Journalisten – eierlegende Wollmilchsäue?
Anzeigenerlöse fallen rapide, einige Blätter sind pleite, andere haben drei Viertel ihres Wertes verloren, 30 Prozent der Zeitungsjournalisten wurde in den vergangenen zehn Jahren entlassen. Gibt es eine „Zukunft für Journalisten“ bei diesen Zahlen? Lohnt es sich angesichts dieser bedrückenden Aussichten überhaupt noch, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern und wie sollten sie ausgebildet werden?
Die erwähnten Daten stammen nicht aus Deutschland, sondern aus den USA. Das „PEW Project For Excellence In Journalism“ erstellt seit sieben Jahren einen Bericht, in dem sehr ausführlich beschrieben wird, wie es um den Journalismus in den Vereinigten Staaten bestellt ist. Vergleichbare unabhängige kontinuierliche Studien für Deutschland gibt es nicht. Da jedoch viele (positive wie negative) Entwicklungen in den USA mit Verzögerung auch in Europa und damit in Deutschland eintreten, geht die Angst um in der Medienbranche. Und das, obwohl viele Verlage in Deutschland die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise im Vergleich zu anderen Branchen glimpflich überstanden haben. Und: Die Situation in Deutschland ist nicht ohne weiteres mit der in den Vereinigten Staaten vergleichbar.
Dennoch gibt es einige Anzeichen dafür, dass auch hierzulande die Medien – und damit meine ich nicht nur Zeitungen – in einem tief greifenden Transformationsprozess stecken. Diese Veränderung in Form, Gestalt und Struktur ist getrieben von der Entwicklung des Internets. Das World Wide Web hat den traditionellen Journalismus von mehreren Seiten aus unter Druck gesetzt.
ERSTENS ökonomisch, in dem die klassische Finanzierung durch Werbung und Verkauf außer Kraft gesetzt wurde. Viele Verleger und Chefredakteure sprechen heute vom „Geburtsfehler“ des Internets und meinen damit, dass journalistische Inhalte verschenkt werden, da die Websites weder kostenpflichtig noch durch Werbung refinanzierbar waren (und sind). Diese „Kostenloskultur“ habe zu einer Entwertung des journalistischen Produkts geführt, die nicht mehr rückholbar sei.
Auch das zweite Standbein der Finanzierung, die Werbung, wanderte – übrigens zunächst ohne allzu großen Widerstand der Verlage – zu anderen, neuen Anbietern. Job- und Autobörsen, Heirats- und Kleinanzeigen wurden und werden im Internet komfortabler und umfassender angeboten, als es Zeitungen machen oder könnten.
Obwohl mittlerweile mehr in Onlinewerbung investiert und auch damit Geld verdient wird, profitieren Verlage und ihre journalistischen Produkte nur wenig davon: Anzeigen werden auf Google oder in sozialen Netzwerken wie Facebook platziert, um die gewünschten Zielgruppen noch genauer zu erreichen. Und in dem Maße, in dem mobile Kommunikation eine Rolle spielt, müssen sich Anbieter, die Inhalte mobil verbreiten wollen, an Vorgaben halten, die ihnen Hersteller wie Apple oder Google machen. Diese neuen Marktteilnehmer beanspruchen einen Teil der Einkünfte und kontrollieren oftmals die übermittelten Nutzerdaten – ein geschätzter Wert für werbetreibende Unternehmen.
ZWEITENS technologisch, in dem durch Laptops, Tablet-PCs oder Smartphones und der Möglichkeit einer permanenten Aktualisierung durch das Internet sowohl eine orts- als auch zeitunabhängige Berichterstattung möglich wurde. Die Zeitung, die morgens auf dem Frühstückstisch liegt, ist schon alt – im Vergleich zu den minuten-, ja sekundenaktuellen Nachrichtenseiten.
DRITTENS gibt es einen inhaltlichen Druck dadurch, dass die Rolle und Funktion des professionellen Journalisten durch das Internet in Frage gestellt wird. Wenn jede(r) ohne größere technische und finanzielle Hürden Inhalte veröffentlichen und verbreiten kann – sind Journalisten dann nicht überflüssig? Wenn Unternehmen, Vereine, Behörden oder Privatpersonen direkt über das Internet mit den Mediennutzern kommunizieren, wozu brauchen diese die Vermittlung durch die Presse?
Nachrichten und Informationen finden Leser, Nutzer, Hörer oder Zuschauer zuhauf. Aber finden die Medienkonsumenten heutzutage auch verlässliche, gut recherchierte und relevante Nachrichten und Informationen? Recherche, Analyse und Kommentierung sind Kennzeichen des professionellen Journalismus. Journalisten müssen die immer komplexer und komplizierter werdende Welt erklären – Zusammenhänge erläutern und Hintergründe aufzeigen. Die Zukunft des Journalismus liegt in der Qualität ihrer Inhalte. Und journalistische Qualität ist unabhängig vom Trägermedium.
Die Journalistenausbildung der Zukunft
Wie muss angesichts dieser Situation eine zukunftsgerichtete Journalistenausbildung aussehen? Mein Ansatz von Ausbildung ist an der Praxis ausgerichtet. Das heißt, ich möchte, dass Absolventen der Deutschen Journalistenschule sich in der oben geschilderten Marktsituation zurecht finden und (gute, ausreichend bezahlte) Stellen finden. Müssen Journalisten künftig „eierlegende Wollmilchsäue“ sein, also – nach Möglichkeit gleichzeitig – recherchieren, texten, Audios und Videos produzieren, Webseiten aktualisieren, bloggen, produzieren und sich um Finanzierung, Bewerbung und Vertrieb ihrer Produkte kümmern?
Ein Beispiel aus meiner Zeit bei „Tagesschau.de“: Als das ZDF 1999 beschloss, aus dem gemeinsam mit der ARD ausgestrahlten Videotext auszusteigen und eine eigene Teletextredaktion aufzubauen, wurde auch der ARD-Text neu strukturiert. Die Intendanten beschlossen, die Nachrichten in Hamburg von „Tagesschau.de“ produzieren zu lassen. In unseren damaligen Konzepten war viel von Synergien, Personal- und Kostenersparnis die Rede.
Verkalkuliert
Doch schon bald merkten wir, dass diese Rechnung nicht aufging: Entweder litt das Onlineangebot unter den Längenbeschränkungen des Teletextes oder das Videotextangebot wurde vernachlässigt, weil die für „Tagesschau.de“ geschriebenen Texte vollkommen anders aufgebaut und strukturiert waren. Dazu kam immer wieder die Frage, welchem Medium bei zeitkritischen Meldungen Vorrang einzuräumen war.
Konsequenz: Die Redakteure wurden wieder für Telext- und Onlineschichten eingeteilt und konnten sich auf einen Ausspielweg bzw. ein -medium konzentrieren.Was will ich an diesem Beispiel verdeutlichen? Die journalistische Qualität leidet, wenn Inhalte gleichzeitig für mehrere Medien produziert werden müssen. Ein Reporter kann sich nicht auf die Aussage seines Interviewpartners konzentrieren, dabei die Technik (Kamera, Ton) im Auge behalten und im Anschluss einen perfekten Text, einen Hörfunk- und einen TV-Beitrag absetzen. Dazu sind die jeweiligen Bedürfnisse der Medien zu verschieden.
Möglich ist jedoch – und das hat beispielsweise die NDR-Korrespondentin Ariane Reimers bei der Berichterstattung vom Fackellauf auf den Mount Everest im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking gezeigt – die trimediale Berichterstattung über ein Ereignis. Frau Reimers drehte ihre Beiträge selbst, schnitt und vertonte diese und überspielte sie aus dem Basislager. Sie gab Hörfunkinterviews und bloggte für tagesschau.de. Natürlich nicht alles gleichzeitig, sondern nacheinander.
Trimedial, aber nach alten Tugenden
In öffentlich-rechtlichen Sendern werden Volontäre bereits seit geraumer Zeit „trimedial“ ausgebildet. Soll heißen: Die angehenden Redakteure lernen, für Hörfunk, Fernsehen und Online zu produzieren. An der Deutschen Journalistenschule werden die Auszubildenden sogar für Print, Radio, TV und Online geschult. Die multimediale Ausbildung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Medien auf der Plattform Internet immer mehr zusammenwachsen: Zeitungs- und Zeitschriftenverlage produzieren Videos und Audios, Radio- und Fernsehsender stellen Texte auf ihre Internetseiten.
Diesen – zunächst hauptsächlich technischen – Anforderungen müssen Journalisten in Zukunft gewachsen sein. Künftige Journalisten müssen die Bedürfnisse und Anforderungen der Medien, für die sie arbeiten, kennen – ob sie diese Kenntnisse dann auch in Beiträge in den jeweiligen Medien umsetzen, hängt wiederum von anderen Faktoren ab.
Kern der Ausbildung bleiben jedoch Recherche, Vermittlungskompetenz, Analyse und das Erläutern von Hintergründen und Zusammenhängen. In allen Medien.