Medien im Jagdfieber
In seinem neuen Buch „Die Mechanismen der Skandalisierung“ unterscheidet der Mainzer Publizistikwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger Skandale und publizistische Konflikte. Bei Skandalen bestehe nach kurzer Zeit ein „breiter Konsens in der Einschätzung der Ursachen von Missständen sowie der Verantwortung ihrer Urheber“. Bei publizistischen Konflikten komme es dagegen zu einer öffentlichen Auseinandersetzung darüber, wie die „Ursachen der Missstände und die Verantwortung ihrer Urheber“ einzuschätzen seien.
Demzufolge haben wir es beim Versuch, mit Niko Pelinka einen Vertrauten des Bundeskanzlers in eine strategisch wichtige Position beim ORF zu hieven, mit einem Skandal zu tun. Ebenso beim deutschen Bundespräsidenten Wulff, der wegen Vorteilsnahme bei einem privaten Kreditgeschäft, seinen anschließenden Drohgebärden gegenüber dem „Bild“-Chefredakteur und weiteren Ungereimtheiten seiner Amtsführung von den Medien attackiert wird.
Der Rücktritt des Schweizer Nationalbank-Präsidenten Hildebrand wäre dagegen eher als publizistischer Konflikt zu werten. Denn Hildebrand nahm seinen Hut, bevor zweifelsfrei geklärt werden konnte, ob die Devisengeschäfte seiner Frau wirklich ein Fall von Insider-Handel waren. Der publizistische Konflikt wurde zwischen der „Weltwoche“, die Hildebrand skandalisiert hatte, und nahezu dem gesamten Rest der Schweizer Journaille ausgetragen, die gegenüber Hildebrand Beißhemmung hatte, weil sie hinter der Attacke den Rechtspopulisten Blocher ausmachte.
Es bleibt weithin eine Gemeinsamkeit der „alten“ Medien im Umgang mit Skandalen. Sie reflektieren das eigene Verhalten viel zu wenig. Dem etablierten Journalismus mangelt es bei der Skandalisierung seiner selbst weiterhin an Professionalität. Print und TV büssen so die Oberhoheit über den Diskurs zum Journalismus ein, denn im Internet gibt es lebhafte Diskussionen um diesen blinden Fleck.
Diese Kolumne wurde zuerst in der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ veröffentlicht.