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Schlüsselfaktor Leidenschaft

Kann man heute wirklich noch guten Gewissens jungen Leuten Monate, Jahre ihres Lebens nehmen für eine fundierte journalistische Ausbildung? Ist das nicht unnütz? Ist dieser Beruf nicht irgendwie am Ende, eine befriedigende Laufbahn aussichtslos?

Man kann es natürlich als Zweckoptimismus bezeichnen, wenn die Leiterin einer Journalistenschule diese Fragen verneint und schreibt, Journalismus sei spannend wie kaum je, und gerade heute brauche es die besten Journalistinnen und Journalisten.

Doch dies ist meine feste Überzeugung. Wir brauchen Medienschaffende, best qualifizierte Frauen und Männer. Damit junge Menschen gute Journalistinnen und Journalisten werden, brauchen sie eine gute Ausbildung. Doch was ist eine „gute“ journalistische Ausbildung? So einfach und lapidar die Frage, so komplex die Antwort. Da es den Journalismus nicht gibt, gibt es auch die Ausbildung nicht. Ich fokussiere hier auf Ausbildungen, die den umfassenden Qualitätsjournalismus im Auge haben.

Wer sich öffentlich äußert, muss was zu sagen haben – die bildungspolitische Ebene

Journalisten befragen Politikerinnen, Wirtschaftsführer, Künstler. Sie recherchieren immer komplexere Themen in immer kürzerer Zeit. Sie haben mehr denn je die Aufgabe zu selektionieren und einzuordnen. Wer fragt und hinterfragt, muss viel wissen. Ohne Kenntnisse der Materie und der Geschichte sind kluge Fragen und Einordnung unmöglich. Wer sich öffentlich äußern darf, muss etwas zu sagen haben. Auch das setzt Wissen voraus. Deshalb brauchen Journalistinnen und Journalisten ein fundiertes Allgemein- und zudem möglichst viel Fachwissen.

Für die Journalismusausbildung heißt das: Das Abitur liefert allgemeine Wissensgrundlagen, ein erster Hochschulabschluss den fachlichen Schwerpunkt. Die dann folgende, möglichst berufsorientierte Journalismusausbildung auf Masterstufe – oder als Volontariat, ergänzt mit einer qualifizierten Journalistenschule – vervollständigt das Curriculum.

Diese Art der Ausbildung ist für mich der Königsweg. Allerdings hat sie, aus gesellschaftspolitischer Sicht, durchaus Tücken. Wenn ausschließlich Frauen und Männer mit einem Hochschulabschluss als Journalisten arbeiten, führt dies zu einer Homogenität in den Redaktionen, die nicht optimal ist. Denn Journalisten haben die Aufgabe, die Gesellschaft abzubilden, sie zu spiegeln. Wenn alle Medienschaffenden einen ähnlichen Bildungshintergrund haben, bleibt die Optik einseitig.

Es braucht deshalb zwingend auch andere hervorragende journalistische Ausbildungsformate, die junge begabte Menschen mit Brüchen in ihrer Bildungsbiografie zum Ziel führen.

Nur wer leidenschaftlich Journalistin sein will, eignet sich – die Haltung

Niemand weiß, wohin die Reise gehen wird. In schwierigen, unsicheren Zeiten gilt eine Art Darwinismus. Überlebenschancen hat wohl nur, wer stark ist, wer die Leidenschaft, den absoluten Willen hat, Journalist, Journalistin zu sein und Strapazen auf sich zu nehmen.

Da wir nicht wissen, welche neuen, zusätzlichen Kompetenzen es demnächst tatsächlich braucht, sind Eigenschaften wie Offenheit, Flexibilität, Experimentierlust und Unternehmergeist besonders wichtig. Selbstverständlich neben den bisherigen Werten wie Kritikfähigkeit und Sprachbegabung.

Vorbilder regen zum Nachdenken an – die Didaktik

Gut und gern lernt man von der Auseinandersetzung mit Vorbildern. Echten Vorbildern. Persönlichkeiten, die Standards setzen, die leidenschaftlich etwas wagen, die dranbleiben und herausragende Kompetenzen haben. Besonders anregend wird der Unterricht, wenn die Gruppe interdisziplinär und multimedial zusammengesetzt ist: Wenn die Juristin mit Fernsehvolontariat mit der Primarlehrerin vom staatlichen Radio und dem Soziologen, der als Jungredaktor bei einer Tageszeitung arbeitet, über Medienethik oder multimediales Storytelling diskutiert, kommen unterschiedliche Sichtweisen zusammen. Sie zu vertreten – und zu relativieren, allenfalls auch zu revidieren – ist ein prima Denk- und Rhetoriktraining.

Zudem: Nur in der Ausbildung kann man nichts verlieren, wenn man ausprobiert und daran scheitert. Wir fordern am MAZ unsere Studierenden auf zum Verlassen gewohnter Pfade – getreu dem Motto: Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke.

Wandel mitgestalten wird zum lebenslangen Motto – die Themen

Als Ausbilder haben wir das Interesse und auch die Pflicht, unsere Studierenden für morgen fit zu machen. Neben den „Elements of Journalism“ gemäß Bill Kovach – Grundlagen, die den Journalismus seit Anbeginn bestimmen, inklusive Reflexion über die Rolle des Journalismus und die Aufgaben der Journalisten – kommen heute Anforderungen wie multimediales Denken und Storytelling, Dialogfähigkeit mit den Lesern und Nutzerinnen auf allen Kanälen, hinzu.

Eine neue Bedeutung kommt wohl dem Thema „Entrepreneurship“ zu. Noch nie war es so einfach, mit einer cleveren Idee ein Web-Unternehmen zu gründen. Angehende Journalisten sollten sich in der Ausbildung damit auseinandersetzen und darin versuchen. Mit Cleverness und Glück können sie zum Unternehmer werden, der mit einem Startup eine Marktlücke entdeckt.

Essenziell scheint mir in der aktuellen Lage, dass wir die Studierenden stärken, damit sie mit Unsicherheit und ständigem Wandel umgehen können; damit sie nicht zu willfährigen, allzu flexiblen, „beliebigen“ Menschen werden. Ihnen zum Bewusstsein zu verhelfen, dass sie immer wieder umdenken, sich neu hinterfragen und möglicherweise auch neu positionieren müssen. Dass sie bei all dem versuchen, ein Alleinstellungsmerkmal auszugestalten, das sie zur unverwechselbaren Marke macht – ohne eine Masche zu entwickeln.

Wandel bedingt übrigens nicht nur Aus- sondern ebenso Weiterbildung. Karl Lüönd, früherer MAZ-Stiftungsrat, brachte es auf den Punkt: „Wer in diesem Beruf glaubt, Ausbildung sei je abgeschlossen, leidet unter Einbildung.“

Fazit und Schluss

Von Ausbildern und Ausbildungsinstitutionen wird dasselbe gefordert wie von den Auszubildenden: sich kritisch, aber offen mit den Entwicklungen auseinanderzusetzen, genau zu prüfen, wie wichtig sie für die Zukunft des Journalismus und damit für die Curricula sind.

Wir sollten uns nicht vorgaukeln, wir wüssten, was zu tun sei in Zukunft. Wir müssen nicht jede Sau durchs Dorf treiben, aber neue Möglichkeiten in Media- und Kreativlabs ausprobieren. Und parallel dazu die Debatte über Rollen und Aufgaben des Journalismus intensiver führen als bisher. Uns und unseren Studierenden immer wieder die Fragen stellen: Wozu noch Journalismus? Und welchen Journalismus überhaupt? Der Schweizer Publizist Ludwig Hasler gibt darauf eine Antwort, die auch die Aufgaben der Journalismus-Ausbildner zusammenfasst:

„Wenn angeblich jede Information jederzeit verfügbar wird, wächst das Bedürfnis nach einer Autorität, die auswählt, nachforscht, durchblickt, klug, scharfzüngig, erhellend formuliert. … Journalismus überlebt als Aufmischer der Infoklumpen, als intelligentes Ferment der Meinungsträgheit. Er muss weg von der einschläfernden Konsenskultur – hin zur Lust auf Dissens, zum Anzetteln leidenschaftlicher Debatten. Journalismus als Fegefeuer der Denkfaulheit: unabhängig, engagiert, unverschämt.“