Lesbische und schwule Medien im Wandel
Angst vor den wilden Lesben? Mord im Schwulen-Milieu? Noch in den Neunziger Jahren fanden lesbische und schwule Themen in die Medien nur dann Resonanz, wenn Sex and Crime oder Skandale Auflage versprachen. Vorurteile und Klischees bestimmten Schlagzeilen und Artikel. Die Lebenswelten, die spezifischen Probleme, die rechtliche Diskrimierung spielten keine Rolle.
Aktuelle und moralfreie Informationen zu HIV und Aids, Aktionen zu Gleichstellungsfragen, über Gruppen oder einfach nur über Künstlerinnen und Künstler und ihre Werke, die selbst der Community angehören oder ihr nahe stehen, fanden sich nur in Szene-Magazinen. Meist von Aktivistinnen und Aktivisten gemacht, viele davon mit journalistischem Hintergrund. Im Laufe der Jahre entstanden immer mehr Titel, einige gingen wieder ein, neue kamen hinzu. Die Branche professionalisierte sich.
Auch heute noch entgleitet klassischen Medien sprachlich wie thematisch immer wieder die vorurteilsfreie Berichterstattung. Dennoch gehören lesbische und schwule Themen und Nachrichten zum Mainstream. Welchen Sinn und welche Berechtigung haben dann heute noch eigene Medien und wie sieht es um ihre Zukunft aus?
Die Ausgangslage: Alles so schön bunt hier
Im Jahr 2013 zeigt sich die lesbische und schwule Medienlandschaft breit wie nie. Ob Printangebote, Online-Magazine, Internet-TV, Radio oder Blogs, wer mehr über schwules oder lesbisches Leben wissen will als die Mainstream-Medien zu bieten haben, wird überall fündig. Neben wenigen Kaufmagazinen („Männer„, „Du&Ich„) ist der schwule Mann in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln und München an sein kostenloses regionales Szene-Magazin gewöhnt. Meist monatlich bieten sie regionale Berichte, meist auch überregionale schwule Themen, Tipps, Termine, Buch-, Musik-Reviews und vieles mehr. Produziert mit viel Engagement und wenig Geld.
Einige Magazine legen zudem viel Wert darauf, auch lesbische, trans*, und bisexuelle Themen mitzudenken. Bei den kostenlosen Stadtmagazinen – aber auch nur hier – ist ein Konzentrationsprozess in Gang. Von außen betrachtet kein Wunder, denn optisch unterscheiden sich die meisten Blätter kaum. Der halb-nackte Mann auf dem Titelblatt variiert im Alter zwischen 20 und Mitte 30. Nachdem im vorigen Jahr bereits „rik“, „exit“ und „gab“ vom Berliner Blu-Verleger aufgekauft wurden, wandern ganz aktuell auch Münchens Leo und Hamburgs „Hinnerk“ in die gleiche Hand. Eigenständig bleiben nur noch „Flash„, „Fresh„, „Schwulissimo“ und „Siegessäule„. Bleibt abzuwarten, ob der Prozess damit abgeschlossen ist.
Lesbische Leserinnen waren seit den Anfängen der „lespress“ 1995 hingegen gewöhnt, für journalistische Produkte zu zahlen. Die Lücke, die das erste Lesben-Magazin Mitte der 2000er Jahre hinterließ, füllt seit zehn Jahren „l-mag“ mit ebenfalls hohem journalistischem Anspruch. Erst vor kurzem übernahmen die lesbischen Chefredakteurinnen den Verlag, dem auch „Siegessäule“ und „Du&Ich“ angehören. Daneben gibt es ein paar regionale Magazine wie die Hamburger „Escape„.
Aber es wird nicht nur schwul und lesbisch geschrieben, auf allen medialen Kanälen gibt es inzwischen Produkte, Radiosender wie „PinkChannel“ oder „Pride1“ setzen meist auf ehrenamtliches Engagement ihrer Moderatorinnen und Moderatoren, senden ein- bis mehrmals im Monat oder gar wöchentlich via Welle oder Webstream. Eigenständige Angebote für Lesben gibt es keine, viele Sender bieten aber eine lesbische Radioecke wie „funDyke„. Nach der Pleite des schwulen Senders „Timm-TV“ liegt dieser Kanal zwar brach, dafür gibt es diverse Web-TV-Formate. „Queerblick“ oder „The Nosy Rosie“ sind Angebote, die von jungen Web-TV-Macherinnen und -Macher gestaltet werden und sich meist an ein Publikum wenden, das sich selbst nicht rein als lesbisch oder schwul labeln will.
Viele neue Angebote
Nachdem Deutschland viele Jahre nur „queer.de“ und „Konny’s Lesbenseiten“ als Referenzen im Online-Bereich vorzuweisen hatte (die wie Pilze aus dem Boden schießenden Datingportale mit redaktioneller Berichterstattung seien außer acht gelassen), entstanden in den letzten Jahren zunehmend neue Angebote. Fast alle Stadtmagazine betreiben eigene oder gemeinsame Webseiten, oft allerdings wenig aktuell, manche gar nicht gepflegt. Von wegen Online First! Bislang bringen vor allem die Anzeigen im Printbereich Umsätze.
Laut Aussage eines Medienmachers reichen die ohnehin an Selbstausbeutung grenzenden Kapazitäten nur für das gedruckte Format. Die Kölner Ex-Verleger von rik, gab und exit gehen einen anderen Weg. Seit Sommer 2012 setzen sie auf „inqueery.de„. Dazu kamen und kommen viele weitere Formate im digitalen Bereich, der lifestylige „Vanguardist„, die „Pride Lifestyle“ oder das Bielefelder „weird“ und die bundesweite „phenomenelle„. Dazu kommen schwule Blogs wie „samstagisteingutertag„, „nollendorfblog“ oder „stevenmilverton“ und lesbische wie „karnele“ oder „l-talk„.*
Alles in allem eine breite, bunte Medienlandschaft, in der mit viel Engagement, teilweise hochprofessionell, aber mehr oder weniger prekären Arbeitsverhältnissen, teilweise sogar ehrenamtlich Mittelmäßiges bis sehr Gutes produziert wird -gemessen an den Bedingungen. Damit wird nur die lesbische und die schwule Presse beschrieben? Wohl kaum. Das lässt sich vielleicht nicht eins zu eins, aber annähernd auf die Medienlandschaft in Deutschland übertragen.
Die Krise: Bleibt die Qualität auf der Strecke?
Anfang Dezember 2012 wandte sich der Bund lesbischer und schwuler JournalistInnen (BLSJ) mit fünf provokanten Thesen an die Szene-Presse sowie deren Leserinnen und Leser. Der Verband macht sich Sorgen um die Qualität der Szene-Presse, fordert Verlage auf, besser zu bezahlen, keine PR abzudrucken und konsequent auf qualitativ hochwertigen Journalismus zu setzen. Die Leser_innen sollen lernen, sich guter Angebote bewusst zu werden und sie wertzuschätzen. Sprich: Sie sollen sich daran gewöhnen, dafür zu bezahlen. Diverse Herausgeberinnen und Herausgeber, Medienmacherinnen und Medienmacher antworteten darauf. In der Quintessenz waren sich alle einig, dass sie guten lesbisch-schwulen Journalismus wollen. Sie setzen unterschiedliche Rezepte dazu ein, hier einige Schlaglichter:
- Durch PR-querfinanzierte Medien sind besser als gar keine.
- Das Einhalten der Standards ist vor allem eine Frage der eigenen Verleger-Haltung.
- Konsequent auf das Lokale zu setzen, ist die Lösung.
- Schwule Stadtmagazine haben sich überlebt.
Höhere Löhne liegen offensichtlich für alle Diskutanten außerhalb des Machbaren. Bezahlt wird in der Regel auf Lokalzeitungsniveau. Mit Anzeigenverbünden wie „publigayte“ im Print- oder „netzdenker.com“ im Online-Bereich wollen sich die Medien attraktiver für überregionale Werbekunden machen.
Jahrelang redeten deutsche Medienmacherinnen und Medienmacher vor allem über die Krise, nun ist sie da. Nach Veröffentlichen der BLSJ-Thesen ging das Stadtmagazin „Prinz“ ebenso von der Druckerpresse wie die deutsche Ausgabe der „Financial Times„, das Traditionsblatt Frankfurter Rundschau in die Insolvenz (zwischenzeitlich ist das weitere Erscheinen zwar gesichert … aber das ist ein anderes Thema). „Online First“, die Maxime, die viele Verlage in den letzten Jahren verfolgten, wird seit zwei Jahren schleichend ersetzt durch „Online kassiert“. Die Leserinnen und Leser mögen doch bitte endlich verstehen, dass guter Journalismus Geld kostet! In ihren Argumentationen und Rechtfertigungen, in ihren Träumen und Ideen unterscheiden sich lesbische und schwule Medienmacher_innen kaum von denen anderer Medien. Bei „Online kassiert“ halten sie sich allerdings bislang zurück. Und wenn, setzen sie auf freiwillige Geldeinnahmen.
Zu oft lamentieren hier wie dort Medienleute über die Krise, zu selten werden konsequent die Chancen ausgetestet, die in ihr liegen. Zu häufig wird vor allem der Konflikt auf Print versus Online zugespitzt. Wenn überhaupt müsste es heißen: Print versus Digital. Denn schon jetzt steigen die Zugriffszahlen auch bei Onlineseiten von Smartphones und Tablets stetig. Eine Entwicklung, die sich nur noch nach einem mysteriösen weltweiten Stromausfall aufhalten ließe, wie er derzeit in der US-amerikanischen TV-Serie Revolution ausgelotet wird. Aber das ist bekanntlich Fiktion, kein Journalismus. Im digitalen Tablett-Bereich fehlt es noch an mediengerechten überzeugenden lesbischen und schwulen Angeboten. Das gilt übrigens auch für den englischen Sprachraum. Sowohl das Schwulenmagazin „The Advocate„, wie auch die Lesbenmagazine „DIVA“ und „Curve“ gestalten zwar ansprechende Online-Seiten, die Tablett-Ausgaben lassen aber zu wünschen übrig.
Der Ausblick: Abenteuer, Wagnis, Risiko?
Gute Arbeit soll gut bezahlt werden. Keine Frage. Die Möglichkeiten der digitalen Welt stellen alle Produzentinnen und Produzenten von Inhalten, Ideen und kreativen Werken vor Herausforderungen. Wer kann in der heutigen Welt schon ohne Geld überleben. Darin unterscheiden sich lesbische, schwule, trans* und queere Medienmenschen nicht von hetero-, omni-, multi- und sonstigen Buchstaben-sexuellen. Ob die alleinige Antwort darin liegt, die vermeintliche Kostenlos-Kultur der Internet-Nutzer_innen zu beklagen und zunehmend auf Bezahlschranken zu setzen, darf bezweifelt werden. Lesbischen und schwulen Medien würde ich sogar davon abraten. Kleine, hoffnungsvolle Ansätze mag vielleicht das Crowd-Funding bringen. Die Musikerin Amanda Palmer drückt es in ihrem inspirierenden TED-Talk als die „Kunst des Fragens“ aus: „Zwingen Sie Menschen nicht dazu, für ihre Musik zu zahlen, fragen Sie sie, ob sie dazu bereit sind.“
Auch wenn lesbische und schwule Themen in den Mainstream-Medien angekommen sind. Es braucht weiterhin Angebote, die von lesbischen und schwulen Medienmacherinnen und Medienmacher, Journalistinnen und Journalisten finanziert, produziert und gemanagt werden. Denn wer, wenn nicht wir, kann die Welt aus unserem Blickwinkel betrachten. Die Themen sollten aber über die queere Buchstabensuppe hinausgehen und über die eigentliche Zielgruppe hinaus auch andere Menschen ansprechen. Inhalte, Formate, die Aufbereitung und die Verknüpfung der Kanäle brauchen genauso wie die finanzielle Basis Ideen, Innovationen, Versuch und Irrtum.
*Alle ungenannten Medien und ihre Macherinnen und Macher mögen mir verzeihen. Das Angebot ist einfach zu groß.