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Journalistenausbildung und Wissenschaft: Chancen werden nicht genutzt

Ist ein Journalist, der noch nie was vom Sender-Empfänger-Modell gehört hat, automatisch ein schlechterer Journalist? Mit Sicherheit nicht. Auch Kenntnisse zur Systemtheorie von Niklas Luhmann werden nicht darüber entscheiden, ob jemand als Journalist taugt oder nicht. Was ein Journalist in erster Linie können muss, ist die Übersetzung von Inhalten. Auch komplexe Tatbestände muss er so wiedergeben können, dass es sein Publikum versteht. Deshalb wurde angehenden Journalisten auch jahrelang abgeraten, Publizistik, Journalismus oder Kommunikationswissenschaften zu studieren. „Du musst nicht wissen, wie man eine Reportage schreibt, du musst sie schreiben können“, war allzu oft der gutgemeinte Rat alter Hasen. Und dann gaben die angehenden Journalisten ein Fachstudium aufgenommen. Die Folge: In den Redaktionsräumen tummeln sich etliche Literaturwissenschaftler und Politologen. Bringt das den Journalismus weiter? Wohl kaum.

In Deutschland wurden 2014 nach Angaben der Datenbank Hochschulkompass 814 Studiengänge mit Medienbezug angeboten. Darunter adressierten 83 Studiengänge explizit Journalistik oder Publizistik. Sie alle haben mittlerweile auf die Ratschläge der alten Hasen reagiert, und haben der Praxis mehr Platz eingeräumt. Doch nutzen die einschlägigen Institute ihre Chance wirklich? Bringen diese Studiengänge Absolventen empor, die neuen Schwung und neue Impulse für den Journalismus bringen?

Hochschulen müssen Wunsch nach unternehmerischer Ausbildung ernst nehmen

Eine Studie der Technischen Universität Ilmenau und des Deutschen Journalistenverbands (DJV) zeigt, dass zukunftsweisende Inhalte aus den Bereichen Technik-, Management- und unternehmerische Kompetenz kaum eine Rolle an den Hochschulen spielen (zu Teil eins und Teil zwei der Studie). Dabei ist den Studierenden offenbar durchaus bewusst, dass genau diese Kompetenzen in ihrem künftigen Berufsleben als Journalisten und Journalistinnen gefragt sein werden: Ein Großteil der Befragten gab an, dass die Inhalte Verhandlungsgeschick, Kostenmanagement, rechtliche Grundlagen für die Existenzgründung als Journalist, Grundlagen der Existenzgründung, betriebswirtschaftliche Fähigkeiten für die Existenzgründung als Journalist, Techniken zur Entwicklung einer Geschäftsidee, Grundlagen des (Selbst-)Marketings, Führungsfähigkeit, Überblick über digitale Tools für journalistisches Arbeiten und die Reflexion der eigenen unternehmerischen Identität „zu wenig“ Bestandteil des Studiums sind. Vertun journalistische und publizistische Institute an dieser Stelle eine Chance?

Insbesondere den Wunsch nach unternehmerischer Ausbildung sollten die Hochschulen ernst nehmen, denn unter den jungen Journalisten sind laut der Studie einige, die ein eher innovatives Rollenverständnis haben. Dieses Potential zu entdecken, auszuschöpfen und weiterzuentwickeln stünde einer akademischen Journalistenausbildung gut an. Da diese innovativen Nachwuchsjournalisten auch eine höhere unternehmerische Intention haben, wäre die Förderung ebenjener auch ein Dienst an der Weiterentwicklung des Journalismus an sich.

Mehr Praxisbezug!

Angehende Journalisten und Journalistinnen auf die Selbstständigkeit vorzubereiten gehört auch zur Fürsorgepflicht der Hochschulen. In der Entwicklung des journalistischen Arbeitsmarktes ist eine Tendenz in den vergangenen Jahren mehr als eindeutig: Die Anzahl derer, die freiberuflich im Journalismus tätig sind, nimmt stetig zu. Den Nachwuchs darauf vorzubereiten, ist mehr als nur Kür und an dieser Stelle könnten sich die Hochschulen auch einen Vorteil gegenüber der Ausbildung in Medienhäusern verschaffen. Dort werden Volontäre meistens nicht auf eine Selbstständigkeit vorbereitet, weil die Medienhäuser angeben, nur für den eigenen Bedarf auszubilden, zu dem professionelle freiberufliche Journalisten und Journalistinnen nicht gehörten. Dass diese Argumentation kurzfristig gedacht ist und auch die Medienhäuser damit ihre Fürsorgepflicht verletzen, steht auf einem anderen Blatt.

Ein weiterer Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung der Journalistenausbildung an Hochschulen wäre eine stärkere Verknüpfung mit der Praxis. Zwar bekommen Studierende mittlerweile ausreichend Gelegenheit, Reportagen zu schreiben, doch gelangen die Ergebnisse ihrer Abschlussarbeiten kaum an die (Fach-)Öffentlichkeit. Dasselbe Schicksal ereilt die zahlreichen Studien, die von Wissenschaftlern im Bereich Journalismus erstellt werden. Klar gibt es auch im journalistischen Wissenschaftsbetrieb einige Rampensäue, an denen die Praktiker kaum vorbeikommen. Doch sie bilden nur einen Bruchteil derer, die sich wissenschaftlich mit Journalismus auseinandersetzen. In den stillen Kämmerlein der Hochschulen schlummern zahlreiche Abhandlungen zu handwerklichen, gesellschaftlichen und berufsständischen Aspekten des Journalismus. Doch sie können von dort aus keine Wirkung entfalten. Wieder eine vertane Chance.

Es mangelt an personellen und finanziellen Kapazitäten

Doch woran liegt es, dass die Chancen an Hochschulen nicht genutzt werden? Aus der Logik der Wissenschaftler heraus, ist Lehre oft „nur“ Lehrverpflichtung: Vorlesungen und Seminare werden nach dem Status Quo abgehalten. Denn: Schon einzelne Fächer, Lehrmethoden oder ein gesamtes Curriculum zu ändern, bedeutet erheblichen Aufwand. Auch wenn das Verharrungsvermögen an den Lehrstühlen oft immens ist, scheint in den letzten Jahren etwas Bewegung in die Fortentwicklung der akademischen Journalistenausbildung zu kommen. Zumindest auf dem internationalen Parkett. Mitte Juli findet der vierte „World Journalism Education Summit“ in Auckland (Neuseeland) statt. Dabei widmen sich Lehrende und Forschende im Bereich Journalismus aus der gesamten Welt Fragen rund um die Ausbildung von Journalisten und wie diese durch Forschung verbessert werden kann. Ein weiteres Beispiel: Seit 2014 gibt es eine sogenannte „Temporary Working Group“ bei der ECREA (europäischer Verband der Kommunikationswissenschaftler), die sich dem Thema „Journalism and communication education“ verschrieben hat.

Dass sich an deutschen Hochschulen bei der Journalistenausbildung eher wenig bewegt, liegt nicht unbedingt an den handelnden Personen. Um die Lehre methodisch und inhaltlich aktuell zu halten, sind personelle und finanzielle Kapazitäten nötig, die an vielen Hochschulen eher beschränkt sind. Wären mehr Ressourcen vorhanden, könnte sich auch in der Lehre mehr bewegen. Unter diesem Gesichtspunkt werden die Chancen, die der akademische Betrieb in der Journalistenausbildung hätte, auch zum gesellschaftlichen und politischen Thema: Die öffentliche Hand muss die Hochschulen in die Lage versetzen, angehende Journalisten und Journalistinnen so ausbilden zu können, dass sie für die Zukunft gerüstet sind und ihre Aufgabe als vierte Gewalt adäquat ausüben können.

Vernetzung zwischen Theorie und Praxis notwendig

Für eine weitreichende und umfassende Weiterentwicklung des Journalismus und der Journalistenausbildung wäre es wünschenswert, wenn die Akteure nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen, sondern sich alle an einen Tisch setzen würden. Ein Beispiel dafür ist das „Journalism Entrepreneurship Summit“, das im vergangenen Jahr in London stattgefunden hat: Journalistische Gründer, Kapitalgeber, Unterstützer, Politiker, Lehrende und Wissenschaftler haben hier einen Tag lang gemeinsam darüber nachgedacht, wie journalistisches Unternehmertum ökonomisch funktionieren kann.

Damit Forschungsergebnisse tatsächlich auch Wirkung entfalten können, ist es notwendig, dass Journalisten und Wissenschaftler öfter solche Formate und Themen finden, um miteinander in Kontakt zu treten und sich auszutauschen zu können. So wäre einerseits die Wissenschaft dichter am Puls und würde eher erfahren, welchen Herausforderungen sich Journalisten in der täglichen Praxis stellen müssen. Und andererseits würden Journalisten besser verstehen, wie Wissenschaftler arbeiten und zur Lösung ihrer Probleme auch an die Forschung herantreten. Das ergäbe wiederum wunderbare Chancen sowohl für die Theorie als auch für die Praxis.