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Medienunternehmen auf die Finger gucken

Wer hätte am Ende noch damit gerechnet? Von seinen Gegnern oft schon totgesagt, versprach die Koalition dann doch einen zügigen Kabinettsbeschluss zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Geschützt werden soll die „redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge“, wie es im lang erwarteten Referentenentwurf heißt. Den Verlagen geht es vor allem um eine Handhabe gegen diejenigen, die ihre Inhalte mit kommerziellem Ziel „unentgeltlich“ nutzen, demnach vor allem gegen Internetentwicklungen der letzten Jahre wie Aggregatoren (vor allem Google News) und Websites mit illegalen Volltextkopien von journalistischen Artikeln. Über Sinn und Zweck der neuen Regulierung wird erbittert gestritten.

Ein Blick zurück

Erste Bekanntheit erlangte das Leistungsschutzrecht nicht so sehr durch seine rechtliche Ausgestaltung, sondern aufgrund seiner Themenkarriere, gilt es doch vor allem als erfolgreiches Projekt der Verlagslobbyisten. Nachdem die Presseverlage ihre Forderung kurz vor dem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2009 erstmals auf die politische Agenda gehoben und unter anderem durch die „Hamburger Erklärung“ auch öffentlichkeitswirksam flankiert hatten, nahm die neue schwarz-gelbe Koalition die Idee – wenig ausgearbeitet – in den Koalitionsvertrag auf. In der Folge stritten sich Verleger, Internetgemeinschaft und betroffene Wirtschaft, repräsentiert auch durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), um die Frage, des Ob und Wie eines Leistungsschutzrechtes. Während der gesamten Debatte lässt sich eindrucksvoll beobachten, wie Einflussnahme und Interessensvertretung – nicht-marktliche Aktivitäten – von Medien heute funktionieren können. Georg Nolte formulierte schon 2010, das Leistungsschutzrecht drohe „als Beispiel lobbybestimmter Klientelpolitik Geschichte zu machen“.

Der Fall zeigt dabei auch, wie die Interessensvertretung von Medienunternehmen – hier Presseverlage – in den vergangenen Jahren professionalisiert wurde. Beispiele sind der Aufbau neuer Abteilungen und Stellen für „Public Affairs“ etwa bei der Axel Springer AG oder bei Gruner + Jahr. Wer hier eine zeitliche Koinzidenz feststellt zur erfolgslosen Interessensvertretung im Streit um den Postmindestlohn, mag damit vielleicht gar nicht so falsch liegen – zumindest die Axel Springer AG unter Mathias Döpfner wird aus der (finanziellen und machtpolitischen) Niederlage im Streit um die PIN-AG gelernt haben.

Allerdings sind es nicht nur die etablierten Medienunternehmen wie Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die ihre Interessen in Politik, Recht und Verwaltung immer eigenständiger vertreten. Auch Organisationen, die vor einigen Jahren noch als Start-Ups galten, haben mittlerweile die Bedeutung einer strategischen Einflussnahme für ihren Unternehmenserfolg erkannt. Google tritt in Berlin mit einer eigenen Public-Affairs-Abteilung auf, auch Facebook baut seine Präsenz aus, wie Marco Althaus zu berichten weiß. Axel-Springer-Lobbyist Christoph Keese hat beispielsweise im Falle des Leistungsschutzrechtes umfangreiche Vorwürfe gegenüber Google erhoben: Nach seiner Interpretation spannt der Suchanbieter durch großzügige finanzielle Zuwendungen Teile der zivilgesellschaftliche Internetbewegung gegen das Leistungsschutzrecht für die eigenen Interessen ein.

Nicht-marktliche Aktivitäten stärker in den Blick nehmen

Diese Debatten finden statt in nicht-marktlichen Aushandlungskontexten, aber sie erweitern letztlich auch die marktlichen Handlungsspielräume von Unternehmen. Strategische Einflussnahme mit Blick auf Politik, Recht und Verwaltung schafft Vermögenswerte und machtpolitische Ressourcen. Kein Wunder, dass die Durchsetzung des Leistungsschutzrechtes für Presseverlage „die wichtigste medienpolitische Initiative seit Jahrzehnten“ (Bodo Hombach, Geschäftsführer WAZ-Mediengruppe) darstellt und „in seiner strategischen Bedeutung kaum zu überschätzen“ ist (Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender Axel Springer AG). Ökonomen sprechen auch von unternehmerischem „rent seeking“, da die Interessensvertretung darauf abziele, finanzielle und machtpolitische Renten zu erschließen.

Nicht, dass es „rent-seeking“ nicht immer schon gegeben hätte: Beispiele um die Einführung des Radios, des Privatfernsehens, um die Entstehung von Anzeigenblättern, des Videorekorders oder Kabelfernsehens in den USA belegen das eindrücklich. Ulrich Saxer resümierte dann auch einmal: „Die bereits etablierten Medien bangen um ihren Besitzstand und erschweren – wie regelmäßig in der Kommunikationsgeschichte – die Institutionalisierung des neue Mediums“.

Tim Wus sehr gelungenes, anekdotisches Buch „The Master Switch“ ist ein guter Ausgangspunkt für eine tiefere historische Beschäftigung. Am Fall des Leistungsschutzechtes hat Heribert Prantl, der immerhin zum „Nachrichtenschutz“ promovierte, zeitgeschichtliche Parallelitäten erst vor kurzem in der „Süddeutschen Zeitung“ aufgezeigt.

Aber: Gerade heute fordern die rapiden Transformationsprozesse der Medien – der Journalismus ist da nur ein Beispiel – nach Antworten des Gesetzgebers. Der Fall des Leistungsschutzrechtes zeigt, dass diese Antworten auch die Lobbyisten von Medienunternehmen vorschlagen. Das lässt sich ebenso erkennen an Beispielen wie ACTA, SOPA und dem Protect IP-Act in den USA oder am öffentlich-rechtlichen Rundfunk („Tagessschau“-App), an Google (Street-View) oder Facebook (Stichwort Datenschutz).

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich in der kommunikationswissenschaftlichen Fachgesellschaft DGPuK das Netzwerk „Medienstrukturen“ gegründet hat. Sind es doch die ökonomischen, politischen oder rechtlichen Analysen unter anderem dieser Forschenden, die Wissen darüber eröffnen, inwieweit die gegebenen Antworten wissenschaftlich haltbar sind – entsprechend einer Falsifikation standhalten. Um im Beispiel zu bleiben: Inwieweit ist ein Leistungsschutzrecht ein probates Mittel, um eine „unentgeltliche Ausnutzung“ abzuwenden? In welchem Ausmaße findet eine solche Ausnutzung überhaupt empirisch statt? Welche ökonomischen Folgen zeitigt ein Leistungsschutzrecht?

Dies aber kann – so meine ich – nicht die ausschließliche Aufgabe einer kritischen Wissenschaft sein: Wir benötigen nicht nur Wissen darum, inwieweit bestimmte Argumente von Lobbyisten unwiderlegt bleiben oder aber ‚falsch‘ und ggf. gefährlich sind, sondern wir müssen auch wissen, welche Behauptungen in welchem Ausmaß und vor allem wem und mit welchen Mitteln präsentiert werden. Denn die Mittel – so lässt sich zeigen – sind bei denjenigen Unternehmen, deren Geschäft als solches Kommunikation ist, andere als bei Unternehmen, die diese hochpreisig durch Anzeigen oder PR einkaufen müssen. Die Kommunikationswissenschaft ist aufgefordert, solche nicht-marktlichen Aktivitäten von Medienunternehmen stärker in den Blick zu nehmen.

Forschungsagenda für strategische Einflussnahme

Die Ausgangsbedingungen für die Erforschung strategischer Einflussnahme sind in Deutschland denkbar schlecht: Der Bundestag hat es – anders als in den USA – bis dato verpasst, sowohl ein zentrales Register aller Lobbyierenden zu verankern als auch Unternehmen zu verpflichten, ihre jährlichen Ausgaben für Interessensvertretung öffentlich zu machen. Das fehlende Lobbyistenregister und der generelle Mangel an Datenmaterial – für Lobbyismus, der ja per definitionem vertraulich sein muss, wenig verwunderlich – sind vielleicht ein Grund, weshalb das Thema bis dato wenig Beachtung genoss. Ein anderer Grund mag in der Angst begründet sein, – wie Günther Ortmann für die BWL formuliert – sich zum „wissenschaftlichen Erfüllungsgehilfen solchen rent-seekings“ zu machen.

Wie könnte nun eine Forschungsagenda der Kommunikationswissenschaft aussehen, die einen Beitrag zur Erforschung nicht-marktlicher Aktivitäten von Medienunternehmen leisten will, ohne dabei aber unkritisch diesen Aktivitäten gegenüber zu bleiben? Ich bin der Meinung, dass eine solche Forschung mindestens dreierlei leisten müsste:

Argumente: Zu analysieren, welche Argumente Medienunternehmen sich in ihrer Interessensvertretung zu Eigen machen, kann mindestens auf zwei Weisen geschehen. Einerseits wären, wie oben schon angesprochen, diese Argumente mithilfe logischer Analysen und empirischer Forschung auf ihre Richtigkeit und Tauglichkeit hin zu prüfen. Andererseits sollten wir uns nichts vormachen:  Auch solche  Argumente, die sich wissenschaftlich nicht bewährt haben, finden in Diskussionen weiterhin statt und verschwinden nach ihrer Widerlegung nicht einfach. Die Kommunikationswissenschaft sollte entsprechend immer auch danach fragen, welche einstudierten Argumente in welcher Quantität durch Lobbyisten verbreitet werden. Dazu liegen einige Inhaltsanalysen vor, die aber ausschließlich auf die journalistische Interessensvertretung über die eigenen Medien fokussieren. Außen vor bleibt hier, welche anderen Wege Medienunternehmen nutzen, um ihre Argumente an maßgebliche Entscheidungsträger aus Politik, Recht und Verwaltung heran zu tragen.

Wege: Die Frage, wie Argumente verteilt werden, ist bedeutsam für das Verständnis von Einflussnahme. Sie wirft Schlaglichter auf Ressourcen und Machtpotenziale dieser Unternehmen. Die Mechanismen, mit denen beispielsweise Türen in der Politik geöffnet werden, sind dabei andere als sie David P. Baron in „Business and Its Environment“ für Organisationen im Allgemeinen gesammelt hat. Um nur einige Beispiele zu nennen: Medienunternehmen sind kapitalstarke Steuerzahler und Arbeitgeber, außerdem Produzenten quasi-öffentlicher Güter, denen eine demokratietheoretische Relevanz zugesprochen wird – die Verfügungsgewalt über diese und weitere ökonomische Ressourcen begründen ihre wirtschaftliche Macht. Politische Macht besitzen sie schon allein aufgrund ihrer herausgehobenen Rolle als Mittler zwischen Politik und Öffentlichkeit, an der sich Politiker orientieren und von der diese (bis zu einem gewissen Grad) abhängig sind. Basieren diese Machtquellen vornehmlich auf der Verfügungsgewalt über bestimmt wirtschaftliche und politische Ressourcen, kann der Rekurs auf bestimmte Regeln als kulturelle Diskurs- bzw. Selektionsmacht ebenso zu einer Ressource für Medienunternehmen werden. Die journalistische Interessensvertretung verweist schon darauf.

Evaluation: Wenn Argumente und ihre Vermittlungswege analysiert sind, geht es immer auch um die Frage, inwieweit Einflussnahmen erfolgreich sind. Die Erhebung der Public-Affairs-Investitionen von Medienunternehmen im Vergleich zu entsprechenden (finanziellen) Ergebnissen ist hier nur ein ertragreiches Forschungsfeld. Branchenunabhängig wurde beispielsweise für die USA gezeigt, dass die Erhöhung der Lobbying-Investitionen in einem Jahr die gezahlten Steuern im nächsten signifikant verringerte. Hier geht es dann nicht darum Erfolgsfaktoren darzustellen, wohl aber die Bedeutsamkeit von nicht-marktlichen Aktivitäten für den quantifizierbaren Markterfolg von Medienunternehmen zu belegen. Nur ein Beispiel für die monetäre Relevanz politischer und rechtlicher Regulierungen: Von Nicholas Murray Butler, Anfang des 20. Jahrhunderts Präsident der Columbia University, ist überliefert: „in my judgment a limited liability corporation is the greatest single discovery of modern times… Even steam and electricity are far less important“ (PDF).

Freilich steht die Scientific Community hier erst am Anfang: Mit den zunehmend emotionaler geführten gesellschaftlichen Debatten um Freiheit und Ordnung des Internets rücken diese sogenannten nicht-marktlichen Aktivitäten aber vermehrt in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen. Diese Debatten werden ja heute nicht mehr nur diskursiv im virtuellen Raum geführt, sondern auch mit Gewalt oder in Form von Demonstrationen. Die Beschäftigung mit ihnen könnte dann eine Entwicklungslinie der Kommunikationswissenschaft sein, die sich aus ihrer „(selbstverschuldeten) gesellschaftstheoretischen Unmündigkeit“ (Carsten Winter) befreit.


Dieser Text basiert in Teilen auf dem Band „Strategische Institutionalisierung durch Medienorganisationen  Der Fall des Leistungsschutzrechtes“ (Herbert von Halem Verlag, 2012).