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Störfaktor Urheberrecht

Gedächtnisorganisationen tragen eine hohe Verantwortung für die Sammlung unseres Kulturerbes, vor allem diejenigen, die öffentlich finanziert sind oder nichtkommerziellen kulturellen Zwecken nachkommen. Museen, Bibliotheken, Mediatheken und Archive sind aber auch mit der Aufgabe betraut, der Gesellschaft den Zugang zu ihrem kulturellen Erbe zu ebnen. Doch dabei werden sie vom geltenden Urheberrecht beschränkt.

Kulturelle Einrichtungen sollten von den aktuellen Bestrebungen zur Reformierung und Weiterentwicklung des Urheberrechts profitieren, zum Beispiel in Form einer Regelung, die es gemeinnützigen Institutionen erlaubt, das ihnen anvertraute Kulturgut über öffentlich zugängliche Internetdatenbanken in angemessener Form visuell zu präsentieren. Dafür braucht es allerdings ein Umdenken in Politik und Kulturwirtschaft; denn das bisherige Urheberrecht verhindert dies für einen Großteil der Objekte des 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere für den reichen Schatz an medialen Überlieferungen, allen voran der großen Massenmedien Fernsehen, Radio und Film.

Ein Interessensausgleich zwischen den öffentlichen Gedächtnisverwaltern und den Urhebern bzw. Rechteinhabern ist nicht undenkbar. Dazu muss jedoch ein Bewusstsein dafür entstehen, dass alte Filme, Fernsehsendungen, Songs und Fotos nur dann lebendig und anschaulich bleiben und für die Erinnerungsarbeit genutzt werden können, wenn sie zugänglich bleiben. Museen und andere Gedächtnisorganisationen treten dabei mit ihren Angeboten nicht in Konkurrenz zu kommerziellen Verwertungsinteressen, sondern ergänzen die oft sehr lückenhaften und temporären Angebote auf dem freien Markt.

Hehre Ansprüche, unzureichende Rahmenbedingungen

Die europäische und nationale Kulturpolitik fordert, „das kulturelle und wissenschaftliche Erbe Europas für alle über das Internet zugänglich zu machen„. Demzufolge haben Museen, Archive, Bibliotheken und Mediatheken in Deutschland entsprechende digitale Inhalte bereitzustellen und öffentlich zugänglich zu machen. Das umfasst nicht allein die Metadaten – also Angaben, welche bestimmte Objekte beschreiben und kategorisieren -, sondern vielmehr auch digitalisierte Abbildungen von Objekten oder Kopien von audiovisuellen Medienformaten, zumindest in Ausschnitten.

Gleichzeitig steht dem aber entgegen, dass „für die Wahrung der bestehenden Urheber- und Leistungsschutzrechte Sorge zu tragen“ ist. Damit ergibt sich für alle Einrichtungen, die Kulturgut in digitalisierter Form zugänglich machen sollen, ein brisantes und vielfach unlösbares Problem, weil die visuelle öffentliche Zugänglichmachung des Medienerbes nahezu immer urheberrechtlichen Einschränkungen unterliegt. Nach geltendem deutschen Urheberrecht ist für den Zeitraum der gesetzlichen Schutzfrist eine öffentliche Zugänglichmachung geschützter Werke – und damit eines Großteils des Kulturguts des 20. und 21. Jahrhunderts – auch dort unzulässig, wo sie nur zu Abbildungszwecken in Form statischer Bilder dient.

Bisher gibt es nur einen Ausweg: Die Institutionen müssen den Kontakt zu den Rechteinhabern, Lizenzträgern oder Verwertungsgesellschaften suchen und einzeln über die Zugänglichmachung des Kulturguts verhandeln. Dafür aber fehlen in der Regel sowohl die finanziellen als auch die personellen Mittel. Gerade bei der Vielzahl von Beständen der Museen, Archive und Bibliotheken sind die Rechteinhaber entweder häufig nicht bekannt („verwaiste Werke„) oder die Rechtesituation bleibt trotz intensiver Recherche in vielen Fällen unklar. Deshalb ist eine eindeutige gesetzliche Gesamtlösung notwendig.

Unabsehbare Folgen

Weil ein Großteil des Medienerbes noch den Schutzfristen des Urheberrechts unterliegt und daher bislang nicht in digitalisierter Form in öffentlich zugängliche Datenbanken eingestellt werden kann, können öffentliche Sammlungseinrichtungen ihre Aufgabe nur unzureichend wahrnehmen, die Bevölkerung über ihre Geschichte aufzuklären und die gesellschaftliche Erinnerungsarbeit voranzutreiben. Die bereits bestehenden über Internet zugänglichen und von öffentlicher Hand initiierten sowie finanzierten Projekte „Europeana“ und die „Deutsche Digitale Bibliothek“ bilden da keine Ausnahme. Nach derzeitigem Stand des Urheberrechts können Gedächtnisorganisationen in öffentlich zugänglichen Datenbanken in aller Regel für einen Großteil ihrer Bestände lediglich Textinformationen wie Katalog- oder Metadaten anbieten – was der Multimedialität der Sammlungsbestände und den Interessen der Nutzer nicht gerecht werden kann.

Gerade Medienüberlieferungen könne allein über abstrakte Textinhalte nicht hinreichend anschaulich gemacht werden. Der potenzielle Nutzer kann bei visuellem und audiovisuellem Kulturgut auf einen bildlichen Eindruck nicht verzichten, um daraus Sinn zu schöpfen. Die Aussagekraft speziell von Museumsgut liegt in seiner Visualität, einschließlich objekthafter Sammlungsgegenstände. Wer also auch jüngeres, zeitgenössisches Kulturgut aus der öffentlichen Wahrnehmung nicht ausschließen will, wird nach einer generellen rechtlichen Lösung dieses Problems suchen müssen.

Darüber hinaus liegt eine solche Lösung auch im Sinne der berechtigten Interessen der Urheber. Schließlich können Verwertungsinteressen vor allem dann realisiert werden, wenn die Veröffentlichung von Hinweisen auf die Werke die Nachfrage nach deren Nutzung stimuliert.

Ein möglicher Ausweg

Sammlungseinrichtungen, die vorwiegend öffentlich finanziert sind oder nicht-kommerziellen kulturellen Zwecken dienen, sollten im Zuge einer Weiterentwicklung des Urheberrechts die Möglichkeit erhalten, in öffentlich zugänglichen Internetdatenbanken ergänzend zu den Text-Metadaten das ihnen anvertraute Kulturgut auch visuell in einer dem Medium angemessenen Form zu präsentieren, ohne dafür Gebühren entrichten zu müssen. Um Urheberrechtsverletzungen in diesem Zusammenhang auszuschließen, ist mit Hilfe technischer Beschränkungen sicherzustellen, dass über die Belegfunktion hinaus rechtlich unzulässige Werkwiedergaben ausgeschlossen werden. Entsprechende Einschränkungen bei der Bildqualität, die hochwertige Reproduktionen nicht zulassen, und zusätzliche Maßnahmen wie digitale Wasserzeichen oder Kopierschutz können beispielsweise präventiv in die notwendigen gesetzlichen Regelungen aufgenommen werden.

Das Urheberrecht und seine begleitenden Gesetze dienen bisher in erster Linie dem Interessenschutz der Urheber und der Leistungsschutzinhaber. Generell wird davon ausgegangen, dass jede Form der Verwendung eine zustimmungsbedürftige Nutzung darstellt. Doch es gibt auch Ausnahmen von diesem Grundsatz, beispielsweise das Zitatrecht. Aus Sicht der Museen dürfte auch die in angemessener Form vorzunehmende Sichtbarmachung von Beständen, die kein Ersatz für den eigentlichen Werkgenuss ist, nicht als zustimmungsbedürftige Nutzung angesehen werden. Auch sie hat – ähnlich wie das Zitat – lediglich eine Belegfunktion.

Die angemessene Visualisierung von Beständen liegt auch im Interesse der Urheber bzw. Rechteinhaber. Urheber wie Museen wollen, dass Werke aufgefunden und geschützt werden. Sie wollen nicht, dass kulturelle Leistungen der Öffentlichkeit im Internet entzogen werden und dadurch in Vergessenheit geraten. Die in öffentlichem Auftrag Kulturgut sammelnden Institutionen pflegen ihre Bestände mit hohem Aufwand, sie dokumentieren deren Status sowie deren gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontext. Damit sichern sie das Kulturgut in seiner Existenz für die Zukunft und halten es zugänglich für die Gegenwart. Sie tun dies im öffentlichen Auftrag und zum Nutzen der Allgemeinheit. Sie handeln damit auch im Interesse der Urheber.

Was die Gedächtniswahrer dringend brauchen

Das Internet fördert die allseitige Kommunikation mit zunehmender Bedeutung des Visuellen. Den Museen bietet sich damit ein Instrument, die von ihnen bewahrte und gepflegte kulturelle Überlieferung in einen globalen Vermittlungsprozess einzubringen und lebendig zu halten. In einer Informationsgesellschaft ist zu verhindern, dass Kulturgut der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Die Museen sehen hier ihre Chance und ihre Verpflichtung.

Daher sind nicht-kommerzielle Gedächtnisorganisationen als wichtige Kulturgutträger im Urheberrecht durch entsprechende Schrankenlösungen zu berücksichtigen. Sollen Museen, Bibliotheken, Mediatheken und Archive den ihnen zugeordneten Aufgaben gerecht werden, benötigen sie die rechtlichen Voraussetzungen, die zweierlei erlauben:

  1. das von ihnen archivierte Kulturgut einer interessierten Öffentlichkeit, vor allem Bildung und Forschung, kostenfrei zugänglich zu machen und
  2. die berechtigten Interessen der Urheber und Leistungsschutzberechtigten nicht nur zu wahren, sondern ihnen durch diese öffentliche Vermittlung auch zu dienen.

Dieser Text ist eine überarbeitete Fassung des Positionspapiers des Vorstandes des Deutschen Museumsbundes und dessen Fachgruppe Dokumentation vom Januar 2012 mit dem Titel „Kulturelles Erbe im Internet sichtbar machen“ und nimmt Bezug auf das Positionspapier „Audiovisuelles Erbe im Internet sichtbar machen“ des Netzwerks Mediatheken.