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Philipp Köster: „Zu scheitern wäre nicht die schlechteste Visitenkarte gewesen“

Um kurz nach elf Uhr herrscht noch Chaos im nasskalten Berliner Stadtteil Friedrichshain, wo die Redaktion der 11Freunde ihren Sitz hat. „Wir bauen um. Hier geht alles ein bisschen drunter und drüber“, ruft Philipp Köster, der mit zehn Minuten Verspätung gut gelaunt um die Ecke kommt. „Was zu Trinken?“, fragt Köster und bietet mir ein Behältnis in Form eines Reagenzglases an. „Sorry, im Durcheinander sind uns wohl die normalen Becher ausgegangen.“ Ein Chaos mit Charme.

VOCER: Herr Köster, wie viele Ausgaben der ersten 11Freunde aus dem Jahr 2000 haben Sie auf Ihrem Dachboden versteckt?

Auf meinem Dachboden sind sie nicht versteckt, sondern repräsentativ in meinem Büroregal zu bestaunen. Ich habe von der ersten Ausgabe noch neun Stück. Von der zweiten aus dem August 2000, die ich eigentlich für die bessere erste Ausgabe halte, sind fünf übrig. Falls es mir irgendwann richtig schlecht geht, kann ich die alle bei Ebay verhökern.

Zwischen 400 und 500 Euro werden für diese Unikate geboten.

Ich kann nur davon abraten, die erste Ausgabe zu kaufen. Da hatten wir verdammt viel Luft nach oben. Mitbegründer Reinaldo hat sich damals auch im Farbtopf vertan. Das leugnet er zwar bis heute, aber Fakt ist: statt der angedachten nostalgischen Sepia-Anmutung schimmerte das Heft eher rotstichig. In der Ausgabe sahen plötzlich alle Abgelichteten so aus, als hätten sie Röteln.

Das wollte doch niemand kaufen.

Zumal es nicht am Kiosk erhältlich war. Wir haben uns an das alte Fanzine-Prinzip gehalten: vor dem Stadion das Heft hochhalten und hoffen, dass es ein paar Zuschauer für die Stadionzeitung halten. Das haben wir beim Pokalfinale 2000 vor dem Olympiastadion in Berlin probiert. Die Leute haben uns aber nur schief angeguckt. Erst mit der zweiten Ausgabe sind wir an die Kioske gegangen.

Wann war für Sie abzusehen, dass 11Freunde mal eine derartige Erfolgsgeschichte schreiben wird?

Die 11Freunde-Story liest sich immer als lineare Erfolgsgeschichte – war sie aber nicht. Anfangs waren wir an einer verschwindenden Zahl von Kiosken, Werbekunden interessierten sich erst ab einer gewissen Auflage für uns, was uns sofort in finanzielle Nöte stürzte. Selbst wenn man, wie wir, bloß 8000 Exemplare druckt, kostete jedes Heft schnell über 20.000 D-Mark. Hat man nicht gerade eine reiche Oma, dann gibt einem solch ein Kostenapparat schnell den Rest.

Gab es die reiche Oma?

Zumindest reicher als wir, was allerdings keine Kunst war. Die Großmutter von Reinaldo hat anfangs 5000 Mark spendiert. Damit konnten wir die erste Ausgabe finanzieren. Die spielte allerdings nur 1000 Mark ein. Mit der Bilanz wurden wir dann bei der Deutschen Bank in Bielefeld vorstellig. Dass die uns dort nicht von Sicherheitsleuten aus der Bank jagen ließen, war eigentlich ein Wunder.

Wie konnte 11Freunde überleben?

Unsere Presse war sehr viel besser, als das Magazin in der Realität war. Wir schrieben gefälschte Leserbriefe an uns, in denen wir das Heft lobten und hin und wieder leicht kritisierten. Anfangs haben wir es durch ein paar nette Comedy-Geschichten, etwa gefakte Leserbriefe an den Kicker unter solch schönen Namen wie „Rolf Töpper, Wien“, in Presseberichte geschafft. Das alles machte das Heft aber nicht profitabel. Die 5000 Mark Verlust pro Heft blieben. Erst als wir 2002 auf Verlagssuche gegangen sind und der Intro-Verlag bei uns eingestiegen ist, haben wir nicht bei jedem Türklingeln gedacht, dass uns nun einer den Strom abklemmt.

50.000 Euro Schulden hatten Sie zu dieser Zeit. Wie stark muss das persönliche Umfeld sein, um so etwas überhaupt weitermachen zu können?

Meine Eltern habe ich in die prekäre Lage nicht eingeweiht, die hätte das zu sehr in Sorge versetzt. Aber selbst das Scheitern mit einem hochverschuldeten Projekt wäre ja auch eine Chance gewesen.
Das klingt verrückt.

50.000 Euro sind viel Geld, aber man hätte das über die Jahre abbezahlen können. Mit 11Freunde zu scheitern, wäre ja auch nicht schlechteste Visitenkarte gewesen. Ich hatte ja vorher immer das Problem gewälzt: Wie komme ich überhaupt in den Journalismus? Ich hatte anfangs nur ein paar halbgare Praktika vorzuweisen und deswegen zeitweise totale Komplexe, dass mit einer Absage auf eine Bewerbung mein Journalismus-Traum einstürzen könnte.  Gerettet haben mich die ehrenamtlichen Sachen, beim Uniradio in Bielefeld oder beim Arminia-Fanzine „Um halb vier war die Welt noch in Ordnung“, das wir ein paar Jahre früher gegründet hatten.

Warum wollten Sie eigentlich Journalist werden?

Mich fasziniert dieser Beruf, seit ich klar denken kann. Ich stand oft ganze Nachmittage im Supermarkt und hab mich durch das Zeitschriftenregal gewühlt. Irgendwann musterte mich mal eine Verkäuferin und sagte dann nur gedehnt: „Ach, der Leser!“ Später habe ich dann mal ein Spiegel Spezial über Journalisten verschlungen und dachte nur, dass ich sowas auch mal machen möchte.

Sie sind selbst großer Arminia Bielefeld Anhänger. 1995 waren Sie als Fan auf einer Auswärtsfahrt beim FSV Salmrohr. Anschließend lag eine Strafanzeige im Briefkasten. Was war passiert?

Ganz simpel: das waren Folgen eines Alkoholmissbrauchs. Wir hatten im Bus fünf Stunden lang getrunken und torkelten dort wie ein Rudel Zombies zum Spiel, das dramatischer nicht sein konnte: Erst zurückgelegen, eine Rote Karte kassiert und dann noch die Partie gedreht. Dann habe ich mich mit den 20 anderen Honks über den Zaun gehangen und rüttelte daran wie ein Geisteskranker. Der Zaun war rasch hinüber. Ein paar Monate später kamen dann Zivil-Polizisten im Sonderzug auf mich zu und präsentierten mir Fotos, auf denen ich mit wild gefletschten Zähnen am Zaun hing. Die Polizisten sagten nur: „Das sind doch Sie!“ Damals hatte ich noch henna-rot-gefärbte Haare – grauenvoll. Und was soll ich sagen, das war ich.  

Der SZ-Sportjournalist Thomas Kistner hat mal gesagt, Sportjournalisten sind Fans, die es über die Absperrung geschafft haben. Die Bezeichnung trifft mit der Vorgeschichte gut auf Sie zu.

Wichtig ist, das auch noch mit verächtlichem Unterton zu konstatieren. Fakt ist, dass ich seit 1981 Fan von Arminia Bielefeld bin. Unzählige Mal abgestiegen und wieder aufgestiegen, der Verein reißt ja gerne mit dem Hintern wieder ein, was er mit den Händen aufbaut. Wenn Arminia verliert, ist oft das Wochenende für mich gelaufen. Soll heißen: Fußballfan zu sein, vor allem Fan einer Mannschaft zu sein, ist für mich die wichtigste Voraussetzung, um 11Freunde überhaupt zu machen. Das bedeutet ja nicht, dass ich ständig mit der Arminia-Fahne durch die Redaktion renne.

Es gibt den Vorwurf, dass Arminia Bielefeld immer wieder von Ihnen ins Heft gehievt wird.

Ich würde mal behaupten, dass etwa Werder Bremen viel öfter und viel penetranter bei uns vorkommt, weil sich inzwischen eine beinahe unerträglich große Bremer Kommune in der Redaktion gebildet hat, die noch den letzten Abstaubertreffer von Rune Bratseth zum Jahrhunderttor verklären. Wichtig ist vor allem, den kritischen Blick nicht zu verlieren und Fehlentwicklungen auch dann zu benennen, selbst wenn man eine Dauerkarte des Klubs im Geldbeutel hat. Aber das bekommen wir ganz gut hin.

Sie kritisieren den Einfluss von Investoren im Fußball. Sind Sie in Ihrer journalistischen Rolle in dem Punkt nicht zu einseitig?

Nein, gar nicht. Wer, wenn nicht wir als Magazin für Fußballkultur soll davor warnen, wenn der Fußball und sein Publikum nur noch unter wirtschaftlichen Aspekten gesehen wird und Fans nur noch danach beurteilt werden, wie viel Umsatz sie dem Klub bringen. Wohin das führt, sieht man in der Premier League, wo die Klubs entweder ein Spielzeug für gelangweilte Oligarchen sind oder wo es Investoren darum geht, möglichst viel Geld aus dem Klub zu ziehen. Sich da wie viele hinzustellen und achselzuckend zu sagen „Ist doch eh alles Kommerz!“ ist uns zu wenig. Deshalb kritisieren wir auch ein Projekt, wie es gerade von Red Bull in Leipzig am Reißbrett hochgezogen wird.

Aber dort gibt es doch auch Fans, die Fußball sehen wollen.

Es gibt ja inzwischen eine breite Phalanx von Befürwortern. Die DFL buckelt vor den Leipzigern, Sky feiert die Leipziger als junge Kraft im Osten, die Leipziger Volkszeitung ist zu einer Art Fanmagazin mutiert. Da darf es doch erlaubt sein, dass wir diese Simulation von Fußballkultur kritisieren und mal dezent nachfragen, ob das eine so erstrebenswerte Vorstellung ist, dass in zwanzig Jahren zehn solcher Plastikklubs in der Bundesliga spielen, deren Kern eben nicht die Freude am Sport ist, sondern allein der Verkauf von noch mehr Getränkedosen.

Gruner + Jahr hat 2010 Anteile von rund 51 Prozent an 11Freunde übernommen. Kann man das nicht mit dem Einstieg von Investoren bei Fußballvereinen vergleichen?

Nein, kann man nicht. Wir waren schon vorher kein gemeinnütziger Verein, sondern ein Verlag, in dem Menschen arbeiten, die von ihrer Arbeit leben wollen. Und wir haben uns mit einem Verlag zusammengetan, dessen höchstes ideelle Gut die Unabhängigkeit der Redaktionen ist. In nun fast fünf Jahren hat es keinen einzigen Fall gegeben, dass von Verlagsseite Druck ausgeübt worden wäre. Ganz im Gegenteil war der Druck aus dem Anzeigenmarkt vorher viel größer.

Print gilt als tot. 11Freunde hat sich trotz dieser Entwicklungen etablieren können. In Deutschland gibt es noch keine Sporttageszeitung. Wann wagen Sie den Sprung ins Tagesgeschäft?

Print ist nicht tot. Es gab selten so viele spannende, innovative Zeitschriften, die ich mir immer wieder aufs Neue kaufe. Zugleich bin ich aber auch immer wieder stolz, was unsere Kollegen jeden Tag online machen. Der sehr spezielle 11Freunde-Liveticker etwa ist in den 15 Jahren unseres Bestehens sicher eine der wichtigsten Innovationen überhaupt gewesen. Was ich durch die Blume mitteilen möchte: Was eine Sporttageszeitung angeht, bin ich tatsächlich völlig ambitionslos. Dafür liebe ich die Erscheinungsform eines Magazins auch viel zu sehr.