persönlich weiterhin an die Zeitung?
Unbedingt. Für einige Tageszeitungen wird es sicher schwierig werden. Aber Wochenzeitungen und Wochenmagazine sind ein tolles Produkt und passen hervorragend in die Ära des Internets. Das Netz liefert die tägliche Nachricht, die Wochenzeitung die ruhige Lektüre.
Aber in anderen Vertriebsformen wie zum Beispiel dem iPad, also nicht nur über Papier, sondern als geschlossenes Produkt.
Darauf kommt es an, ja. Ich mag Papier. Aber wenn meine Kinder eines Tages auf das Papier verzichten, warum nicht? Allerdings kommen Zeitungen, wenn man sie einmal in der Hand hat, ohne jede Technik aus. Das ist ein bleibender Vorteil.
n hatte, um diese Dinge dann auch im Studio zu erklären.
Elmar Theveßen, TV-Journalist
und Terrorismus-Experte
© ZDF
War der 11. September so eine Art Schlüsselmoment für das Expertentum in den Medien?
Nein, ich glaube nicht, das gab es vorher natürlich in anderen Bereichen schon, zum Beispiel Finanzen oder Wirtschaft. Es ist nur was Neues entstanden insofern, dass man nicht mehr nur für ein breites Ressort Expertise brauchte, sondern für ein konkretes Problem wie in diesem Fall den islamistischen Terrorismus. Weil das, was da passiert, so surreal und komplex ist. Und das ist schon neu. Nachdem wir angefangen hatten, diese Expertise in den Sendungen auch wirklich hervorzuheben, kamen andere Medien auf den Gedanken, dass das jetzt wichtig wäre. Das ist nicht abfällig gemeint, denn es ist ja sinnvoll, komplizierte Dinge auf diese Weise klarer zu machen. Wobei man bei manchen schon den Eindruck bekommt, dass eher das Etikett wichtig ist und nicht die Expertise, die dahinter steht.
Was ist die Rolle von Fachleuten in Krisensituationen?
Das Erklären schwieriger Sachverhalte. Je komplexer und komplizierter die Welt wird, desto mehr haben Medien und insbesondere öffentlich-rechtliche Medien den Auftrag, dieses verständlich zu machen. Deswegen ist der Experte nicht einer, der eine Meinung kundtut oder einfach nur eine Einschätzung gibt, die meinungsgefärbt ist, sondern er sollte ganz klar derjenige sein, der versucht, die Dinge verständlicher zu machen. Dafür muss er allerdings wie jeder Experte auch außerhalb der Medien entsprechend viel Zeit aufwenden für Recherche, vielleicht auch fachwissenschaftliche Arbeiten an dem Thema. Und ich glaube, er muss auch ein paar Voraussetzungen dafür mitbringen, die nicht von vornherein in einer journalistischen Karriere vorhanden sind.
Die da wären?