Konsequenzen aus dem NSU ziehen – aber bitte vernünftig
Es ist traurig, aber immer wieder festzustellen: Viele Sicherheitsbehörden reagieren auf aktuelle Ereignisse im Bereich der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ähnlich wie die öffentliche Meinung des Boulevards: Ohne viel Nachdenken wird das aufgetischt, was schon immer im Rezeptbuch stand; alte Vorurteile und Forderungen werden wiederbelebt, egal ob diese passen oder nicht. Traurig ist auch die Reaktion „Haltet den Dieb“, bei der auf die anderen – vermeintlich -Schuldigen mit dem Finger gezeigt wird. Ein geradezu klassisches Beispiel dieser Reaktion liefert meiner Ansicht nach André Schulz vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), indem er die NSU-Morde dazu nutzt, mehr Personal, mehr Daten, mehr Kompetenzen und mehr Zentralität für die Sicherheitsbehörden zu fordern.
Wenn sich die Politik in Untersuchungsausschüssen mit den Ursachen für das Versagen von Sicherheitsbehörden bei der Aufdeckung des NSU beschäftigt, so macht sie dies nicht, um die Sicherheitsbehörden zu ärgern oder mit einem Generalvorurteil zu belegen, sondern, um adäquate politische Lösungen zu suchen. Diese bestehen manchmal, aber nicht regelmäßig im „Mehr“ vom Bisherigen. Bei der Analyse der inzwischen bekannt gewordenen Geschichte des NSU ist offensichtlich, dass das Problem nicht das Fehlen von Personal war. Erst Recht war es nicht das Fehlen von Informationen, schon gar nicht das Fehlen von Telekommunikationsverbindungsdaten, den so genannten Vorratsdaten.
Seit Jahren versuche ich den Vertretern der Polizei zu vermitteln, dass die schiere Masse an Informationen nicht zu Ermittlungserfolgen führt, sondern die korrekte und intelligente Nutzung der vorhandenen Quellen. Richtig ist, dass das Gezerre an den Vorratsdaten zwischen CDU und FDP nicht der Sicherheit dienlich war und ist. Doch an dem Gezerre sind nicht Frau Leutheusser-Schnarrenberger und der Datenschutz schuld, sondern mit einer gewaltigen Portion die Sicherheitsbehörden und die CDU/CSU: Statt sich auf vernünftige Lösungen einzulassen, bei denen gemäß den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und gemäß der sicherheitsbehördlichen Relevanz nach Datenarten und Speicherdauer differenziert wird, scheiterten alle Lösungsversuche an deren Position „Alles oder Nichts“. Bisher konnte niemand vernünftigerweise begründen, weshalb es zur Aufdeckung rechtsextremer Umtriebe – des Terrorismus, der Cyberkriminalität oder von Wirtschaftsverbrechen – der Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten der gesamten Bevölkerung über ganze sechs Monate bedarf.
Neue Schwerpunke
Herrn Schulz ist zuzustimmen, dass es einer Reform des Verfassungsschutzes bedarf. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben hierzu am 7./8.11.2012 eine Entschließung beschlossen, mit folgenden Konsequenzen: Evaluieren, neue Schwerpunkte setzen, zielgerichtet ermitteln, begleitende Kontrollen durchführen.
Fatal wäre eine Zentralisierung, da organisatorische Defizite einer Stelle nicht mehr durch andere Stellen kompensiert werden könnten. Dies gilt sowohl für die Einverleibung der Landesämter für Verfassungsschutz in das Bundesamt wie für die Einverleibung des Verfassungsschutzes in den polizeilichen Staatsschutz. Wer den Staatsschutz ein wenig kennt weiß, dass dort – ebenso wie beim Verfassungsschutz – manch frei flottierende Insel unterwegs ist. Eine bessere fachliche wie rechtsstaatliche Ausbildung und eine funktionierende Supervision kann hier viel mehr bewirken als jede organisatorische Änderungen.
Dann sitzen die Kollegen auch nicht auf ihren Datenbergen, sondern sind voraussichtlich eher bereit, ihre Erkenntnisse zu teilen und gemeinsam zu ermitteln. Der Polizei Vorfeldbefugnisse – wie sie der Verfassungsschutz besitzt – einzuräumen, wäre für diese fatal. Dies würde nur bewirken, dass ein in den letzten 30 Jahren mühsam erarbeitetes Vertrauen der Bevölkerung in eine rechtsichere und tolerante Polizeiarbeit schnell wieder verloren ginge.