,

Ohrringe wegretuschiert, und fertig ist der Mann

Illustration: Christiane Strauss

Da in jedem Gespräch über die Geschlechterdifferenz früher oder später der Vorwurf der Befangenheit laut wird – „Das sagst du jetzt nur, weil du eine Frau bist!“ -, wird zur Objektivierung gerne mit Zahlen hantiert. Ich nehme heute mal die 62. Die Geschlechterdifferenz beträgt, so sagt die OECD-Studie „Society at a Glance 2011“ aus dem vergangenen Jahr, genau 62 Minuten täglich: So viel Zeit hält sich die Durchschnitts-Frau in den OECD-Staaten länger in der Küche auf als ein Durchschnitts-OECD-Mann. Da die deutsche Frau etwas unter dem Durchschnittsaufenthalt liegt und der deutsche Mann deutlich darüber, mag die Differenz hierzulande etwas geringer ausfallen (das schlüsselt die Studie leider nicht genauer auf).

So oder so mangelt es der statistischen Wirklichkeit weiterhin an Männern im Haushalt. Abgebildet aber wird diese Realität kaum mehr. Vielmehr muss es der Feminismus als Erfolg verbuchen, dass Medien offensichtlich genauer darauf achten, welches Geschlecht in welchem Rahmen vorgeführt wird. Typische Männer in der Garage und typische Frauen in der Küche: Das findet man heute nicht einmal mehr in Soap Operas.

Selbst in der Werbeküche spielen Frauen oft nurmehr eine Nebenrolle. Die Firma Miele zum Beispiel lässt schon seit Jahren hauptsächlich männliche Fotomodels an ihre Backöfen und „Combi-Dampfgarer“. Im Jahr 2007 wirkte das noch etwas verschämt, da die Frau im Hintergrund des Bildes zweifellos die Mutter des jungen Mannes im Vordergrund darstellen sollte (graue Haare!). Auch sein erstaunter Blick und der zugehörige Slogan – „Genießen heißt, sich immer wieder selbst zu überraschen“ – machten deutlich, dass hier ein Anfänger am Werk war. In dasselbe Horn stößt die Möbelfirma Hülsta noch in ihrer aktuellen Werbung für eine Esszimmereinrichtung: Der Mann trägt die Schürze, die Frau sitzt bereits am Tisch, und beide lachen über den ein wenig aus der Form geratenen Kuchen, den er präsentiert. Was nicht ist, kann ja noch werden, soll das wohl heißen. Oder: Hauptsache, er hat sich bemüht!

In der Miele-Werbung vom April 2012 sieht der Mann in der Küche schon ein wenig anders aus. Da lehnt er als etwa 40-Jähriger lässig am Ofen, hält in einer Hand ein Blech und in der anderen ein Shrimp-Spießchen, das er glücklich anlächelt. Im Hintergrund: eine Frau in elegantem Kleid, die sich vor Aufregung an ein Weinglas klammert, weil sie offensichtlich gar nicht erwarten kann, auch einen Blick auf das Spießchen werfen zu dürfen. Doch der Mann scheint sie völlig vergessen zu haben; er ist ganz für sich, in trauter Dreisamkeit mit Shrimp und halbierter Cocktailtomate.

Richtiggehend cool gibt sich der AEG-Spot aus dem Frühjahr des vergangenen Jahres, in dem Frauen nurmehr körperteilchenweise vorkommen. Alles ist kalt und schwarzweiß und hygienisch rein in dieser Wohnung – bis der Blick des Mannes auf den OK-Knopf seines Backofens (oder Combi-Dampfgarers?) fällt und ihm die Augen übergehen. Es folgt ein Feuerwerk von Temperaturen, Farben und Geräuschen, von Flammen, krachendem Rot und schlürfenden Frauenmäulern: überaus erotisch, ja, teils durchaus obszön.

Diesen Spot gibt es auch in doppelter Länge, parallel erzählt wird dann das Begehren einer Frau, das sich auf eine Waschmaschine richtet, weil deren Anblick ihr sofort allerlei Visionen von ihrem nackten Leib in Satin oder von geil rinnendem Wasser auf ihrer Haut beschert. Der Wunsch, das einmal andersherum zu sehen zu bekommen – die Frau mit den Grillphantasien und den nackten Kerl unter der beinahe transparenten Decke -, wird sich freilich nicht erfüllen.

IKEA und die Emanzipation

Am konsequentesten hat gerade der schwedische Konzern IKEA die Frauen aus dem Haushalt verbannt, zumindest in der saudi-arabischen Ausgabe seines neuen Katalogs (hier die deutsche Version zum Vergleich). Beinahe alle Frauen sind daraus verschwunden: aus Küchen, Wohn- und Badezimmern. Einfach weg. So dass nun die absurde Situation entstanden ist, dass der Feminismus die Rückkehr der Frauen an die Herde und Waschbecken, auf Sofas und in Betten fordern müsste. Nicht weil das realistischer wäre, sondern aus Prinzip.

Zudem muss er erkennen, dass Emanzipation mittlerweile für populär gehalten wird und dementsprechend aufgeregt bedient wird. Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, dass die Berichterstattung über den vermeintlichen IKEA-Gender-Fail die Gleichberechtigung völlig aus dem Blick verloren hat. Für die saudi-arabische Ausgabe des IKEA-Katalogs wurden nämlich nicht nur Menschen weiblichen Geschlechts getilgt, wie alle behaupten, sondern neben den 35 Frauen auch 14 Männer und elf Kinder, deren Abwesenheit irgendwie niemand lauthals beklagt. Bedenkt man die beiden Männer, die neu hinzugekommen sind (einer davon per Geschlechtsumwandlung: Ohrringe wegretuschiert, und fertig ist der Mann), dann beträgt die Geschlechterdifferenz in diesem Fall allerdings immer noch: 23. Eine aussagekräftige, aber schon wieder keine schöne Zahl.