Medien- und Journalismuslabore im Portrait
1. New York Times Research & Development Lab
Mit ihrem Forschungs- und Entwicklungslabor versucht sich die „New York Times“ für disruptive Innovationen auf technologischer Ebene mit Konzepten zur Kundenbindung zu wappnen. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Analyse der Verbreitung neuer Technologien und dem damit einhergehenden Wandel des Mediennutzungsverhaltens. Mittels Prototypen und der Ausweitung bestehender Dienste werden neue Plattformen geschaffen, die sich mit den Einsatzmöglichkeiten von Video und mobiler Kommunikation beschäftigen.
Projekte wie „Reveal“ versuchen die Nutzung von Nachrichtenangeboten an soziale Alltagsroutinen anzupassen: So ermöglicht der elektronische Wandspiegel die sprach- und gestengesteuerte Anzeige von digitalen (journalistischen) Inhalten, deren Verknüpfung mit persönlichen Daten (zum Beispiel Gesundheitswerte) und den automatisierten Versand auf ein mobiles Endgerät für die spätere Nutzung. Die Konzeptidee, die Nutzung der Inhalte der „New York Times“ mit der Morgentoilette zu kombinieren, wird noch ergänzt durch die Entwicklung einer Personenwaage und eines Frühstückstisches, in den ein großes Display eingearbeitet ist, auf dem sich neben den Inhalten der Zeitung auch Anzeigen und Informationen aus dem Social Web in eine intuitiven Benutzungsumgebung einbetten lassen.
Im Fokus des Research & Development Lab stehen sowohl die Optimierung der Informationsvermittlung als auch die Effizienzsteigerung beim Einsatz von Werbeformaten. Ob es sich um einen „Google Earth News Layer“ handelt, bei dem Beiträge aus Googles Kartendienst angezeigt werden, oder um Konzepte zum Semantischen Netz, die eine plattformübergreifende Nutzung von Inhalten erleichtern, attraktiver gestalten und somit Vermarktungs- und Erlöspotenziale erhöhen sollen, forscht und entwickelt das Lab der „New York Times“ in erster Linie im Interesse der New York Times Company.
2. Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism
Die Graduate School of Journalism an der City University of New York (CUNY) hat unter Leitung des Journalismusprofessors und Bloggers Jeff Jarvis 2010 das Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism gegründet, das einen MA-Abschluss in Entrepreneurial Journalism anbietet und das Projekt New Business Models for News betreibt. Ziel des Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism ist es, die ökonomische Zukunft des Journalismus mitzugestalten, indem es den Fokus auf den Erfindergeist und die Selbstständigkeit der Studierenden setzt.
Untersucht werden neue Geschäftsmodelle für die Nachrichtenbranche, wegen der Zeitungskrise in den USA dringend gesucht werden. In dem von der Tow Foundation of Wilton, Conn. und der John S. and James L. Knight Foundation zu je drei Millionen Dollar anschubfinanzierten Tow-Knight Center werden anhand von Best Practice-Beispielen Innovationen im Nachrichtensektor zur Gestaltung und Vermarktung journalistischer Inhalte im Internet praxisnah erforscht und getestet, die auch unter den veränderten Marktbedingungen erfolgreich sind. Dabei werden neue Geschäftsmodelle entworfen, um sie mit Vertretern der Medienindustrie, aber auch mit Journalisten und Unternehmern, Gemeinden, Investoren und Technikern zu diskutieren.
In einem der bereits angelaufenen Praxisprojekte, dem hyperlokalen Blog „The Local“, unternimmt Graduate School of Journalism in Kollaboration mit der „New York Times“ den Versuch, Bürger des Stadtteils Brooklyn zur aktiven Mitarbeit zu bewegen und damit neue Wege in der Vermarktung journalistischer Inhalten zu beschreiten.
3. Studio 20
An der New York University hat der bekannte New Yorker Blogger und Journalismusprofessor Jay Rosen im Jahr 2009 ein Journalismuslabor namens Studio 20 eingerichtet, bei dem neue digitale Präsentations- und Vermittlungsformen für journalistische Inhalte entwickelt werden – gemeinsam von Hochschulen und Medienunternehmen, die sich von der Zusammenarbeit wichtige personelle und publizistische Impulse nach dem Prinzip „recruiting and refreshing“ versprechen. Dieser akademische Think Tank bietet Studierenden ein praxisorientiertes Curriculum, das stringent auf die Konzeption und Adaption innovativer Online-Modelle zur Vermittlung journalistischer Inhalte hin ausgerichtet ist.
Die Studierenden stammen aus den unterschiedlichsten Berufen und Bereichen, etwa aus dem Design, der Informatik, der Musikbranche oder dem Journalismus. Sie arbeiten interdisziplinär an der Entwicklung von Online-Projekten, die zusammen mit Medienpartnern getestet, evaluiert und überarbeitet werden. Neben dem Prestigeprojekt „The Local“ in Kooperation mit der „New York Times“ entwickelten die Studierenden im Studio 20 in Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Redaktionsbüro ProPublica eine Website, die sich einem Nutzwertjournalismus widmet: Unter dem Titel explainer.net durchleuchtet das Projektteam komplizierte journalistische Enthüllungsgeschichten und bereitet diese für ein breites Publikum verständlich auf; es experimentiert mit unterschiedlichen Vermittlungsformen für Hintergrundinformationen und sucht nach Wegen, wie Nutzer in die Aufbereitung komplexer Informationen auch aktiv einbezogen werden können.
Ein Vorzeigeprojekt ist unter anderem das Musikvideo „Fracking Song“. Weitere Innovationsprojekte entstanden bisher in Kooperation mit dem Wirtschaftsblatt „Forbes“, der Journal Register Company und dem „Guardian“. Studio 20 motiviert die Studierenden, ihre Ideen unternehmerisch selbst mit Medienpartnern und Investoren in die Tat umzusetzen. Zuletzt verstärkte unter anderem der prominente Autor und Berater Clay Shirky das Team an der NYU, um sich mit den Studierenden stärker dem Wandel von Kultur und Gesellschaft unter dem Einfluss der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten zu widmen.
4. Tow Center for Digital Journalism
Erst seit 2010 existiert das von der Tow Foundation finanzierte Zentrum für digitalen Journalismus an der Columbia University unter der Leitung von Emily Bell, der ehemaligen Direktorin of Digital Content for Guardian News & Media. Die vom ehemaligen Fernsehmanager Leonard Tow geführte Stiftung fördert innovative Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales, für die anderweitig keine Mittel zur Verfügung stehen. Mit dem neu geschaffenen Trainings-, Forschungs- und Entwicklungszentrum rückte die Förderung des Journalismus als Motor der kritischen Öffentlichkeit auch im Internetzeitalter in den Blickpunkt von Stiftungen.
Mit Bell an der Spitze hat das Center for Digital Journalism bereits zwei Forschungsberichte veröffentlicht, die international Beachtung fanden: Mit den Veröffentlichungen zur Validität von Online-Messdaten in Bezug auf journalistische Inhalte und digitale Geschäftsmodelle für den Journalismus versuchte sich das Center sogleich als Ort und Akteur zur Lösung der behandelten Frage- und Problemstellungen zu positionieren. Der Akzent liegt dabei auf der Erfindung und Erprobung innovativer Berichterstattungsmethoden und Vermarktungsstrategien. Im Blickfeld stehen die technologischen Dimensionen bei der Medienproduktion als auch -nutzung sowie die daraus folgenden Konsequenzen für den fortschreitenden Medienwandel und die Gestalt journalistischer Inhalte.
Die Expertise des Tow Centers in technologischen Fragen findet Ausdruck in einem eigenen Master-Studiengang für Informatik und Journalismus, der Studierende befähigt, technische und redaktionelle Fähigkeiten zu verbinden und die computervermittelte Berichterstattung selbst mitzugestalten.
5. MediaShift Idea Lab des Public Broadcasting Service (PBS)
Die US-amerikanische öffentliche Rundfunkanstalt PBS hat mit dem Idea Lab auf ihrer medienjournalistischen Online-Plattform MediaShift ein Weblog eingerichtet, dessen Inhalte ausschließlich von Preisträgern der Knight News Challenge der Knight Foundation stammen. Der Autorenkreis setzt sich damit aus Journalisten und journalismusaffinen Experten unter anderem aus den Feldern Wissenschaft, Management und Technologie zusammen, die bereits mit kreativen Konzepten für den Nachrichtensektor aufgefallen sind. Das Idea Lab stellt also eher eine Diskussionsplattform als eine tatsächliche lokale Arbeitsumgebung dar.
Der Fokus des Projektes stellt die Ideen, Denkanstöße und Analysen der Autoren in den Mittelpunk. Ziel ist es, eine möglichst anschlussfähige Diskursatmosphäre zu schaffen, die als Stimulus für neue Ideen und Projektvorhaben fungiert. Die Autoren/Projektleiter erklären ihre Konzepte, stellen ihre jeweilige Perspektive auf das Nachrichtengeschäft vor und interagieren mit der Branchenöffentlichkeit, die im Rahmen des Idealab hauptsächlich angesprochen wird. Dies geschieht zum einen in Form einer Hitliste an Blog-Einträgen, die von den Lesern am häufigsten empfohlen werden, zum anderen durch das Aufgreifen eines Nutzerkommentars, der von der Redaktion des Idea Lab zur weiterführenden Diskussion gestellt wird.
6. Medialab am Massachusetts Institute of Technology (MIT)
Seit 1985 werden am MIT im US-amerikanischen Cambridge im so genannten „Medialab“ neue Medientechnologien und Medienpraktiken hinsichtlich ihrer Potenziale für die Medienbranche erforscht. In den vergangenen 25 Jahren hat das Lab jährlich Innovationsprojekte bis zur Marktreife realisiert oder war direkt an deren Umsetzung beteiligt. Zu den wohl bekanntesten Produkten gehören das „Kindle“ von Amazon und der Sony Reader für E-Books. Sämtliche hierfür benötigten elektronischen Technologien wurden am MIT Media Lab entwickelt. Zu den weiteren Entwicklungen gehören der digitale Formatstandard MPEG-4 für Audiodateien oder spezifische Produkte wie „Lego Mindstorms“ oder die Technologie des Spiels „Guitar Hero“.
Das im Jahr 2009 gegründete Center for Future Storytelling im Medialab des MIT verfolgt dagegen ein dynamisches Konzept nicht für die Entwicklung von Technologien, sondern um neue Wege für die Vermittlung von Informationen in einer sich rapide verändernden globalen Kommunikationslandschaft zu erkunden. Das Augenmerk liegt auf digitalem Journalismus und den Möglichkeiten, Inhalte interaktiver, improvisierter und allgemein verständlicher zu gestalten und die Publika damit zu einer Teilhabe und Teilnahme am journalistischen Prozess zu motivieren, beispielsweise um eigene Geschichten mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Komplementiert wird das Medialab durch das MIT Center for Civic Media, das die Entwicklung vornehmlich digitaler Technologien zur Verbreitung und Optimierung von Kommunikationsinstrumenten, die von Bürgern genutzt werden, um sich für eine Gemeinde zu engagieren und das Zusammenleben zu gestalten.
7. Nieman Journalism Lab an der Harvard University
Mit dem Leitspruch „Pushing to the Future of Journalism“ versammelt das Nieman Journalism Lab an der Elite-Universität Harvard in Cambridge, Massachusetts, eine Vielzahl von Stimmen und Ideen zur Zukunft des Journalismus, die in unterschiedlichen Formen kommuniziert werden: als kollaborative Enzyklopädie zum Beispiel mit Einträgen über Zeitungen, Magazine, Rundfunkhäuser und journalistische Online-Start-Ups, die erfolgreich neue Akzente setzen oder damit gescheitert sind, oder über Technologiekonzerne, deren Einfluss auf den Journalismus der Zukunft behandelt wird. Das Enzyklopädie-Projekt zielt insbesondere auf aktuelle Angaben zum Wandel der portraitierten Medienhäuser. Zum Start gab es bereits etwa 150 Einträge, in der Rubrik Zeitung vom „Austin-American Statesman“ bis zur „Washington Post“, bei den Websites vom „Alaska Dispatch“ bis zum „Zonie Report“.
Außerdem veranstaltet das Nieman Journalism Lab regelmäßig Workshops und Diskussionsveranstaltungen. Die daraus entwickelten Erkenntnisse werden in Form von Blog-Einträgen, Experten-Prognosen oder auch aktuellen Markt- und Medienanalysen veröffentlicht. Die Nieman Foundation folgt mit ihrem Lab-Projekt der Idee eines Think Tanks, der in erster Linie ein Forum anbieten soll, um sich über Potenziale und Gefahren für den Journalismus im digitalen Zeitalter Gedanken zu machen. Entsprechend richtet sich das Programm nicht nur an Nachwuchsjournalisten. Auch Redakteure mittleren Alters können in Form eines Fellowship-Stipendiums ein akademisches Jahr aus ihrem Arbeitsalltag aussteigen, um ihre Rolle als Journalisten in einer sich rapide wandelnden Medienwelt zu überdenken.
Der Schwerpunkt des Labs liegt auf der Untersuchung und Erfindung innovativer Journalismus-Konzepte, die von der Branche erprobt werden. Impulse kommen unter anderem von Mitarbeitern und Studierenden der Harvard Business School (wirtschaftswissenschaftlicher Fokus auf neue Geschäftsmodelle), des Berkman Centers for Internet and Society (sozialwissenschaftlicher Fokus auf das Leben im Internet) sowie des Hauser Centers for Nonprofit Organizations (Fokus auf Gemeinnützigkeit).
8. Knight Digital Media Center der Knight Foundation
Die Knight Foundation mit Sitz in Florida hat an mehreren US-amerikanischen Universitäten spezialisierte Programme für die Aus- und Weiterbildung von Journalisten sowie für den Diskurs zwischen Wissenschaft und Medienpraxis über aktuelle und zukünftige Herausforderungen des Journalistenberufs eingerichtet. Diese Zentren bieten hauptsächlich kostenlose Kurse und gezielte Projekttrainings für Journalisten sowie interessierte Studierende an. Insbesondere das Knight Digital Media Center, ein Gemeinschaftsprogramm der University of Southern California in Los Angeles und der University of California in Berkeley, und das Knight Center for Digital Media Entrepreneurship an der University of Arizona konzentrieren sich auf die Entwicklung innovativer Journalismusprojekte.
An der Walter Cronkite School of Journalism and Mass Communication in Arizona steht unter der Federführung des Journalismusforschers Dan Gillmor die Realisierung von wirtschaftlich tragfähigen Start-Up-Projekten im Vordergrund. Das Programm richtet sich an eine interdisziplinäre Studentenschaft, da die unternehmerische Ausrichtung des Programms keine speziell journalistische Erfahrung erfordert. Hier entwickeln Studierende Websites wie CityCircles, eine Informationsplattform, die Bahnfahrer in der Metropole Phoenix mithilfe von Twitter und des Kartendienstes Google Maps mit Nachrichten, Veranstaltungen und Kleinanzeigen versorgt, die geographisch für die nähere Umgebung jeder Haltestelle zugeschnitten sind. Ein anderes Projekt soll Bürgern dabei helfen, außerhalb von Bildungsorganisationen mit Lehrern und Experten in Kontakt zu kommen, um selbständiges und individuelles Lernen zu ermöglichen (EduExchange). Oder es werden Konzepte umgesetzt, bei denen Bildschirme in Cafés, Einkaufszentren oder Schaufenstern standortgenau mit lokaljournalistischen Inhalten gefüttert werden und Passanten die Möglichkeit haben, per Twitter, SMS oder auch der Handy-Kamera zu reagieren und ‚gehört’zu werden (Blimee).
Das Knight Digital Media Center in Kalifornien richtet seine Anstrengungen primär auf journalistisches Training, um professionelle Standards und Fähigkeiten in sich wandelnden Medienumgebungen zu stärken. Entsprechend der unterschiedlichen Voraussetzungen der angesprochenen Ziel- und Altersgruppen, die sowohl junge „Digital Natives“ umfassen wie auch ältere Journalisten, die den Umgang mit digitalen Medientechnologien erst noch lernen müssen, wird sowohl auf handwerkliches Training wie auch auf die Behandlung ethischer und mentaler Problemfragen in Bezug auf den digitalen Journalismus gesetzt. Bei angemessenen Vorerfahrungen der Teilnehmer wird auch die Entwicklung von Projektideen gefördert.
9. J-Lab an der American University
Das im Jahr 2002 an der University of Maryland gegründete Institut für Interaktiven Journalismus wurde 2008 von der American University übernommen und als Journalismus-Laboratorium weiter ausgebaut: Neben dem Gründungsziel, Journalisten und Bürger gleichermaßen an die Nutzung von digitalen Technologien zur Kommunikation und Informationsvermittlung heranzuführen, liegt der Schwerpunkt heute auf der Förderung der Zusammenarbeit zwischen alteingesessenen Nachrichtenorganisationen und Bürgermedien. Zu den zahlreichen Pilotprojekten gehörten auch vom J-Lab initiierte Kooperationen zwischen mehreren Lokalzeitungen wie der „Seattle Times“ und dem „Miami Herald“ auf der einen und lokalen Bloggern am jeweiligen Verlagsort auf der anderen Seite.
Zu den aktuellen Engagements gehören die hauptsächlich auf Start-Ups ausgerichteten Wirtschaftsförderprogramme Enterprise Reporting Fund, Networked Journalism, New Voices und die New Media Women Entrepreneurs sowie ein Förderpreis (Knight-Batten Awards for Innovations in Journalism) und das Weiterbildungsangebot des Knight Community News Network. Das J-Lab konzentriert sich maßgeblich auf die Förderung öffentlicher Kommunikation im lokalen Rahmen und bindet Studierende ein, die sich in ihrem Studium mit interaktivem Journalismus oder investigativem Recherchieren beschäftigen. Jährlich wird der Knight Batten Award vergeben, mit dem der kreative Einsatz von neuen Medien bei der Berichterstattung und Einbindung von Bürgern in öffentliche Diskurse ausgezeichnet wird.
10. Donald W. Reynolds Journalism Institute (RJI) an der University of Missouri
An der University of Missouri wurde im Jahre 2004 ein nach dem Philanthropen Donald W. Reynolds benannte Journalismus-Institut eingerichtet, dessen Aufgabe vor allem in der Erkundung neuer Medientechnologien in Bezug auf journalistische Produktionsweisen und Distributionswege besteht, um die idealtypische Funktion des Journalismus innerhalb einer Demokratie mittels fortgeschrittener Methoden und Technologien besser einlösen zu können. Aktuell liegt der Schwerpunkt des Instituts sowohl auf der Auseinandersetzung mit den Konvergenzprozessen im Bereich der Nachrichtenmedien als auch auf der Entwicklung des Werbemarktes, der als zentrale Erlösgröße für den Journalismus verstanden wird.
Es wird dabei mit strategischen ebenso wie mit technologischen Konzepten experimentiert und versucht, interdisziplinäre Synergien mit Fächern wie u.a. Rechtswissenschaften, Informatik, Marketing und Erziehungswissenschaft herzustellen. Forschung und Lehre werden gleichermaßen in die Entwicklung und Erprobung von innovativen Projekten einbezogen. Mittels eines Fellow-Programms wird gewährleistet, dass regelmäßig neue Projektideen formuliert und umgesetzt werden, die zum Ziel haben, die Qualität journalistischer Praxis aufzuwerten oder das Verständnis in der Öffentlichkeit zu verbessern.
Im „Journalism Futures Lab and Demonstration Center“ arbeiten Gastdozenten aus der Medienpraxis in Form eines Inkubators zusammen mit Studierenden und Forschern an innovativen Formaten, die Medien weltweit zur Verfügung gestellt werden. Komplementiert wird die Entwicklungsarbeit von einem Forum-Programm, bei dem das kritische Bewusstsein insbesondere von Journalisten für ihre Verantwortung der allgemeinen Öffentlichkeit und der Demokratie gegenüber geschärft und gegenseitiges Verständnis von Journalisten und Werbefachleuten gefördert werden soll.
11. Annenberg Innovation Lab an der University of Southern California in Los Angeles (USC)
Ein integriertes Modell verfolgt das Annenberg Innovation Lab an der USC in Los Angeles, wo Journalismus- und Medienforschung auf der einen und konkrete technologische Produktentwicklung auf der anderen Seite miteinander einhergehen. Erkenntnisse aus der theoretischen Analyse des Medienwandels werden möglichst konsequent in praktische Projekte überführt und geben somit Impulse für die prospektive Medienentwicklung. Das Themenspektrum umfasst neue Geschäftsmodelle, organisatorische und gesellschaftliche Antriebe, institutionelle Designs und soziale, wirtschaftliche und politische Einflüsse des sozialen Netzwerkens im Internet.
Bisher wurde eine ganze Reihe von innovativen Projekten umgesetzt, unter anderem Applikationen zur Konfiguration von Nachrichteninhalten für digitale Tablet-Computer und eBook-Reader, interaktive Fernsehapplikationen, unterschiedliche Weiterentwicklungen von portablen Empfangs- und Lesegeräten im Hinblick auf die Nutzung und Monetarisierung journalistischer Inhalte sowie die Erkundung neuer digitaler Plattformen wie auch Sozialer Netzwerke als journalistisch vielversprechende Medien. Beispielsweise wurde der sogenannte „Community Newspaper Reader“ entwickelt, eine digitale Wandinstallation, mit deren Hilfe Nutzer zum einen Zeitungen aus aller Welt in unterschiedlichen Sprachen aufrufen können, zum anderen hyperlokale und nach ethnischen Gemeinschaften sortierte Nachrichten aus der Metropolregion Los Angeles. Ein interaktives Display ermöglicht den Nutzern die Auswahl von Inhalten aus allen zur Verfügung stehenden Quellen.
Weitere innovative Projekte, die von Studierenden der Annenberg School of Journalism verfolgt werden, umfassen Social Network Websites (unter anderem iCampus Mobile), kollaborative Informationsplattformen für Krisenereignisse (CrisisConnection) bis hin zu neuen Erzählformen für Kinder (Children’s Transmedia Storytelling).
12. Owni.eu
Ovni lautet im Französischen die Abkürzung für ein unbekanntes Flugobjekt („objet volant non identifié“), ein UFO. Die Gründer des französischen Online-Portals Owni nun ersetzten das „v“ für „volant“/“fliegend“ mit „w“ für „web“, um ein Blog-Netzwerk zu starten. Dass es sich bei Owni um ein unbekanntes Web-Objekt handelt, ist mehr als pure Koketterie: Lange befand sich die Website in einem Stadium zwischen einer Plattform für Blogger und einem journalistischen Magazin.
Gegründet wurde Owni als Reaktion auf die strengere französische Gesetzgebung zur Einhaltung der Urheberrechte im Internet. Nach seinem Start im April 2009 hat es sich schnell zu einer der ersten Adressen des netzpolitischen Diskurses in Frankreich entwickelt und stellt sich heute mit Fragen über die Auswirkungen des Internet auf Gesellschaften, Staaten und Kulturen auseinander. Mittlerweile ist Owni satorisch gesehen, ein reguläres Medium, das neben einer Redaktion stark auf den Einsatz von Social Media setzt, in die USA expandierte sowie ein Web-Radio und ein Print-Magazin unterhält.
Ungewöhnlich für ein letztlich unternehmerisches Projekt ist, dass sämtliche Beiträge unter einer Creative Commons Lizenz zur freien nicht-kommerziellen Nutzung veröffentlicht werden und das Online-Portal frei von Werbung ist. Die Freiheit von Werbung und Nutzungsgebühren ist Teil des redaktionellen Konzepts und soll die Unabhängigkeit der Mitarbeiter garantieren. Sein Status als Innovationstreiber ist zugleich das Geschäftsmodell von Owni: Mittels einer Service-Gesellschaft werden Dienstleistungen und Produkte aus dem Bereich Social Media verkauft, aber auch in Bezug auf journalistische Konzepte wie Datenvisualisierung oder Crowdsourcing. Eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung sucht nach innovativen Anwendungen und Instrumenten für die digitale Nachrichtenvermittlung, Bildungsarbeit und Vernetzung.
13. Die École de journalisme de Sciences Po
Denkräume über den Technologiewandel zu eröffnen und in diesem Zuge die Evolution des Journalismus zu reflektieren, hat sich das Hochschulprojekt „Work in Progress“ zur Aufgabe gemacht. Das im Jahr 2010 von der Journalismusprofessorin Alice Antheaume gegründete Blog in Zusammenarbeit mit dem französischen Ableger des Slate-Online-Magazins ist Mitteilungsorgan der Journalistenschüler und Austauschplattform zugleich.
Durch die enge curriculare Verzahnung von Schwerpunktkursen zu digitalem Journalismus, unternehmerischem Journalismus und zur Online-Redaktionsarbeit soll eine Laboratmosphäre entstehen, in der Studierende mit Gästen aus der internationalen Journalismus-Forschung und -Praxis ins Gespräch kommen und mit innovativen Newsroom-Konzepten, Business-Plänen und journalistischen Vermittlungsansätze experimentieren.
Zu den diskutierten Themen gehören: Datenjournalismus, Community Management sowie rechtliche Fragen zum Journalismus im Netz. Die Journalismusschule an der Pariser Elite-Hochschule Sciences Po (vormals Institut d’Études Politiques de Paris) verantwortet außerdem die französische Ausschreibung des 2011 von Google finanzierten und international durchgeführten Innovationswettbewerbs für journalistische Projektideen.
Diese Texte entstammen dem „Innovationsreport Journalismus: Ökonomische, medienpolitische und handwerkliche Faktoren im Wandel“ von Leif Kramp und Stephan Weichert. Sie können den Report bei der Friedrich-Ebert-Stiftung kostenlos bestellen; die digitale Version ist online verfügbar.