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Ressentiments gegen die Quote

Illustration: Christiane Strauss

Wegen einer im Jahr 2005 vom Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beschlossenen Frauenquote für Straßen und Plätze verfolgt man dort aktuell eine Politik der „affirmative action“, das heißt: der bewussten Bevorzugung von Frauen als topografische Patinnen. Dass der Platz vor der neuen Akademie des Jüdischen Museums nach Moses Mendelssohn benannt werden sollte, sorgte folglich für eine Debatte – die schließlich in einen Kompromiss mündete. Der Platz wird nun Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz heißen: nach dem großen deutschen Aufklärer und seiner Frau. Man mag von dieser Lösung halten, was man will: Ein Kompromiss ist ein Kompromiss ist ein Kompromiss…

Die bitterste Erfahrung war ohnehin die Tatsache, wie viele Journalisten anlässlich der Diskussion endlich die Gelegenheit gekommen sahen, all ihre Ressentiments gegen die „Regelungswut“ (Spiegel Online), die eine Quote angeblich darstellt, herauszutröten. Man lausche nur mal diesen rhetorischen Wendungen: Die Welt sah eine Frau „aufs Schild gehievt„, auf heise.de ist von „Gender-Dogmatismus“ die Rede, und der Tagesspiegel erkannte ein grundlegendes Problem, nämlich die „Zwickmühle zwischen Quote und Vernunft„.

Quote und Vernunft stellen also einen Widerspruch dar? Man muss selbstredend nicht zweimal raten, welchem Geschlecht am Ende welcher Part angedient werden wird. Auf Spiegel Online ordnete man die öffentliche Diskriminierung des Weiblichen gar als naturgegeben ein, weshalb kein Gesetz etwas daran ändern könne und also besser auch nicht sollte. Ja, wo kämen wir denn da hin!

Das schockierende Menetekel im Wortlaut:

Lassen sich Tod, Krankheit und Armut durch Behörden und Beamte aus der Welt schaffen? Wohl eher nicht. In Deutschland versucht man’s trotzdem. Ein aktueller Fall in Berlin zeigt, wohin das bald führen könnte: zu Straßen, deren amtlich aufgeblähte Namen länger sind als die Straßen selbst.

Neun zusätzliche Buchstaben

Man erinnere sich: Es geht hier eigentlich nur um neun zusätzliche Buchstaben. Aber natürlich geht es, wie immer, um mehr. Über Fromet Mendelssohn, geborene Gugenheim, schreibt der Spiegel-Autor, und das ist seine finale Pointe:

Die ist zwar historisch unbedeutend. Aber eine Frau.

Jenseits des dezent despektierlichen „die“ zeugt dieser Satz vor allem von einer peinlichen Ignoranz gegenüber allem, was unter dem Etikett „gender“ je diskutiert wurde. Schließlich verwundert es wenig, dass Fromet Mendelssohn „historisch unbedeutend“ ist, da es im 18. Jahrhundert für eine Frau beinahe unmöglich war, „historisch bedeutend“ zu werden, da dem Weiblichen sowohl die historische Qualität als auch die eigene Bedeutung von vorneherein abgesprochen wurde.

Und wenn Frauen dagegen Protest einlegten, landeten sie im schlimmsten Fall – man denke an Olympes de Gouges, die die von der Französischen Revolution erkämpften Bürgerrechte auch für das weibliche Geschlecht einforderte – auf dem Schafott und mussten ihren Kopf nicht nur metaphorisch dafür hinhalten. Eben deswegen kann man es mit einigem Recht als notwendig erachten, manchen Frauen wenigstens nachträglich die historische Bedeutung zuzusprechen.

Mit jenen offensichtlich auch von dem heise.de-Autor arg gefürchteten, titelschleicherischen und den Mann nur zu gern auf dem Altar ihrer Geltungssucht opfernden Frauen, deren Bedeutung „ersichtlich aus ihrer Heirat ersteht – so wie früher die Anrede ‚Frau Doktor‘ und ‚Frau Professor‘ für nicht promovierte und habilitierte Damen der Gesellschaft, die sich eine gute Partie gesichert hatten“, hat Fromet Mendelssohn tatsächlich denkbar wenig gemein.

Daran, dass sie nie im patriarchalen Sinne „historisch bedeutend“ wurde, trägt vielmehr nicht zuletzt ihr eigener Ehemann schuld. Moses an Fromet:

Wie ich von Herrn Salman Emmerich vernehme, übertreiben Sie den Fleiß im Lesen sehr, und machen beynahe einen Misbrauch davon. Dieses kann ich durchaus nicht billigen. Was wollen Sie damit ausnehmen? Gelehrt werden? Davor behüte Sie Gott! Eine mäßige Lectüre kleidet dem Frauenzimmer, aber keine Gelehrsamkeit.

Ein zweites Opfer

Doch nicht nur Fromet Mendelssohn erfuhr in dieser Debatte keine historische Gerechtigkeit. Noch ein zweites Opfer ist zu beklagen, dessen politische Haltung es offenbar als ähnlich „historisch unbedeutend“ brandmarkt wie die Frau Fromet Mendelssohn.

In den meisten Artikeln über die Platz-Benennung werden dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain zwei Quoten-Ausnahmen vorgeworfen: Die eine ist die Benennung einer Straße nach Rudi Dutschke, die andere die Benennung einer Straße nach „Silivio Meier“ (taz) bzw. „nach linksradikalen Männern wie […] Silvio Mayer“ (Götz Aly in der „Berliner Zeitung„) bzw. nach dem „Hausbesetzerszene-‚Märtyrer‘ Silvio Meider“ (heise.de).

Tatsächlich hieß der Mann Silvio Meier, und was Aly und heise.de – im Gegensatz zu ihrer ostentativen Gleichgültigkeit gegenüber der korrekten Schreibweise und damit der Identität dieses Mannes – geflissentlich verschweigen, weiß die Wikipedia: Meier wurde am 21. November 1992 von Neonazis erstochen, zwei seiner Begleiter wurden schwer verletzt. Laut Zeugenbericht fiel dabei der Ausspruch: „Jetzt haben wir es euch gezeigt, ihr linken Säue!“

 


 

Katrin Schuster ist nicht die einzige, die über dieses Thema nachgedacht hat.