Illustration: Rita Kohel

Wir kommunizieren in real time – an allen Orten, zu jeder Zeit und über alles Mögliche. Doch wird unsere Kommunikation dadurch more real? Werden unsere Beziehungen dank des Digitalen loser und unverbindlicher oder gestalten sie sich dichter und echter? Eine Antwort kann zweierlei ausfallen: ideologisch oder individual-empirisch. Vermutlich sind die folgenden Zeilen nichts von beidem bzw. beides gleichermaßen.

Ausgangspunkt soll die Individualkommunikation im Unterschied zur Massenkommunikation sein. Wir betrachten folglich einen geschützten Kommunikationsraum (ungeachtet der NSA) zwischen zwei oder mehr Personen, die sich in irgendeiner Art und Weise kennen, was nicht gleichbedeutend damit ist, dass sie sich je begegnet sind. Bei dieser Form der zwischenmenschlichen Kommunikation gilt „Know your audience!“ im Gegensatz zur massenhaften Kommunikation, bei der ein disperses Publikum angesprochen wird.

Warum?

Um die aufgeworfene Frage nach der Authentizität der Echtzeit-Kommunikation beantworten zu können, wollen wir zunächst einen Blick auf die Kommunikationsintention werfen. Gehen wir dabei vom einfachsten – oder erfahrungsmäßig besser: schwierigsten – Fall aus, dass nur zwei Menschen miteinander kommunizieren. Das tun sie häufig aus vergleichsweise banalen Gründen, nämlich um sich zu organisieren. Wer geht einkaufen, welcher Kinofilm ist sehenswert und worauf gilt es den Hunger heute Abend zu stillen?

Oder ihr Kommunikationsanliegen ist ein echtes Bedürfnis. Sie verspüren Sehnsucht, sie suchen Trost oder sie platzen schier vor Glück. In diesen Fällen wollen Gefühle kanalisiert und nicht nur das Leben organisiert werden. In wohl jedem kommunikativem Fall soll Distanz beseitigt werden. Vielleicht gilt es, in die Ferne zu schweifen, um eine räumliche Trennung zu überwinden. Vielleicht soll Zeit bis zum nächsten Wiedersehen überbrückt werden. Vielleicht geht es sogar darum, menschliches Fremdsein auszuräumen.

Die Startpunkte für Kommunikation sind zeitlos wiederkehrend: Ob Höhlenwand oder Retina-Display, die Menschen haben schon immer sowohl pragmatisch als auch emotional kommuniziert. Und auch wenn der Finger von der Höhlenmalerei bis zum Touchscreen heute als wesentliches Kommunikationsvehikel geblieben ist, so hat sich doch die Art und Weise der Kommunikation in Hinblick auf ihre vielfältigen Möglichkeiten massiv weiterentwickelt.

Wie?

Denken wir an Kommunikationsinstrumente, so fallen uns zunächst Schrift und gesprochene Sprache ein. Der Watzlawick’schen Binsenweisheit folgend, dass man nicht nicht kommunizieren kann, umfasst Kommunikation selbstredend weitaus mehr: Gesten, Bilder, Gerüche… Können unsere digitalen Helfer das nun abbilden oder eher nicht? Kann uns digitale Kommunikation so mitnehmen, wie das analoge Gespräch intensiv erlebt wird?

Das Smartphone spielt für die allermeisten von uns eine herausragende Rolle bei der alltäglichen Kommunikation. Wir texten, fotografieren, posten und manchmal telefonieren wir sogar noch. Unsere technisch-basierten Gespräche funktionieren multimedial und damit sind sie in ihrer Ausgestaltung ausgesprochen vielfältig. Wir haben gelernt, mit digitaler Technik Gefühle auszudrücken; wir handeln zwar technisch und doch agieren wir emotional.

Dank der internetfähigen und mobilen Endgeräte können wir andere Menschen an unserem Leben teilhaben lassen – unmittelbar und losgelöst vom Aufenthaltsort. Wir rücken dadurch zusammen, obwohl wir getrennt sind. Werthers Liebesbriefe waren nicht mehr oder weniger romantisch als das Foto vom Graffiti-Herzen an der Hauswand gegenüber. Musste Lotte noch voller Ungeduld auf den Postboten warten, so ist das Smartphone heute in Echtzeit der Überbringer unserer sehnsuchtsvollen Nachrichten.

Wir lernen, eigene narrative Strategien aufzubauen, und nicht selten entwickeln sich kommunikative Routinen, gar Rituale, zwischen zwei Menschen: eine allmorgendliche Textmessage, der wiederkehrende Gute-Nacht-Gruß per Sprachmemo oder (anlehnend an die „Fabelhafte Welt der Amelie“) Fotos von einem kleinen Bären auf Reisen. Der abfotografierte graue Wolkenhimmel über uns, den wir mit einem sehnsüchtigen Wunsch versehen in die digitale Cloud unseres Lieblingsmenschens schicken, ist nichts andere als ein digital-narratives Gefühl. Wir schreiben unsere zweisamen Codes.

Echt. Jetzt.

Manche der Watzlawick’schen Kommunikationspunkte fehlen im Digitalen, so können wir unser Smartphone nicht besonders gut oder schlecht riechen. Und ja, in der Tat sind es diese häufig unbewussten Feinheiten, die das zwischenmenschliche Interagieren so intensiv machen. Doch weigere ich mich standhaft, der dogmatischen Schlussfolgerung Folge zu leisten, dass das digitale Zwiegespräch uns deshalb zwangsläufig weniger bedeuten muss. Echt jetzt? Ja, denn unsere digitale Kommunikation ist echt und jetzt.