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Monica Lierhaus: „Als wäre ich ein Monster“

Monica Lierhaus wurde am 25. Mai 1970 in Hamburg geboren und wuchs in einer fünfköpfigen Familie im Stadtteil Marienthal auf. Nachdem sie vom NDR-Radio als Praktikantin abgewiesen wurde, öffnete Radio Hamburg ihr die Tür zum Journalismus. 1992 wählte sie den Weg zum Fernsehen und absolvierte ein Volontariat beim Privatsender Sat1. Nach fünf Jahren Nachrichten-Reporterin, verschlug es Lierhaus auf die bunte Bühne des Sports. Seitdem moderierte sie die Sportsendung „Ran“. Der Ritterschlag kam 2004, als sie als erste und weiterhin einzige Frau die ARD-Sportschau übernahm. Im Januar 2009 versetzte ein herber Schicksalsschlag ihrer Karriere einen Bruch. Bei der Entfernung eines Blutgerinnsels, kam es zu Komplikationen. Die beliebte Sportmoderatorin fiel ins Koma. Mit den Folgen kämpft sie heute noch.


Wieder zurück auf dem Bildschirm: Journalistin Monica Lierhaus. (Foto: Sky)

Wieder zurück auf dem Bildschirm: Journalistin Monica Lierhaus. (Foto: Sky)

Es ist elf Uhr morgens. Ich stehe vor einem charmanten Backsteinhaus in Eppendorf. Hier wohnt Monica Lierhaus. Nach ihrer Erkrankung hat sie sich lange von den Medien ferngehalten. Heute empfängt sie mich in ihren eigenen vier Wänden. Die Lautsprechanlage ertönt „Hallo, kommen Sie doch hoch.“ Im ersten Stock angekommen, kratzt es seltsam an der Tür. Hündin Pauline und ihr Frauchen Monica Lierhaus erwarten mich bereits zum gemeinsamen Frühstück.

VOCER: Frau Lierhaus, 2014 war das Jahr der Weltmeister. Deutschland hat den vierten Stern gewonnen und Sie den Kampf zurück ins Sportgeschäft. Wie glücklich sind Sie darüber?

Brasilien war eine echte Befreiung für mich. Ich war selbst vor Ort. Das Finale im Maracana-Stadion war der Hammer.

Sie waren aber nicht privat als Zuschauer da. Sie hatten Ihre eigene Sendung.

Genau, ich war für Sky da. Wir haben eine Interview-Reihe gemacht. Angefangen mit Ottmar Hitzfeld. Dann kamen Oliver Bierhoff, Wolfgang Niersbach, Christoph Kramer. Und nach dem Finale habe ich Joachim Löw interviewt. Das war das einzige Einzel-Interview, das er bei dieser Gelegenheit gegeben hat.

Wieso ausgerechnet mit Ihnen?

Wir hatten das schon längerer Zeit vor der WM verabredet. Und da hatte er mir schon zugesagt: Wenn ich es als Journalistin nach Brasilien schaffe und die Mannschaft ins Finale kommt, dann gibt er mir nach dem Finale ein Interview.

Der Privatsender hat Ihnen dann die Chance gegeben, bei der Weltmeisterschaft als Journalistin dabei zu sein. Hätten Sie es für möglich gehalten, fünf Jahre nach Ihrer Erkrankung wieder dort zu stehen, wo Sie aufgehört haben?

Ich habe das schon gewollt, als ich in Allensbach die Reha beendet habe. Da habe ich gesagt: „Ich will zur WM“. Und dann haben mich alle erst einmal ungläubig angeguckt. Aber sie haben mir ein Trikot geschenkt. Ein Brasilien-Trikot und hinten stand „Monica“ drauf. Die haben gedacht „Die spinnt ja wohl“. Aber da haben Sie sich geirrt. Ich habe es geschafft. Das Trikot habe ich dann mitgenommen und von meinen Interview-Partnern unterschreiben lassen.

Trotz aller Zweifel, hatten Sie immer Ihr Ziel vor Augen. Woher kommt die Kraft, sich immer weiter durchzubeißen?

Das wüsste ich auch gern. Die ist aber auch nicht immer da. Es gibt schon auch Tage, an denen ich lieber im Bett bleiben würde. Die gibt es auch.

Gibt es dafür dann Auslöser?

Nein, eigentlich nicht. Es ist mir manchmal einfach alles zu viel.

Es laugt Sie aus.

Total. Ja. Aber es nützt ja nichts. Es muss ja weitergehen.

Als populärste Sportjournalistin Deutschlands werden Sie in der Branche sehr geschätzt. Bei der Verleihung der Goldenen Kamera hat der ehemalige Nationalspieler Günther Netzer in seiner Laudatio geradezu von Ihnen geschwärmt. Welche Emotionen hat das in Ihnen geweckt?

Das war eine sehr schöne Laudatio. Sehr rührend. Ehrlich gesagt, kann ich gar nicht mehr genau sagen, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe. Es ist so wahnsinnig lange her. Es kommt mir vor, als wäre das in einem anderen Leben gewesen. Es ist so viel passiert währenddessen.

Es hat sich Vieles in Ihrem Leben verändert.

Ja, extrem.

Wie haben Sie diese Zeit durchgestanden?

Das war keine schöne Zeit. Ich war doch noch sehr gehandicapt. Allein wie ich bei der Verleihung der Goldenen Kamera noch gelaufen bin. So wahnsinnig steif. Man hat ja auch geschrieben, ich hätte Schienen an den Beinen. Das stimmte natürlich nicht.
Sie konnten Ihre Bewegung nicht selbst steuern.

Genau. Warum mir das so schwer fällt, möchte ich auch gern wissen.

Umso schwieriger selbst zu lernen damit zu leben, wenn auch die Medien Druck ausüben. Wie geht man mit dieser Situation um, besonders wenn man selbst einmal Teil dieser Medien war?

Also ich muss sagen, der Auftritt bei der Goldenen Kamera hat mir sehr gut getan. So sehr der auch manchmal kritisiert wurde. Aber danach habe ich mich wieder auf die Straße getraut. Ich habe allen gezeigt, jetzt bin ich so wie ich bin. Nun akzeptiert mich oder lasst es. Vorher habe ich mich nicht getraut, weil ich immer angeglotzt worden bin, als wäre ich ein Monster. Das war fürchterlich für mich. Das war ganz schrecklich. Seitdem war es aber besser. Sie mussten mich nun nehmen, wie ich bin.

Lassen wir einmal Ihre Karriere Revue passieren. Sie sind als Nachrichtensprecherin von Sat1 zum Sportformat „Ran“ gewechselt. Wenn Sie sich an die Anfangszeit zurückbesinnen, welches Ereignis haben Sie besonders in Erinnerung?

Ich kann mich noch sehr gut an meinen aller ersten Interview-Partner erinnern. Da hatte ich eine Live-Schalte mit Otto Rehhagel. Und es gab zu der Zeit das Gerücht, dass er nach Dortmund wechseln würde. Aber wie gesagt, es war nur ein Gerücht. Ich habe ihn natürlich darauf angesprochen. Und ich kann mich noch ganz genau erinnern, wie er geantwortet hat. „Meine liebe junge Frau, wenn ich mich zu jedem Gerücht äußern würde, dann müsste ich auch noch Stellung dazu nehmen, ob ich der Kaiser von China werden würde.“ Und das war’s. Mehr hat er nicht gesagt.

Haben Sie sich angegriffen gefühlt?

Ich fühlte mich nicht gut in dem Moment. Das muss man schon sagen. Aber ich wusste ja, wie er es meinte. Er war halt so. Ein bisschen Macho. Aber das hat mir nichts ausgemacht. Zum Abschied hat er dann noch in die Kamera gewunken.

Sie galten dennoch immer als sehr schlagkräftig. Nach Ihrer Erkrankung haben Sie das erste Interview für die Sport Bild geführt. Mit Joachim Löw. Der hat auch da noch einmal betont, wie sehr er Ihre Kompetenz schätzt. Sie seien immer vorbereitet und wüssten alles. Und auch wenn Sie mal kritische Fragen stellen, würden Sie den Menschen immer mit viel Empathie begegnen.

Und ich war immer fair mit den Leuten. Darauf konnte man sich echt verlassen. Mir war immer wichtig, die Menschen mit Respekt zu behandeln. Dabei war es völlig egal, wen ich interviewt habe.

Der Sprung von den Nachrichten aus der Politik auf die Sportbühne scheint zunächst groß. Inwiefern hat das eine Herausforderung für Sie dargestellt?

Ehrlich gesagt hatte ich schon eine ganze Menge Wissen, weil ich auch immer sportinteressiert war. Insbesondere fußballinteressiert. Aber trotzdem habe ich mich extrem gut vorbereitet. Immer schon. Ich weiß noch, als ich damals einen Aufsager für die Nachrichten gemacht habe. Da ist Manfred Wörner, der Generalsekretär der Nato, gestorben. Da war ich in Brüssel vor Ort. Und ich habe so viel recherchiert, dass ich am Ende eine Doktorarbeit über diesen Herrn hätte schreiben können.

Das ist also Teil Ihres Erfolgsrezeptes?

Ich war halt schon immer so. Das hat mir geholfen, weil es mir Sicherheit gegeben hat.

Journalisten sind den Sportlern immer sehr nah. Sie haben sogar die deutsche Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland und der darauffolgenden Europameisterschaft begleitet.

War das schön auf der Fanmeile! War das ein Fest. Ein ganz besonderer Moment. Da habe ich mit Johannes B. Kerner zusammen moderiert. Unvergesslich. Ich weiß nur noch, dass mich Bastian Schweinsteiger bierduschen wollte, aber das hat er sich wohl doch nicht getraut. Man hat mir dann erzählt, dass er sich angeschlichen hätte, aber im letzten Moment noch abgedreht sei. Da hatte er wohl doch zu viel Respekt.

Eine professionelle Distanz zu wahren, war Ihnen schon immer wichtig. Wieso?

Das stimmt. Ich wollte mich nicht verbrüdern. Ich fand das schon wichtig, eine gewisse professionelle Distanz zu haben.

Und trotzdem entstand bei Ihren Interviews ein Gefühl von Nähe.

Ich wurde doch akzeptiert, ja. Auf jeden Fall.

Hatten Sie das Gefühl, dass Sie irgendwann mehr Akzeptanz von den Sportlern bekommen haben als Ihre männlichen Kollegen?

Ich glaube, dass es durchaus ein Vorteil war, als Frau in der Sportszene zu sein. Es war zumindest kein Nachteil.

Frauen haben es dennoch nicht einfach in der Männerdomäne Fuß zu fassen. Das war damals auch einer der Gründe, weshalb Sie erst gezögert haben, in den Sport zu wechseln. Hatten Sie das Gefühl, man hat auf Fehler gewartet?

Naja, es gab ja auch genug Negativbeispiele. Da kann es sein, dass ich etwas gezögert habe. Ich kann das jetzt nicht belegen, aber ich bin immer sehr kritisch beäugt worden. Man hat immer gesagt „die Roboterhafte, die keine Fehler erlaubt.“ Das wurde mir immer als kalt und wahnsinnig professionell ausgelegt. Aber hätte ich denn bewusst Fehler machen sollen? Letztlich war mir das auch egal.

Was meinen Sie, wieso haben es Frauen denn immer noch so schwer? Sie haben es schließlich geschafft.

Ich hoffe, ich habe den Weg ein bisschen ebnen können. Ich würde mir wünschen, dass mehr Frauen im Fußball ankommen würden. Aber es gibt ja wirklich nur sehr wenige. Das Problem ist, dass jeder Junge Fußball spielt und die Mädchen eben nicht. Und so lange das so ist, wird es auch so bleiben.

Sie haben die Messlatte sehr hoch gesetzt und haben für viele eine Vorbildfunktion. Was raten Sie einer angehenden Sportjournalistin?

Sie muss immer gut vorbereitet sein. Sie muss Kamerapräsenz haben, also telegen sein. Und sie muss was vom Fußball verstehen und von einer anderen Sportart.

Inwiefern ist es von Vorteil sich neben dem Fußball noch eine weitere Sportart zu suchen?

Ich glaube das könnte nicht schaden. Ich habe früher auch Tennis, Skispringen oder auch die Tour de France moderiert.

War das im Auftrag des Senders oder kam die Initiative von Ihnen?

Also Radsport hat mir immer Spaß gemacht. Nur beim Skispringen habe ich immer so gefroren. Das war irgendwie nichts für mich. Da war ich ganz froh, das nicht mehr machen zu müssen. Aber Fußball war immer mein Ding.

Für viele Frauen würde Ihr Beruf gar nicht in Frage kommen, weil er sehr schwer mit einem Familienleben vereinbar ist. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, eine Familie zu gründen?

Ich habe mal darüber nachgedacht, ja. Aber jetzt ist natürlich alles zu spät. Nicht nur wegen des Alters, sondern auch wegen der Erkrankung.

Bereuen Sie das?

Ich bereute es mal, ja. Das stimmt. Aber nun nicht mehr. Nun fügt sich alles so wie es sein soll.

Ist es überhaupt vereinbar in diesem Job?

Schwer, aber vielleicht machbar. Man muss ein super Umfeld haben, was ich theoretisch ja gehabt hätte. Mir tut meine Mutter so leid. Drei Kinder und nicht ein einziges Enkelkind.

Umso enger ist aber die Beziehung zu Ihrem Lebensgefährten Rolf Hellgardt. Er hat Ihnen in der schweren Zeit beigestanden. Wenn Sie ihn beschreiben würden, was ist er für ein Mensch?

Er ist ein sehr warmherziger Mensch und auch ein sehr guter Journalist. Er hat mir ab und zu auch bei den Interviews geholfen.


Info: Nach ihrer Erkrankung im Januar 2009 verschwand Monica Lierhaus vorerst von den Bildschirmen. Im März 2011 kam sie zurück, als Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“. Dieses Engagement sorgte für die größte Diskussion, die es bisher um ihre Person. Gegeben hat. Der Spiegel enthüllte eine angebliche Honorarhöhe von 450 000 Euro pro Jahr, die von dem Sender weder bestätigt noch dementiert wurde. Nach zahlreichen Kündigungen von Abonnements und einer kritischen medialen Debatte wurde die Zusammenarbeit Ende 2013 beendet.


Er war es auch, der Ihnen nach der Erkrankung die Tür zurück ins Fernsehen geöffnet hat. 2011 bekamen Sie den Posten der Botschafterin für die ARD-Fernsehlotterie.

Das hat er 2009 schon eingefädelt. Er hat damals gesagt, wenn sie mal eine Botschafterin haben wollen und Interesse hätten, sollten sie sich melden.

Wie standen Sie dazu? Was war Ihre persönliche Motivation, den Posten anzunehmen?

Es ist schon schön, wenn man Menschen helfen kann. Und Mut zu machen. Das war eigentlich mein Ansporn. Es ist schon schade, dass das dann wegen Gehaltsgerüchten so beschädigt wurde. Das tat mir echt leid.

Sie haben sich nach dem Schicksalsschlag wieder ins Leben zurückgekämpft. Und auch wieder ins Fernsehen. Die Weltmeisterschaft ist vorbei – wie geht es für Sie jetzt weiter?

Das werden wir sehen. Ich glaube, dass die Interview-Reihe bald weitergehen wird.

Was nehmen Sie als Resumee aus Ihrer Karriere und aus Ihrem Kampf um das Leben für sich mit?

Dass man Vieles erreichen kann, was man sich wünscht. Man braucht mit Sicherheit eine Portion Glück. Man braucht eigentlich ganz gute Kontakte und man braucht den Willen. Starken Willen.