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Karrieresprungbrett Krisenherd

Krisen- und Auslandsjournalismus werden in der Kommunikationswissenschaft vorwiegend inhaltsanalytisch hinterfragt, wobei hoch eskalierte Konflikte wie der Irak-Krieg 2003 oder der Libanon-Krieg 2006 im Zentrum des Interesses stehen. Die Notwendigkeit einer – möglichst zeitnahen – Reflexion konflikt- und krisenjournalistischer Medieninhalte ist in der Kommunikationsforschung unbestritten. Ebenso wesentlich ist es, Auslandsreporter über ihr Selbstbild und ihre Praxis bzw. das Berufsfeld generell zu befragen, um eine konkrete Vorstellung über deren Tätigkeit und Tätigkeitsumfeld zu erhalten – ein bereits in der empirischen Planung sehr ambitioniertes Ziel, da Korrespondenten für zeitintensive Interviews oftmals nicht greifbar sind.

Stephan Weichert und Leif Kramp ist es jedoch gelungen, 17 namhafte – bis auf eine Ausnahme für deutsche Medien tätige bzw. tätig gewesene – Journalisten und Journalistinnen für „Die Vorkämpfer. Wie Journalisten über die Welt im Ausnahmezustand berichten“ über deren Selbstbild und Praxis zu befragen, darunter Antonia Rados (RTL), Carolin Emcke (u.a. „Die Zeit“), Gerhard Kromschröder (ehemals „Stern“) und Souad Mekhennet („New York Times“), um nur einige zu nennen.

Im Rahmen leitfadengestützter Intensiv-Interviews geben die Befragten Auskunft über ihre (biografischen) Zugänge zum Berufsfeld, Trends und Entwicklungslinien in der Krisenkommunikation und -berichterstattung, die Arbeit im Krisengebiet und Recherche-Netzwerke sowie Qualitätssicherung und Verbesserungsbedarf.

Informationsknappheit bei gleichzeitigem Veröffentlichungsdruck

Die Ergebnisse der qualitativen Studie sind großteils wenig überraschend, Kenner einschlägiger Literatur dürften diese recht bekannt vorkommen. So ist es beispielsweise nicht neu, dass Auslandsjournalismus kostenintensiv, für viele Medienunternehmen kaum noch leistbar ist, kurz: ökonomischen Zwängen unterliegt; dass Social Networks, Blogs und mobile Kommunikation die Krisenberichterstattung beschleunigen; dass in Krisenregionen verortete Stringer und Fixer eine wesentliche, wenn auch nicht unproblematische Rolle spielen und dass sich das System Krisenjournalismus in der Regel mit Informationsknappheit bei gleichzeitigem Veröffentlichungsdruck konfrontiert sieht, was Wahrheitsfindung und tiefgreifende Reflexion erschwert.

Die Stärke der Lektüre liegt vielmehr in der Veranschaulichung dieser bekannten Umstände krisenjournalistischer Arbeit durch die befragten Reporter: Wie sich beispielsweise die letztgenannte Problematik in der konkreten Praxis äußert, wird etwa von Antonia Rados so beschrieben: „Und in einer gewissen Perversion geht das soweit, dass sogar Leute, die praktisch keinen Stoff zum Berichten haben, die also im Hotel sitzen und gar nichts zu erzählen haben, dann auch noch Unterhaltung daraus machen. Mit Unterhaltung meine ich im Falle von Kriegsreportagen vor allem das Über-sich-selbst-Reden: Sein eigenes ‚Erleiden‘, seine eigenen Probleme als Reporter.“

Krisen-Hopper und Aufstiegschancen

Interessant ist es auch zu erfahren, dass sich die befragten Reporter als „Krisen-Hopper“ verstehen, dass Frauen das männerdominierte Berufsfeld Krisenjournalismus vorwiegend als Karrieresprungbrett nutzen, dass Motivationen für den Beruf von Reisedrang über die Vertiefung von Wissen über eine bestimmte Region bis hin zum Wunsch einer authentischen Wahrnehmung der Welt mit eigenen Augen reichen und wie (verbesserungswürdig) die Reporter die Kommunikation mit den Heimatredaktionen einschätzen.

Die Analyse der Leitfadeninterviews findet über weite Strecken auf deskriptiver Ebene statt: Die Aussagen der Journalisten wurden den oben genannten Themenkomplexen zugeordnet, werden im Analyseteil des Buches exemplarisch herangezogen und kommentiert. Im vierten und letzten Kapitel begeben sich die Autoren schließlich doch noch auf eine interpretative Ebene, indem sie aufgrund der von den Journalisten angesprochenen Missständen und Herausforderungen Lösungsoptionen und Handlungsempfehlungen zur strukturellen (Codes of Conduct, Richtlinienkataloge, Verhaltenskodizes) und handwerklichen Verbesserung (Vor- und Nachbereitung, Ausbildung und Trainings) von Krisenjournalismus ableiten.

Ob und inwieweit der abschließend vorgestellte vielfältige und ehrgeizige Kompetenz- und Infrastrukturkatalog für einen besseren Krisenjournalismus vor dem Hintergrund ökonomischer Zwänge und knapper Zeitressourcen umgesetzt werden kann, ist fraglich.

Unser Kooperationspartner: r:k:m

Unser Kooperationspartner: r:k:m

Am Beginn des Buches wird der Forschungsstand zu Krisenjournalismus bzw. -berichterstattung auf knapp 70 Seiten aufgearbeitet, was zwar kein tiefes Eintauchen in das zweifelsfrei komplexe Themenfeld und relevante theoretische Konstrukte erlaubt, sich aber eignet, um einen ersten Ein- bzw. Überblick zu erhalten. In aller Kürze werden vielschichtige Aspekte des Krisenjournalismus – von Bedingungen der Krisenberichterstattung über das Berufsbild bis hin zum systemischen Umfeld (Informationsmanagement, Propagandatechniken, embedded journalism), der Beziehung von Medien und Terrorismus, journalistischen Qualitätsdefiziten im Lichte von Friedensjournalismus und konfliktsensitiver Berichterstattung sowie der Rolle neuer Medien inklusive Web 2.0 und WikiLeaks – angerissen.

Alles in allem ist das Buch gut strukturiert sowie nachvollziehbar und verständlich geschrieben, bietet einen guten, knappen und aktuellen Überblick über Krisenjournalismus und dessen Entwicklungen und gibt konkrete Einblicke in die Arbeit von KrisenjournalistInnen. Auch wird auf thematisch wesentliche Literatur verwiesen. Aus diesen Gründen sollte es etwa auf Literaturlisten einschlägiger Hochschulkurse nicht fehlen.


Dieser Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Rezensionsportal „r:k:m“. Die Autoren des rezensierten Buches, Stephan Weichert und Leif Kramp, gehören zu den Herausgebern von VOCER.