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Matthias Onken: „Ich wollte nie eine Redaktion leiten“

Steile Karriere: Matthias Onken (40) stieg vom Reporter zum „Mopo“-Chefredakteur und dann zum „Bild“-Redaktionsleiter in Hamburg auf. Doch mit den neuen Positionen wuchs auch der Druck, vor zwei Jahren schmiss Onken schließlich das Handtuch. Sein Buch „Bis nichts mehr ging“ ist ein Report über diese Zeit. Im Interview spricht der ehemalige Redaktionsleiter von „Bild“ in Hamburg Matthias Onken darüber, wie er sich jahrelang den Stress schön redete und wie schwer Defizite in der sozialen Kompetenz von Führungskräften auf ihren Mitarbeitern lasten.


VOCER: Herr Onken, Chefredakteur eines überregional bekannten Blattes zu sein – ist das von Anfang an Ihr Karriereziel gewesen?

Matthias Onken: Nein. Ich dachte immer, ich würde Reporter bleiben, weil das mein absoluter Traumjob war. Ich wollte nie ein Ressort oder eine Redaktion leiten, geschweige denn Chefredakteur einer Zeitung werden.

Aber der Aufstieg dahin kam und mit ihm, wie Sie in Ihrem Buch „Bis nichts mehr ging“ schreiben, kam auch die Stressspirale. Wann hat sie konkret eingesetzt?

Ich hatte bereits als Reporter zehn bis zwölf Stunden am Tag und das sechs Tage die Woche gearbeitet. Das habe ich aber immer als positiven Stress wahrgenommen. Die Arbeit als Lokalchef bei der „Mopo“ hat mich hingegen auf eine Art und Weise gestresst, wie ich das bis dahin nicht erlebt hatte. Es baute sich ein Druckgefühl auf, das mich nie wieder verlassen hat. Ein Druck, funktionieren zu müssen, fertig werden zu müssen, vor allem auch Verantwortung zu tragen – nicht nur für mich, sondern auch andere und ihre Fehler.

Matthias Onken © © Thorsten Wulff

Matthias Onken, Journalist und Autor

In Ihrem Buch schreiben Sie, dieser Druck habe Sie bis in den Schlaf verfolgt, Ihr Privatleben sei daran zerbrochen. Trotzdem haben Sie die Position nicht aufgegeben – warum?

Ich habe durch die Erfolge immer wieder Kicks erlebt, die dieses unangenehme Gefühl betäubt haben. Dieses große Gefühl, eine Story exklusiv zu haben und mich mit meinem Team darüber freuen zu können: das hat mich alles vergessen lassen, was mich belastete. Und da das regelmäßig der Fall war, stand für mich nie die Frage im Raum, mich doch besser zurück zu entwickeln.

Stattdessen ging es weiter vorwärts: Sie wurden „Mopo“-Chefredakteur. Wie ging es Ihnen damit?

Das war eine extrem angespannte Phase, in der der Verlag an David Montgomery verkauft wurde, gemeinhin bekannt als erste Heuschrecke im deutschen Zeitungsmarkt. Dieser Verkauf hat uns eine furchtbare Zeit beschert, und leider sind den Einsparungen und absurden Rendite-Erwartung sämtliche Verlagsmanager gefolgt. Wir haben damals als Redaktion eine Auflagensteigerung erarbeitet und wurden dafür nicht belohnt, sondern durch weitere Kürzungen – vor allem im personellen Bereich – bestraft. Das konnte ich mit meinem Gewissen einfach nicht mehr vereinbaren und habe dann gekündigt.

Hätten Sie als Chefredakteur nicht auch die Möglichkeit gehabt, an diesen Missständen etwas zu ändern?

Ich habe das bei der „Mopo“ versucht, indem ich Montgomerys Feldzug gegen die journalistische Qualität intern kritisiert habe. Selbst ein Topf zur Belohnung besonderer Leistung wurde mir verweigert. Ich empfand die Lohnstruktur als ungerecht. Führungskräfte, vor allem aber Verlagsmanager bekommen so absurd viel mehr als die wichtigsten Redakteure und Reporter. Ich hätte den Leistungsträgern gern deutlich mehr gegeben. In der Redaktion wurde tarifgebunden gezahlt, für Nachtschichten oder Wochenendeinsätze gab’s nur kleine Extras. Diese Regelung konnte ich nicht einfach aus den Angeln heben. So etwas ist ein Verleger- oder Vorstandsjob oder erfordert eine Initiative vom DJV. Als Chefredakteur hat man da wenig Einfluss.

Sie sind dann dem Lockruf von „Bild“ gefolgt. Haben Sie zu dem Zeitpunkt nie an einen Ausstieg gedacht?

Den Gedanken gab es. Als ich mich damit beschäftigt habe, war mir aber schnell bewusst, dass ich es sehr schwer haben würde. Ich war zwar Chefredakteur einer überregional bekannten Regionalzeitung, aber ich fühlte mich noch nicht stark genug, um in der Selbständigkeit zu bestehen. Als freier Autor ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben. Von der Flughöhe aus, in er ich mich befand, wollte ich mir das nicht antun. Und was macht man sonst? PR hat mich nicht gereizt. Und für Beratung, so wie ich sie heute mache, war ich einfach noch zu jung. Nicht erfahren genug.

Nach vier Jahren Arbeit bei Springer ging es dann aber nicht mehr, Sie kündigten. Erinnern Sie sich an den Auslöser, der das Fass letztendlich zum Überlaufen gebracht hat?

Es gab kein Schlüsselerlebnis. Es war über Jahre hinweg eine Achterbahn der Gefühle – zwischen Hochs und totalen Downs. Wenn wir wieder eine Schlagzeile gemacht hatten, über die die ganze Stadt redete, dann herrschte bei mir eine Euphorie, die mich Tage getragen hat. Aber irgendwann waren die Selbstzweifel zu groß. Irgendwann dachte ich nur noch: Du übertreibst es, du bist in eine Sackgasse gefahren, und bald kommt die Wand. Ich bin in meinem Privatleben vereinsamt, habe den Kontakt zu Freunden mangels Zeit abgebrochen, ich konnte mangels Kraft auch keine Beziehungen mehr führen. Es reifte dann die Gewissheit, dass ich raus musste und dass es auch keine Light-Version meines Jobs gab, sondern nur den Exit.

Inwieweit hat das Arbeitsklima beim Springer-Verlag zu Ihrem Ausstieg beigetragen?

Meine Erlebnisse sind definitiv kein Springer-eigenes Problem gewesen. Das ist ein Problem unserer Zeit. Die Reaktionen, die ich derzeit auf mein Buch bekomme, von sehr bekannten Führungspersönlichkeiten aus der Medienwelt, aber auch aus anderen Branchen, lässt mich vermuten, dass es in sehr vielen anderen Konzernen ähnlich aussieht. Das ist ein Problem von Konzernstrukturen und Hierarchiestrukturen. Heute müssen immer weniger Leute immer mehr verantworten. Zudem geht es bei der Auswahl von Führungskräften immer nur um deren Output. Wenn sie zufälliger Weise soziale Kompetenzen mitbringen, dann ist das gut. Aber es gibt kein berufsbegleitendes Coaching für junge Führungskräfte, in dessen Rahmen das Erreichen von Grenzen thematisiert wird. Du sagst deinem Chef ja nicht: Hier und dort sind meine Grenzen. Oder: Ich weiß mit dem Stress nicht umzugehen, bitte hilf mir. Das wäre ja ein Eingestehen von Schwäche und der nicht vorhandenen Kompetenz, für sich selber eine Lösung erarbeiten zu können.

Haben Sie als Chefredakteur Ihren Mitarbeitern denn die Möglichkeit gegeben, über Probleme offen zu sprechen?

Ich habe von meinen Mitarbeitern sogar verlangt, mir zu sagen, wann sie an Grenzen gelangen. Ich habe ihnen vermittelt, dass das professionell ist. Unprofessionell ist es, immer weiter zu machen.

Wurde diese Möglichkeit auch genutzt?

Nicht massenweise, aber es sind regelmäßig Leute zu mir gekommen, ja. Das kam auch in ganz banalen Situationen vor, in denen die Kollegen in einer Recherche feststeckten und sich einen Impuls gewünscht haben. Aber auch bei ernsthaften Krisen. Ich bin sehr stolz auf diese Mitarbeiter gewesen und habe mich durch dieses Verhalten darin bestätigt gefühlt, dass das gute Typen sind. Ich fand das super professionell und unglaublich verantwortungsvoll.

Sie selbst haben mit Ihren Chefs allerdings nicht über den enormen Druck gesprochen, unter dem Sie litten?

Nein, ich habe das als Ding der Unmöglichkeit empfunden. Ich bin ja auch von keinem meiner Chefs je gefragt worden, ob ich glücklich bin, ob ich angstfrei zur Arbeit gehe, ob ich zu dem Druck und der Geschwindigkeit des Jobs einen Ausgleich hinbekomme oder ob ich auch Sorge dafür trage, meine Auszeiten wirklich als Auszeiten zu leben und nicht bloß als Nicht-Anwesenheit im Büro. Das ist ein großes Defizit, dass das in unserer Arbeitswelt nicht vorhanden ist. Zumindest nicht in den Welten, in denen ich gearbeitet habe.

Hat es dieses Problem im Journalismus schon immer gegeben?

Gerade in der jüngsten Zeit ist noch einmal deutlich geworden, dass da heute ein unheimlicher wirtschaftlicher Druck auf der Branche liegt. Personaletats schrumpfen weiter, also werden künftig noch weniger Leute noch mehr arbeiten müssen. Ich finde es ganz schlimm, dass man heute als fertiger Volontär nur mit ganz großem Glück einen Jahresvertrag bei einer Zeitung bekommt. Wenn wir uns die Situation bei G+J angucken oder das „Hamburger Abendblatt“, das jetzt mit der „Welt“ und der „Berliner Morgenpost“ fusioniert: Da fallen junge Talente mit Jahresverträgen durchs Raster, während die alten Schlachtrosse weitermachen dürfen. Leute, die glauben, ihre Schäfchen ins Trockene gebracht zu haben und die nicht mehr so leistungsfähig sind. Diese einseitige Personalentwicklung tut dem Redaktionsklima nicht gut und auch nicht der Qualität der Medien. Und es schreckt den Nachwuchs ab. Ich finde das schlimm, dass sich junge Leute alle drei Monate Gedanken darüber machen müssen, ob ihr Vertrag verlängert wird oder nicht. Du hast ja überhaupt keinen Kopf mehr für den Job, den du aus Leidenschaft gewählt hast, weil du ständig in Existenzsorge lebst. Du hast keine Beständigkeit, sondern wirst hin und her geschoben. Kein Vertrag, in dem nicht steht, dass du nicht auch an einem anderen Verlagsstandort in einem anderen Projekt eingesetzt werden kannst! Ich finde das grauenvoll.

Sie sind aus dem Journalismus ausgestiegen, Sie empfinden die jüngsten Entwicklungen in dieser Branche als unzumutbar. Dennoch ermutigen Sie für den DJV in einem Mentoring-Programm junge Talente darin, in dieser Branche zu arbeiten. Wieso?

Nach wie vor halte ich den Journalismus für einen Traumberuf. Reporter zu sein war für mich eine Passion. Das ist zwar mittlerweile eine Zeit her, aber nach wie vor erinnere ich mich wahnsinnig gern daran. Und diese Erinnerung wird auch nicht durch die Zeit getrübt, in der ich administrativ als Redaktionsleiter tätig war. Außerdem finde ich es unglaublich wichtig, dass auch heute noch gute Menschen trotz all der Widrigkeiten, die diese Branche mit sich bringt, nicht verzagen, sondern diesen Beruf ergreifen. Und wenn ich ihnen nur ein kleines bisschen dabei helfen kann, dass sie befreit arbeiten können und sich nicht ständig mit den Strukturen beschäftigen müssen, dann mache ich das.