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Liebesentzug von Medien und Politik

Wulff und die Medien – was für eine bigotte publizistische Schlammschlacht! Die Kreditaffäre um den Noch-Bundespräsidenten entwirft das Sittengemälde eines Metiers wie er in einem Schwarzbuch Journalismus nicht besser hätte erfunden sein können. Sie führt beinahe prototypisch vor, wie aus ehemals gehypten Politikern plötzlich Staatsfeinde gemacht werden, wie mediale Bruderschaften geschmiedet und wohlfeile Medienkampagnen ausgeheckt werden. Es geht dabei vor allem um – Aufmerksamkeit. Aber nicht um der Sache, sondern um der emotionalen Stimmungsmache willen.

Was wir derzeit erleben, ist eine schlimme Ausgeburt des gehobenen Stimmungsjournalismus in Deutschland, der sich aus gefühlten Wahrheiten, Wichtigtuerei und Abfälligkeiten gegenüber Berufspolitikern speist. Der Fall Wulff offenbart aufs Neue, wie gefährlich nahe sich Politiker und politische Journalisten inzwischen im Treibhaus Berlin gekommen sind, und mit welchen Risiken diese unwirkliche Nähe behaftet ist.

Es geht also nicht um die Frage, ob die Bürger eher einem Boulevard-Chefredakteur oder dem Staatsoberhaupt Glauben schenken sollen, oder dass die politische Klasse inzwischen schon unter Generalverdacht zu stehen scheint. Es geht vielmehr um den gegenseitigen Liebesentzug von Medien und Politikern und darum, dass die Meinungsmacher im Regierungszentrum selbst zu Getriebenen werden, die politische Affären nicht mehr durch journalistische Geschäftigkeit aufdecken, sondern Petitessen wie die angeblich skandalöse Garderobe seiner Ehefrau oder die Übernachtungsregelungen für Freunde von Politikern selbst zu Medienskandalen aufbauschen.

Während die Hintergründe im Fall Wulff – etwa die persönlichen Verbindungen zu AWD-Gründer Maschmeyer – weiter im Dunkeln bleiben. Es überrascht, mit welcher Einmütigkeit dabei die ehemaligen Klassenfeinde Springer, „FAZ“ und „Spiegel“ jetzt berichten.

Teufelskreis der medialen Selbstthematisierung

Immerhin: Daraus lässt sich viel über die Funktionsweise der Medienmaschinerie ableiten. Zum Beispiel, dass die Medienagenda so volatil ist wie derzeit nur der Aktienkurs des Springer-Verlags. Oder die bittere Gewissheit, dass die Simulation politischer Interviews wie bei ARD/ ZDF ein Auslaufmodell sind – so schlecht wurde da gegenrecherchiert, so wenig sachverständig nachgefragt. Oder wie stark der Stammtisch die Medien beherrscht, wenn alle paar Tage – fast manisch – eine neue Umfrage wie der ARD-„Deutschlandtrend“ präsentiert werden muss, die besagt, dass Wulff aufgrund der kritischen Presseberichterstattung kontinuierlich an Zustimmung im Volke verliert – ein wahrer Teufelskreis der medialen Selbstthematisierung.

Wie schon in den letzten Wochen drängt sich ohnehin der Eindruck auf, dass diese Meinungsmache nicht von ungefähr kommt. Sie stellt sich vielmehr als journalistisch gewollt dar und ist in den Augen vieler Bürger vielleicht sogar ein Indiz dafür, dass manche Hauptstadtjournalisten dies als Gelegenheit sehen, Angela Merkel zu stürzen.

Dafür spricht zumindest auch, dass völlig nebulös bleibt, welche Informationen die tonangebenden Leitmedien – von „Bild“ über „Spiegel“ bis „Süddeutsche“ – aus strategischen Gründen noch bewusst zurückhalten, um die Debatte im „richtigen Moment“ weiterzudrehen, etwa die vermeintlich anstößige berufliche Vergangenheit der First Lady.

Respektlosigkeit und Chuzpe

Man spürt an der teils flatterhaften, teils alarmistischen Politikberichterstattung der vergangenen Woche, wie sich die Medienmeute förmlich daran ergötzt, Gott zu spielen und darüber zu richten, ob der Bundespräsident im Amt bleiben darf. Diese Spirale der Entrüstung wird von der Eigendynamik und Meinungsfreudigkeit der Netzgemeinde noch beschleunigt – die Hauptstadtjournalisten haben sichtlich Angst, den Kürzeren zu ziehen und ihre Deutungshoheit an die Internet-Community zu verlieren. Warum auch sonst wird in den klassischen Medien andauernd auf die Stimmungslage bei sozialen Medien, Facebook und Blogs verwiesen?

Natürlich gehören eine gewisse Respektlosigkeit und Chuzpe gegenüber Politikern schon von Berufswegen zum Journalistendasein dazu. Wenn aber Vorverurteilungen und Sensationsrummel wie dieser Tage die journalistische Sorgfaltspflicht und Besonnenheit überstrahlen, ist es vorbei mit der Professionalität. Wulff wird nach dieser beispiellosen Treibjagd der Medien zurücktreten, soviel scheint schon jetzt festzustehen. Aber ob die Vergewisserung der Alpha-Journalisten ihrer eigenen Bedeutsamkeit die Demontage eines weiteren Bundespräsidenten wert war, wird sich noch zeigen.