NDR, Correct!v und Epos: Von Kooperationen und Pionierarbeiten
In einer globalisierten Welt, einer Welt von Big Data und Whistleblowing stoßen die Medien an ihre Grenzen – zu umfangreich sind die Themen, als dass eine Redaktion allein sie von allen Seiten beleuchten und für alle heute gefragten Kanäle aufbereiten könnte. Um den Themen, aber auch der eigenen Rolle als vertrauenswürdige Informationsquelle gerecht zu werden, gehen die etablierten Häuser neue Wege. Die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz ist dabei kein Tabu mehr, sondern eine wichtige Option. Auch für den NDR: Gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung hat der Regionalsender aus dem Norden das Netz enttarnt, dass die Geheimdienste in Deutschland geknüpft haben. Wie es dazu kam, erklärt Stephan Wels (56), Leiter des zehnköpfigen Investigativ-Ressorts beim NDR.
VOCER: Herr Wels, bei der Recherche „Geheimer Krieg in Deutschland“ hat der NDR mit der SZ zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Stephan Wels: Kollege John Goetz ist jemand, den ich sehr, sehr lange kenne, den wir erst an den Spiegel verloren hatten, aber zurückgewinnen konnten. Er war so verhaftet in der Print-Welt und mochte die Print-Welt so sehr, dass er gesagt hat „Ich will auf jeden Fall weiter Print machen“. Daraufhin haben wir mit der Süddeutschen gesagt: „Wir sind beide deine Arbeitgeber.“ Über ihn haben wir dieses Projekt angelegt, weil er über die Jahre hinweg viel Erfahrung damit hatte, wie sich amerikanische Dienste am Rande der in Deutschland geltenden Legalität im Bereich des Kampfs gegen den Terror bewegen. Das war für uns insofern ein neues Projekt, weil wir aktuelle Berichterstattung hatten, weil wir Zeitungsartikel hatten, weil wir Hörfunk hatten und am Ende nach vielen Tagen Berichterstattung noch einen großen Film eingesetzt und, nicht zu vergessen, noch eine große interaktive Internetseite gebaut haben. Das war für uns auch Neuland, in der Vielfalt etwas anzubieten.
Hätte der NDR das allein nicht bewältigen können?
Ich glaube nicht. Die Vielzahl der Facetten, die da eine Rolle gespielt haben, mussten wir mit den Kollegen der Süddeutschen machen.
Spielte die räumliche Distanz zur SZ eine Rolle oder wäre das Projekt auch beispielsweise mit der Welt für Sie denkbar gewesen?
(Lacht) Das ist nur deswegen mit der Süddeutschen denkbar, weil die Kollegen der Süddeutschen die gleichen journalistischen Grundsätze haben wie wir. Das könnte mit der Welt auch so sein, bei der Süddeutschen wissen wir’s aber. Für uns wär’s kein Kriterium, ob die Kollegen in München oder Hamburg sitzen, sondern welche journalistischen Erfahrungen man miteinander macht.
Ein möglicher Partner für Redaktionen ist Correct!v, das erste gemeinnützige Recherchebüro im deutschsprachigen Raum, seit September aktiv. David Schraven (43), mehrfach ausgezeichneter Journalist, hat es mit Hilfe der Brost-Stiftung aufgebaut und setzt auf investigative Geschichten zur Aufklärung der Bürger.
VOCER: Herr Schraven, warum brauchen die Menschen in Deutschland ein Redaktionsbüro wie Correkt!v?
David Schraven: Ich glaube, dass es sehr wichtig und notwendig ist, gerade für breite aufwändige Recherchen die Einheiten zur Verfügung zu stellen, um die großen Geschichten bewältigen zu können, die nicht auf einer großen nationalen Ebene spielen, aber viele Leute betreffen.
Warum brauchen die Medien ein Redaktionsbüro wie Correkt!v?
Weil die Medien in vielen Bereichen die Aufgaben nicht bewältigen können, wenn wir von großen Datengeschichten reden, wenn wir von Datenbanken sprechen, wenn wir von Big Data reden, haben sehr, sehr viele Medien nicht das Wissen, die Kapazitäten und Ressourcen, diese Sachen bewältigen zu können. Wir haben die.
Sie verstehen ihre Arbeit nicht als Konkurrenz zu etablierten Medien, sondern als Ergänzung, heißt es auf Ihrer Homepage. Wie überzeugen Sie die großen Medienmacher davon?
Indem ich Ihnen den Dienst anbiete, und wenn die das sehen, sagen sie „Hurra, danke“.
Sie sind seit September am Start – war die Resonanz bisher durchweg positiv?
Zu den Partnern, mit denen wir zusammengearbeitet haben, haben wir sehr gute Beziehungen. Wir sind ja noch nicht so lange am Markt. Ich denke, die Enttäuschungen kommen Anfang nächsten Jahres, und dann werden wir auch Feinde haben. (lächelt)
Denken Sie auch an eine Zusammenarbeit mit kleineren Medien?
Wir arbeiten auf jeden Fall gezielt auch mit lokalen Medien zusammen, das ist mir sehr wichtig. Das Angebot wird angenommen, die Leute haben Spaß dran und melden sich positiv zurück.
Doch Schraven will mit seinem Team, das bis Mitte 2015 auf 20 Leute anwachsen soll, nicht nur journalistische Aufklärung, sondern auch Bildungsarbeit leiten. Der Mann aus Bottrop ist überzeugt: „Jeder kann Journalist sein.“
Sie sagen, jeder kann ein Journalist sein und bieten dazu ein Bildungsprogramm an.
Wir bauen unser Bildungsprogramm gerade auf. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Journalist ist oder die Kapazität und Fähigkeit hat, Journalist zu sein. Und wir wollen ihm die Instrumente und Methoden beibringen, damit er das auch umsetzen kann.
Gibt es für Sie Grenzen einer Zusammenarbeit mit Redaktionen?
Eigentlich nicht. Nur mit Faschisten würde ich nicht arbeiten.
Stephan Wels steht nach der Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung ebenfalls möglichen Kooperationen offen gegenüber. Ob das Publikum das wahrnimmt, kann er nicht zu sagen – für ihn zählt das Ergebnis. Und da darf man auf weitere Projekte gespannt sein.
VOCER: Herr Wels, werden nach der Zusammenarbeit mit der SZ weitere solcher Projekte folgen?
Stephan Wels: Da bin ich ganz sicher, weil wir seit geraumer Zeit die Kooperation mit der Süddeutschen auf den WDR erweitert haben. Und wir werden mit Sicherheit andere, auch Großprojekte in der Art und Weise, wie wir den „Geheimen Krieg“ gemacht haben, dort haben.
Haben Sie eine Vision zur künftigen Zusammenarbeit der Medienschaffenden?
Nee (lacht). Das hab ich nicht. Ich sehe zwei Entwicklungen: Ich sehe eine klare Entwicklung bei internationalen Großprojekten, wo sich Leute aus dem gleichen Genre, aus dem investigativen Genre, gemeinsam um bestimmte Stoffe kümmern. Und das sind dann Kooperationen, die weit größer sind als die, die wir jetzt mit der Süddeutschen und dem WDR unterhalten. Da sind die Stoffe aber auch so angelegt, dass sie derart global und international sind, dass es anders gar keinen Sinn macht. Die zweite Entwicklung ist das, was wir machen. Ich sehe, nachdem wir das begonnen haben, den Bereich auch wachsen.
In der spannenden Situation, etwas Neues zu wagen, ist auch Hans Evert. Nach Stationen bei Bild.de, der Berliner Morgenpost und der Welt leitet der 42-Jährige die Epos-Redaktion bei Springer. Epos ist ein multimediales Magazin für das iPad für Menschen, die sich für große Fragen der Wissenschaft und Geschichte interessieren und sie in neuer Form erleben wollen. Der Schwerpunkt liegt auf Text, ergänzt durch Grafiken, Fotos und Videos. Den Anfang machte der 1. Weltkrieg, dessen Ausbruch vor 100 Jahren die Menschen erschütterte, die zweite Ausgabe widmet sich der Erforschung des Glücks.
VOCER: Herr Evert, welche weiteren Themen denken Sie für das neue Format an?
Hans Evert: Im Prinzip das ganze Spektrum geschichtlicher und populärer Wissensthemen. Wir wollen in den Themen sehr in die Tiefe gehen – der Umfang einer jeden Epos-Ausgabe entspricht dem eines mitteldicken Taschenbuchs. Wir wollen Themen präsentieren, die für die Leute interessant sind, und wir glauben daran, dass sich viele Leute für Geschichte interessieren und dass spannend aufbereitete Wissensthemen ebenso ein großes Publikum finden können.
Mit der Resonanz zeigt sich der Chef des neuen Ressorts bisher zufrieden, ohne Zahlen zu nennen. Die Ausweitung auf Android-Systeme ist in Vorbereitung.
Epos gibt es nur auf dem Tablet. Sehen Sie da die Zukunft für Journalismus mit Tiefgang?
Wenn ich das wüsste, hätte ich schon mein eigenes Unternehmen (lacht). Ehrlich: Ich weiß es nicht. Wir haben das aus zwei Gründen auf dem Tablet gemacht. Erstens: Wir haben Web-Documentaries, wie zum Beispiel „Snow Fall“, gesehen und uns gefragt, zahlt jemand dafür? Die Herstellung solcher Immersive-Storytelling-Formate ist teuer. Deswegen haben wir das als Paid Content gemacht. Zweitens wissen wir, dass am ehesten die Benutzer des iPad bereit sind, etwas zu zahlen. Deswegen haben wir mit dem iPad begonnen, aber unser Bestreben ist, dass wir das Plattform-übergreifend machen. Es soll nicht exklusiv auf dem iPad verharren.
Mit Epos setzten sie ein Zeichen. Was bedeutet es für Sie, ein Stück weit die Zukunft des Journalismus mitzugestalten?
Ich weiß nicht, ob das die Zukunft des Journalismus ist. Wir haben Epos in der Kommunikation bewusst als Experiment gekennzeichnet. Das ist es in der Tat. Es ist ein inhaltliches Experiment. Wir glauben, dass die richtige Erzählform für das digitale Zeitalter im Journalismus noch gar nicht gefunden ist. Man sieht Anfänge, man ahnt, wo die Reise vielleicht hingeht, man weiß um die Möglichkeit der Verschmelzung von Text und Video, von Foto, von Ton, aber wie ein wirklich multimedialer Journalismus aussehen wird, wissen wir noch nicht. Aber es ist spannend, daran mitzuarbeiten in einem der vielen Versuchslabore, und natürlich hoffen wir, dass Epos da vielleicht ein Fingerzeig ist.
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit nextMedia.Hamburg entstanden.