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Lehren aus der Revolution

Wer in den vergangenen zehn Jahren Journalist geworden ist, hat mehr durchgemacht als Generationen zuvor. Zwei Medienkrisen waren zu durchleiden, der Aufstieg des Internets zum neuen Leitmedium live mitzuerleben – und eine Art Angststarre bei vielen älteren Kollegen zu bestaunen. All die Veränderungen provozierten bei etablierten Journalisten einen bemerkenswerten Unwillen, sich auf Neues einzulassen. Obwohl doch die Beschäftigung mit Neuheiten das ist, was unseren Berufsstand ausmacht.

Die meisten Journalisten lieben Revolutionen, wenn sie darüber berichten dürfen.

Die meisten Journalisten hassen Revolutionen, wenn sie selbst deren Gegenstand sind.

Das ist einerseits faszinierend, andererseits schockierend, weil sie sich damit der Zukunft verweigern. Wer heute auf seiner Redakteursstelle altert und auf die Rente hofft, um nicht mehr umdenken zu müssen, sollte entweder tatsächlich kurz vor dem Abgang ins Altenteil stehen. Oder gut verdrängen können, dass er sich am Erbe für die kommenden Journalistengenerationen vergeht.

Um es klar zu sagen: Wer in den kommenden zehn Jahren Journalist werden will und noch die Medienrevolution zu negieren oder vor ihr wegzulaufen versucht, hat keine Zukunft. Das ist die Lehre aus den vergangenen zehn Jahren. Bequemlichkeit ist sündhaft, und sie ist sündhaft teuer – für einen selbst, wenn man am Ende seinen Job verliert oder keinen findet; für die eigene Redaktion, wenn man ihr nicht zu einer Idee verhelfen kann, wie ihre Zukunft aussehenkann; für die Gesellschaft, da Art. 5 GG.

Regel Nummer eins für Jungjournalisten: Nie bequem werden.

Unser Beruf wird in den kommenden Jahren finanziellen Risiken ausgesetzt sein, denen wir nicht ausweichen können. Wir haben das Risiko nicht gesucht, es hat uns gefunden. Wer aber nun das Risiko scheut, hat in diesem Beruf nichts verloren.

Journalismus wird gerade neu erfunden in dem Sinne, dass das neue digitale Multimedium allen anderen Medien veränderte Aufgaben zuweist, und zwar ohne dass das Finanzielle geklärt wäre – das ist so, Ende. Es hilft nicht, über das Problem zu klagen. Es hilft, die Lage der Medien wie ein Puzzle zu sehen, dessen Teile man neu zusammenlegen muss. Fangen wir an.

Um unseren Beruf in den kommenden Jahren gut zu machen, werden wir neben journalistischem Handwerk vor allem eine Herzenseigenschaft brauchen, die uns altbekannt sein sollte: Neugier. Die Lust auf Unbekanntes und Ungeahntes, auf Veränderung und die Freude am Beschreiben desselben war immer Kern unseres Jobs. Nun ist es die vielleicht wichtigste Qualifikation geworden, denn unser Beruf mag noch die alten Werte haben, aber ansonsten nimmt er zusehends experimentelle Züge an. Bloggen, twittern, kuratieren: Das sind gar nicht mehr so neue Begriffe, die die meisten Journalisten beherrschen müssen, wenn nicht jetzt, so doch in zwei, drei Jahren. 

Muss in Zukunft jeder Journalist twittern? Nein, nicht jeder.

Muss jeder wissen, wie man Twitter liest? Ja, jeder.

Muss jeder bloggen? Nein, nicht jeder.

Muss jeder verstehen, wie Blogs funktionieren? Ja, jeder.

So könnte man weitermachen. Das eine sind neue Handwerkstechniken des Publizierens, die nicht jeder, aber viele Journalisten in Zukunft brauchen werden. Das andere sind Kulturtechniken, die jeder, wirklich jeder Journalist schnell kapieren muss, sonst kann er nicht mehr mitreden. Und Journalisten müssen mitreden können.

Regel Nummer zwei: Umarme die neuen Möglichkeiten.

Als ich vor Jahren in einer Journalistenschule die Frage stellte, wer glaube, dass er zeitlebens nicht bei einer Online-Seite publizieren werde, da meldete sich mehr als die Hälfte der 20-plus-x-Jährigen. Da drückte sich ein weltvergessenes Unwohlsein aus, das man eher aus den älteren Redaktionen dieses Landes kennt. Den meisten war es später peinlich.

In deutschen Redaktionsstuben greinen geistig vergreiste Kollegen, die eigentlich in den Blütejahren ihres Lebens sind, über Twitter und wollen am liebsten das Internet abschalten. Jüngere Kolleginnen verzweifeln an Bloggern, die ihre Texte auseinandernehmen. Ressortleiter kurz vor der Rente verfluchen den Tag, an dem Leser die Mailadressen der Redaktion gesagt bekamen – nicht zu reden von Nutzerkommentaren auf der Webseite, die ohnehin jeden in der Redaktion aufregen.

In jedem Zeitungs-, in jedem Medienhaus ist derlei zu beobachten. Man darf sich an solchen Saturiertheiten kein Vorbild nehmen. Die Möglichkeiten der neuen Welt zu umarmen, heißt, damit zu brechen. Leser-Blatt-Bindung war Journalisten und Verlagen einmal wichtig. Jetzt kommt der Leser dank der digitalen Möglichkeiten den Journalisten und Verlagen deutlich näher, und es ist auch wieder nicht recht. Wer so tickt, sollte sich fragen, für wen er seinen Job macht: für den Leser, der ja zahlender Kunde sein soll?

Regel Nummer drei: An den Leser denken – nur weil es das „Focus“-Motto ist, ist es nicht falsch. Besser noch: Mit dem Leser reden. Dann erfährt man, was er in diesen aufregenden Zeiten noch von einem will.

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© flickr.com/royblumenthal (CC)

Die Überforderung vieler Medienhäuser mit der digitalen Revolution führte immer wieder zu einer radikalen Neubeschreibung unseres Berufsbildes, die zu einem gewissen Teil vielleicht erklärt, warum so viele Kollegen in Habachtstellung gegangen sind. Zeitungsjournalisten sollen mit Kameras und Mikrofonen auf Termine gehen, fotografieren, Radiointerviews führen, filmen und seit Neuestem live twittern, immer Online first: Crossmedia heißt das dann verbrämt, was in Wahrheit viel zu oft gequirlter Info-Mist ist.

Journalismus ist mehr als Kamera draufhalten und Drei-Fragen-Stellen, auch mehr als ein bisschen Netzgezwitscher und Multimediagewurstel.

Den eierlegenden Wollmilchreporter wird es in Zukunft natürlich geben, zum einen in der hoffentlich seltenen Ausprägung des überforderten Pseudojournalisten, der alles macht, aber nichts richtig – zum anderen in der mutmaßlich leider selteneren Ausprägung eines multibegabten Journalisten, der weiß, wie er die verschiedenen Kanäle für seine Geschichte richtig einsetzt. Wird derlei jedoch zum Standard-Berufsbild des Journalisten werden: Alle können alles? Mitnichten.

Wenn es in diesen unsicheren Zeiten für unsere Zunft irgendeine Sicherheit gibt, dann jene, dass das Publikum starke Medienmarken für ihre Einzigartigkeit auf einem speziellen Feld belohnt. Leser, Zuschauer, Nutzer – wie immer man sie nennt, sie suchen und honorieren Exzellenz. Die einen schätzen „Bild“ für furchtbar exzellentes Infotainment, die anderen den „Spiegel“ für seine einzigartigen Recherchen. Das Publikum schätzt, dass jede Marke das perfekt macht, wofür sie am stärksten steht. Ob als Video oder Text, ist nachrangig. Das Publikum erwartet nicht, dass jede Medienmarke crossmedial funktioniert. Es will, dass eine Medienmarke überhaupt funktioniert.

Dafür müssen bei Zeitungen eben Vollblut-Zeitungsprofis arbeiten, beim Fernsehen Fernsehprofis und bei Online-Seiten Online-Profis. Bei „Bild“ brauchen sie wiederum Infotainment-Profis, beim „Spiegel“ Rechercheprofis.

Jedes Medium, jede Marke hat eine spezifische Marktstellung, ist ein komplexes Gebilde, und es dürfte in Zukunft diffiziler werden, die jeweiligen spezifischen Bedürfnisse des Publikums zu befriedigen. In der neuen Medienwelt werden vermutlich nicht mehr sehr viele Verlage davon leben können, journalistische 08/15-Angebote zu machen. Um sich wettbewerbsfest zu machen, dürfen sie nicht auf Agentureinerlei und eierlegende Wollmilchreporter setzen, sondern müssen die Einzigartigkeit ihrer Marken herausstellen, sofern noch existent.

Entsprechend vielfältig wird unser Berufsbild in der Zukunft sein. Das grundlegende Handwerkszeug mag dasselbe sein für alle, die sich unter den Sammelbegriff Journalist zwängen, aber darüber hinaus ist nicht etwa crossmediales Allerlei das Ziel, sondern Professionalisierung und Differenzierung der Jobbeschreibungen.

Regel Nummer vier also: Breit beginnen, dann spezialisieren – aber offen bleiben.

Soll heißen: sich nicht zu früh auf eine Spielart des Journalismus festlegen, sondern die Breite des Berufs erforschen. Wer ein glücklicher Journalist werden will, muss sich dann jedoch stärker denn je überlegen, welche Ausformung, welches Medium, welche Marken er für sich spannend findet. Und dann dafür kämpfen, dorthin zu kommen. Allerdings nicht so radikal, dass er alle anderen Ausformungen, Medien oder Marken für immer negiert – das klingt wie ein Widerspruch und ist doch nur ehrlich.

Denn die guten Jobs im Journalismus werden noch rarer werden, Journalismus wird noch anstrengender als in den vergangenen Jahrzehnten, und über die Bezahlung schweigen wir besser.

Wenn die jüngsten Medienkrisen und die digitale Revolution eines beweisen, dann dass der Status Quo im Journalismus nunmehr permanent bedroht ist. Die Lebensstellung in einer Redaktion mit Karriere nach Fünfjahresplan ist passé. Wir Journalisten müssen uns ständig hinterfragen und nachdenken, wie es weitergehen soll. Niemand weiß, wie unser Beruf in 20, 30 oder 40 Jahren funktioniert. Das ist natürlich beunruhigend.

Beruhigend sind zwei Phänomene. Erstens ist die gerade stattfindende Revolution eine Medienrevolution. Wer, wenn nicht wir Medienprofis könnten die Potentiale in ihr entdecken? Wir müssten wirklich sehr viele Fehler machen oder sehr bequem sein – siehe oben -, wenn der Journalismus am Ende nicht davon profitieren könnte.

Zweitens haben in anderen Ländern, die uns voraus sind, die klügeren Redaktionen schon die Potentiale des digitalen Raums gehoben. Sie haben den Journalismus digital neu erfunden und finanziert. Es geht also. Und das Wichtigste: Es geht mit genau dem, wofür diese Redaktionen immer standen – gutem Journalismus.

Die simple Regel Nummer fünf: Guten Journalismus machen.

Wer schnell schöne Texte schreibt, bekommt Praktika, Volontariate oder Plätze an den Journalistenschulen. Wer dort gut ist, kommt weiter. Das wird sich nicht ändern, und das ist die gute Nachricht: Qualität zählt. Unsere Leser, Nutzer, Zuschauer suchen Qualität. Wir in den Redaktionen suchen junge Journalisten, die das verstanden haben.

Gute Arbeitsproben sind immer noch das beste Mittel, um sich einen Namen zu machen. Daran haben weder Medienkrisen noch -revolutionen etwas geändert.