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Was im Oktober wichtig war

Illustration: Christiane Strauss

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Liebe Leser,

„Rudolf Augstein hat es nie gefallen, wenn ein Redakteur beim Vortrag der täglichen Nachrichtenlage zu leichtfertig Worte wie ‚Skandal‘ oder ‚Affäre‘ benutzte“ – das schreibt Hans Werner Kilz, ehemaliger „SZ“-Chefredakteur und langjähriger „Spiegel“-Mitarbeiter, in einem aktuellen Beitrag für VOCER. Augstein lag richtig – und doch war er selbst in eine der wohl berüchtigtsten deutschen Affären verwickelt, die sich vor 50 Jahren zutrug: Die „Spiegel“-Affäre von 1962 ist vielen Zeitgenossen bis dato als historisches Ereignis im Gedächtnis geblieben, weil sie eine einmalige Nagelprobe für die Bundesrepublik war und zu einer der wichtigsten Lektionen im demokratischen Lernprozess wurde.

VOCER hat die „Spiegel“-Affäre nun in einem eigenen Dossier aufgearbeitet, das seit vergangener Woche online ist: Nach Klaus Liedtke, Horst Pöttker und Hans Werner Kilz werden demnächst weitere Beiträge veröffentlicht, die sich den Folgen dieser „Stunde Null“ für unsere Gesellschaft, den Journalismus im Speziellen, aber vor allem dem Zustand der Pressefreiheit in Deutschland widmen.

Gemeinsam mit dem Dokumentationszentrum „anstageslicht.de“ und der Journalistenzeitschrift „Message“ haben wir außerdem ein hamburgweites Projekt anlässlich dieses Ereignisses angestoßen, an dem sich zahlreiche Studierende der Universität Hamburg, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) rege beteiligt haben – die Ergebnisse dieses Lehrprojekts, das von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird, sind ab Ende der Woche unter www.spiegel-affaere.de zu finden.

Wie relevant die „Spiegel“-Affäre und die damit verbundenen Mahnungen und Hoffnungen auch 50 Jahre später geblieben sind, zeigt die seit vorletzter Woche geführte Debatte um die Einflussnahme von Politikern auf Journalisten: Auch wenn Augstein in einem weiteren Punkt Recht zu geben ist, dass nämlich Affären und Skandale in letzter Zeit immer häufiger von Wichtigtuern in die Medienwelt hinausposaunt und von einigen Journalisten unreflektiert nachgeplappert werden, handelt es sich bei dem merkwürdigen ZDF-Anruf des zurückgetretenen CSU-Pressesprechers Michael Strepp um einen handfesten Skandal – weil derlei Manipulationsversuche durch Parteienvertreter offenbar nicht nur die Spitze des Eisberges sind, sondern auch von einer Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt.

Die Mächtigen wieder leidenschaftlicher zu kontrollieren statt sich mit ihnen zu verbrüdern, dies sogar als journalistische Errungenschaft und ein Privileg der inneren Pressefreiheit zu begreifen, gehört sicher ebenso zu einem aufgeklärten Rollenselbstverständnis der Medien wie die Forderung, dass sich die Politik künftig in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stärker zurückhalten muss, wie es jetzt der DVJ-Vorsitzenden Michael Konken und andere gefordert haben.

Aber VOCER-Autor Kilz mahnt noch eine weitere Déformation professionelle an, die nicht vergessen werden darf, wenn es um Skandale geht: dass die exzessive Form der „Verdachtsberichterstattung“, die sich vor allem auf Gerüchte stütze, das Verhältnis der Leser zur Presse getrübt und unsicherer gemacht habe, „weil Skandalisierung nicht mehr zwischen Wichtigem und Unwichtigem trennt“.

Ob echte oder aufgebauschte Skandale, die Lage der Pressefreiheit in Deutschland, medienpolitische Weichenstellungen infolge des digitalen Strukturwandels, die Veränderungen unser Kommunikation durch das Netz oder dritte Wege zur Finanzierung des Journalismus: Die Redaktion und wir als Herausgeber von VOCER wollen mit unseren nunmehr 20 monothematischen Dossiers beitragen, dass wir den Mechanismen, Malheuren und Missverständnissen der Medien auf den Grund gehen. „Medienkompetenz“ nannte man das früher, wir nennen es einfach nur „Medienwissen“ – weil wir wissen wollen, warum etwas wie in den Medien berichtet wird (und auch, was verschwiegen wird) und welche Konsequenzen das für die Medienbranche, aber vor allem für uns als Gesellschaft hat.

Viel Wissenswertes erfahren Sie ab sofort aus unserem neuen Newsletter.

Ihr Stephan Weichert


Was vergangenen Monat lesenswert war auf VOCER:

Aus der Illustration zum Dossier  "Die Stunde Null" (Bild: Rita Kohel)In dem Dossier „Stunde Null“ beleuchten wir die „Spiegel“-Affäre der sechziger Jahre und ihre Folgen für die Pressefreiheit zu ihrem 50. Jahrestag. Unter anderem nennt Klaus Liedtke die Geschehnisse „Die Geburtsstunde des kritischen Staatsbürgers“.

Die Medienbranche diskutiert über die „Medienaffäre Strepp“. VOCER-Kolumnist und Medienanwalt Ralf Höcker löste eine Debatte aus, als er dazu schrieb: „Journalisten-Bedrohung ist okay!“

Die Vorwürfe an die deutschen Sicherheitsbehörden wegen der rechtsextremen Terrorserie nehmen kein Ende. Dabei hat auch der Journalismus versagt, kritisiert Christian Fuchs in „Wir waren alle blind“ und stellt sechs Fragen an seine Kollegen.

Es ging viel um Skandale und Affären im Oktober. Hans Leyendecker, Leiter des Investigativ-Ressorts bei der „Süddeutschen Zeitung“, ist der Meinung, dass Journalisten vor lauter Shitstorm ihrer wichtigen Enthüllungsarbeit im Weg stehen.

Namhafte Publizisten wie Heribert Prantl, Sonia Seymour-Mikich oder Ernst Elitz stellen in einem neuen Dossier die Sinnfrage: „Wozu noch Journalismus?“ VOCER veröffentlicht die Essays aus dem gleichnamigen Band von 2010 in aktualisierter Fassung.