MacGyver ist ein Nerd!
Nerds, Hacker und Klischees: Constanze Kurz wurde als Sprecherin des Chaos Computer Clubs schon oft mit Vorurteilen konfrontiert und schwört dennoch auf den Mythos der Unwissenheit. Im Interview erklärt sie, warum Deutschland seine bekanntesten Computerexperten immer noch etwas sonderlich findet.
Nerd, der; Substantiv, maskulin – sehr intelligenter, aber sozial isolierter Computerfan [Duden, 25. Auflage]
Sie entsprechen gar nicht dem Klischee eines Computernerds!
Stimmt. Aber die Klischees und der Begriff Nerd ändern sich auch. Früher war das natürlich deutlich negativer besetzt. Heute ist das ein bisschen hipstermäßig, ein Nerd zu sein im technischen Bereich. Wobei Nerd sich früher ja nicht wirklich auf Technik bezogen hat, sondern man durchaus ein Nerd in ganz anderen Richtungen sein konnte. Leute, die man früher nicht so bezeichnet hätte, würde man heute längst in diese Kategorie stecken.
Was hat sich geändert?
Also ich glaube, die Bedeutung hat sich enorm erweitert und der Begriff ist positiver konnotiert. Das ist so mein Eindruck aus den letzten drei, vier Jahren. Es ist nicht mehr ehrenrührig, ein Nerd zu sein. Auch als männlicher Nerd hat man Kontakt zu anderen, weiblichen Menschen. Heute ist es okay, wenn man Ahnung von Technik hat. Ein bisschen komisch ist man zwar, aber das ist nicht schlimm. Man kann es jetzt auch über sich selber sagen, ohne dass es komisch klingt. Ich bin einer, und ich find’s nicht komisch.
Was ist ein Nerd genau?
Das Bild eines Nerds hat sich besonders durch die alten amerikanischen Filme geprägt. Ein Nerd trägt immer diese dicken Brillen, und niemand mochte die. Ich verbinde das aber auch mit MacGyver. Diese Eigenschaften, aus dem Kaktus ein Radio zu bauen oder mit drei Sachen, die er in der Wüste findet, einen Satelliten ins All zu schießen. Natürlich wurde mit meinem Eintreten in den Chaos Computer Club mein Nerdbild ein bisschen anders. Da gibt es richtige Nerds. Wenn die sich in Technik vertiefen, sind die vollkommen weggetreten. Das hat natürlich meine Wahrnehmung geändert. Und natürlich auch, wenn man nerdige Eigenschaften an sich selbst entdeckt. Ich kenn‘ das von mir. Ich warne die Leute dann immer vor und sage: „Vorsicht, ich muss jetzt ’ne Runde nerden.“ Wenn ich „nerde“, dann braucht mich auch keiner stören. Das ist okay. Früher hätte ich das niemals über mich selber gesagt.
Sie bezeichnen sich selbst als Hacker.
Ja, wobei ich davon einen eher breiten Begriff habe. Nach meinem Verständnis würde ich viele Leute als Hacker bezeichnen, die das selbst von sich nicht tun. Das liegt an der Geisteshaltung. Hacker müssen Lust haben, Technik nicht nur zu verstehen, sondern auch, die Grenzen auszutesten. Insofern würde ich mich natürlich als Hacker verstehen, ganz klar. Es geht aber nicht immer darum, Systeme zu knacken. Ich beschäftige mich gerne mit Sachen, die man anfassen kann. Das Bild der Öffentlichkeit ist schon sehr eindeutig. Hacker sind männlich, riechen nicht gut, essen nur Pizza, haben fettige Haare und so was. Ich meine, an jedem Klischee ist ja auch immer irgendwie was Wahres.
Ist der Chaos Computer Club ein Verein voller Nerds?
Das ist total unterschiedlich. Es gibt eine ganze Menge Leute im Club, von denen ich mir wünschen würde, dass die mehr aus dem Fenster gucken, klar. Bei uns gibt es schon eine sehr hohe Toleranz für zum Teil sehr abseitige soziale Normen. Es steht ja schon in der Hackerethik: Man soll niemanden nach seinen Eigenschaften, wie bizarr die auch immer sein mögen, einschätzen, sondern nach dem, was er kann. Die skurrilsten Personen können sich integrieren. Wenn man diese Leute kennenlernt, ist man sicherlich erst mal irritiert, aber nach einer Weile erkennt man die liebenswerten Seiten. Es ist aber auch nicht leicht, so viele verschiedene Menschen aneinander zu binden mit der bloßen Idee, Bock auf Technik zu haben. Manchmal sind es echt sehr skurrile Leute.
Wurden Sie als Hacker mit Vorurteilen konfrontiert?
Ja, klar. Auch offen, manchmal. Gerade, wenn man vor einem Publikum spricht, das ein reines Boulevard-Bild von einem Hacker hat. Aber auch, wenn man mit sehr einfach gestrickten Journalisten spricht, die dann fragen „Na, wo sind Sie denn heute Nacht wieder eingebrochen?“ Aber das ist okay. Ich nehme es niemandem übel, wenn er die über Medien, Fernsehserien und Filme verbreiteten Klischees übernimmt. Ich habe auch Klischees von Leuten im Kopf, von deren Leben ich keine Ahnung habe. Mein Bild von einem Postboten ist wahrscheinlich auch verzerrt. Ich fühle mich dann auch nicht diskriminiert, ich muss eher schmunzeln.
Was wird in den Medien sonst noch falsch dargestellt?
Hacken geht schnell. Zwei Minuten und man ist drin. Das ist es, was die Leute denken, was Hacken ist. Dabei ist es in der Regel eher eine langwierige und teilweise auch sehr anstrengende und monotone Tätigkeit. Dass auch den bekannten Hacks wochenlange Arbeit vorausgegangen ist, das wird oft nicht gesehen.
Soll sich das Bild der Öffentlichkeit ändern?
Ich kann es ja doch nicht ändern. Die Schlagzeile „Hacker bricht in Bank ein“ kommt halt besser als „Onlinekrimineller…“ Es gibt keinen Namen für diese Gruppe, die wirklich Kriminelle sind und ihr Geld mit Hacks verdienen. Die gibt es ja, ich will da auch nichts wegreden. Aber die nennen sich nun mal nicht Onlinekriminelle oder Cracker, sondern auch Hacker. Daran kann man nichts ändern. Es ist auch nicht so, dass man diese Szenen so klar voneinander trennen könnte. Manchmal profitiert man auch durch das Wissen, das Kriminelle mit einem teilen. Mit einer gewissen Ambivalenz kann ich mich anfreunden. Das begründet ja auch so einen gewissen Mythos.
Illustriert von Benjamin Krause. Dieses Inteview ist zuerst im STADTLICHH Magazin, Ausgabe #7, erschienen.