Mehr Zukunft wagen
„Wer Journalist wird, hat seinen Beruf verfehlt“, soll Bismarck gesagt haben. „Wenn du Journalist werden willst, studiere irgendetwas, aber bloß nicht Journalistik“, wurde mir zu Beginn meiner journalistischen Karriere geraten. Und erst neulich warnte das „Journalistik Journal“ vor den Gefahren eines „ruinösen Wettbewerbs“ in der Journalistenausbildung. Warum also noch Journalist werden, warum noch Journalisten ausbilden?
Doch Moment: Bevor man sich in wohlfeilem Selbstmitleid über den Zustand des Journalismus und der akademischen Journalistenausbildung ergeht, sollte man einen Blick auf die tatsächlichen Zustände werfen und mit mehreren urban legends aufräumen. Diese sind unter anderem:
- Gut ausgebildete Journalisten werden am Markt nicht mehr gebraucht.
- Eine akademische Journalistenausbildung geht generell am Berufsbild vorbei.
- Wir haben zu viele Ausbildungsangebote.
Diese Thesen, so oft sie auch wiederholt werden mögen, werden dadurch nicht richtiger. Denn:
- Eine gute Ausbildung ist immer noch der sicherste Weg in den Beruf.
- Eine akademische Journalistenausbildung ist inzwischen häufig Mindestanforderung für einen Berufseinsteiger: Ohne Journalistikstudium kein Volontariat.
- Wir haben nicht zu viele Ausbildungsangebote, sondern die falschen.
Betrachtet man die zurückliegenden zwanzig Jahre, so hat es in kaum einem anderen Bereich so viele grundlegende Umbrüche und Veränderungen gegeben wie in der Medien- und Kommunikationsbranche – also auch im Journalismus. Dass dies verunsichert, ist allzu verständlich.
Veränderungen ins Auge sehen
Selbstredend kann man Journalisten heutzutage nicht mehr so ausbilden wie damals. Eine mögliche Reaktion ist dann das Verklären von „alten Zeiten“, in denen alles vermeintlich besser war. Warum aber sollte man dann etwas bei sich selbst ändern? Schuld ist ja der Markt oder die Konkurrenz. Eine andere mögliche Reaktion ist es, den Veränderungen ins Auge zu sehen und sie als Chance zu erkennen.
Was bedeutet dies konkret für die akademische Journalistenausbildung? Natürlich müssen nach wie vor grundlegende Fähigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens und Theoriekenntnisse vermittelt werden. Natürlich muss ein Journalist nach wie vor das Recherchieren lernen. Und ebenso evident ist, dass ein angehender Journalist Textsicherheit und stilistische Fähigkeiten erwerben muss. Das Handwerkszeug ist also geblieben.
Hinzu gekommen sind aber spezifische technische Anforderungen eines neuen Medienzeitalters. Dies meint aus Sicht der Ausbildung nicht eierlegende Wollmichsäue zu klonen, es bedeutet jedoch, junge Menschen sorgfältig und verantwortungsbewusst für veränderte Markterfordernisse auszubilden. Video- und Audiotechnik, der Umgang mit Content-Management-Systemen und Layoutprogrammen, Technikkenntnisse zum crossmedialen Publizieren – all dies gehört heute zu einem zeitgemäßen Curriculum.
Zudem müssen Journalistikstudierende auf die Arbeit als freier Journalist vorbereitet werden. Freie Mitarbeit ist oftmals der Einstieg in den Beruf und Voraussetzung für eine spätere Festanstellung. Vor allem ist eine Festanstellung wahrlich nicht die einzige Alternative für innovativ denkende Journalisten, Selbstständigkeit kann auch zum erfolgreichen Unternehmertum führen. Journalismus war nie eine Beamtentätigkeit. Von diesem Weltbild muss sich auch die Ausbildung verabschieden.
Der unternehmerische Journalismus wird jedoch noch viel zu wenig gelehrt. Seminare zur Existenzgründung, zur Erstellung eines Businessplans oder zur Kundengewinnung und professionellen Marktauftritt, gehören also auf den Lehrplan.
Prominente Schmuckstücke
Essentiell ist, die Zusammenarbeit mit der Praxis noch früher in die akademische Ausbildung zu integrieren. Studium und Praxis müssen bereits von Beginn an zusammengeführt werden und dürfen nicht als zwei Welten empfunden werden. Weder von Studierenden, noch von Lehrenden.
Solange aber der akademische Betrieb für Lehrende mehr Karriere-Anreize schafft, in Fachzeitschriften zu publizieren und Orchideen-Fächer zu beforschen, als sich um ihre Studierenden zu kümmern, stimmt etwas nicht im System. Solange Praktiker in der Hochschul-Lehre als unakademische Exoten empfunden werden, mit denen man sich bestenfalls schmückt, wenn sie prominent sind, verharrt man in alten Strukturen. Die oftmals auch selbst gewählte Abschottung des akademischen Betriebs kommt allenfalls einige Spitzenwissenschaftlern zu gute – nicht der Ausbildung der Studenten. Mit anderen Worten: Man schmort im eigenen Saft.
Viele Journalistik-Studiengänge sind inzwischen so weit von der Praxis entfernt, dass sie eigentlich guten Gewissens keine Journalisten mehr ausbilden dürften. Es ist gerade noch verständlich, wenn Universitäten Professuren an Hand der wissenschaftlichen Expertise der Bewerber und der Länge der Veröffentlichungsverzeichnisse besetzen, solange es um die Forschung geht. Spätestens aber für die Lehre müssen andere Auswahlkriterien gelten.
Innovationen
Fachhochschulen, auch und gerade private, bieten hier eine Alternative, sie sind somit auch keine Konkurrenz zu den universitären Medien- und Kommunikationswissenschaften, die Wissenschaftler und keine Journalisten ausbilden, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Von diesen praxisnahen und zugleich akademisch fundierten Ausbildungen gibt es aber keineswegs zu viele, sondern zu wenig.
Es muss für die akademische Journalistenausbildung immer um die Verbindung von angewandter Forschung und Lehre gehen. Hier sind Forschungs- und Lehrprojekte mit der Praxis oder Innovationswettbewerbe ein probater Weg. Gerade in Zeiten, in denen sich der Markt im Umbruch befindet und die Einnahmen im Printbereich sinken, wird es umso wichtiger, auch für neue elektronische Medien auszubilden.
Insofern steht für die akademische Journalistenausbildung auf der To-Do-Liste: Bessere und zeitgemäße Angebote machen, flexibel bleiben oder schlicht: Mehr Zukunft wagen!