Mit „Substanz“ gründen die beiden Journalisten Georg Dahm und Denis Dilba das erste bezahlte Wissenschaftsmagazin in Deutschland, das ausschließlich digital veröffentlicht wird. Die Entwicklung des Magazins wollen sie zum Teil über Crowdfunding finanzieren. Ein Gespräch über „Substanz“ und Geschäftsmodelle für Qualitätsjournalismus im digitalen Zeitalter.


VOCER: Was ist „Substanz“? Und wie wird es aussehen?

Georg Dahm: „Substanz“ ist ein Wissenschaftsmagazin, das wöchentlich erscheinen wird – und zwar ausschließlich als App. Es wird kein Gratismedium sein, sondern im klassischen Sinn ein Magazin, das die Leser im Abonnement oder im Einzelverkauf erwerben können. Wir wollen zeigen, dass es auch im digitalen Zeitalter ein Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus gibt. Wenn wir von App sprechen, meinen wir eine Web-App. Das heißt: „Substanz“ funktioniert auf allen Endgeräten, auf denen ein aktueller Browser läuft. Egal, welche Plattform. Wir werden aber zusätzlich eine native iOS-App machen, weil wir den Apple-Store als Multiplikator nutzen wollen.

Worin unterscheidet sich „Substanz“von anderen Wissenschaftsmagazinen?

georg_dahmGeorg Dahm: Es gibt mehrere Charakteristika von „Substanz“, die neu sind: Zum einen ist es das erste Mal, dass in Deutschland ein bezahltes Qualitätsmagazin rein als Digitalmarke eingeführt wird und nicht auf einem Printprodukt basiert. Darum sind wir völlig frei in der Gestaltung und können jede Geschichte von vorneherein digital denken: Wie können wir Bewegtbild und Infografiken miteinbeziehen? Wie kann sich der Text der jeweiligen Interessenlage des Lesers anpassen? Zum anderen wollen wir deutlich reportagiger und porträtlästiger werden, als es heute im Wissenschaftsjournalimus üblich ist. Wir schicken unsere Autoren in die Institute, in die Forschungseinrichtungen, zu den Wissenschaftlern, damit sie sich intensiv mit der Geschichte und den Protagonisten beschäftigen können.

Wer ist Eure Zielgruppe?

Denis Dilba: „Substanz“ wird ein populärwissenschaftliches Magazin. Der Leser braucht keine Vorkenntnisse, um Spaß daran zu haben. Wir wollen aber auch, dass Wissenschaftler das Magazin lesen und sich dabei nicht unter ihrem Niveau unterhalten fühlen. Das ist ein hoher Anspruch, wir glauben aber, dass wir das können. Wir hoffen, dass Wissenschaftler auch deshalb Spaß an „Substanz“ haben werden, weil sie ihre Lebensrealität in unseren Geschichten widergespiegelt finden.

Was war der Moment, in dem Euch bewusst geworden ist: Es wird Zeit für „Substanz“?

Georg Dahm: Als sie uns den „New Scientist“ zugemacht haben. Das war ein traumatischer Moment.

Denis-DilbaDenis Dilba: Das war wirklich sehr frustrierend. Die Stimmung in der Branche ist generell eher mies; es gibt kaum noch Möglichkeiten zu experimentieren. Für mich war dann klar, dass es so nicht weitergehen kann und man es eigentlich selber machen muss. Kurz darauf bekam ich einen Anruf von Georg, der dieselbe Idee hatte.

Georg Dahm: Für mich kam ja noch dazu, dass ich gerade erst die Redaktionspleite der „Financial Times Deutschland“ miterleben musste, bei der ich 6,5 Jahre gearbeitet hatte. Das war ein extrem schmerzhafter Prozess. Dann bin ich zum „New Scientist“ gewechselt, der kurz darauf auch zugemacht wurde. Nach zwei Tagen Wut und Trauer kamen mir beim Laufen um die Alster die ersten Ideen zu dem, was nun „Substanz“ werden wird.

Zurzeit läuft Eure Crowdfunding-Kampagne auf Startnext, mit der Ihr 30.000 Euro sammeln wollt. Was wird aus dem Geld finanziert?

Georg Dahm: Zunächst finanzieren wir die App-Entwicklung und einen ersten Fundus an Geschichten. Den brauchen wir zum Verkaufsstart, schon damit wir Produktionssicherheit haben. Die Geschichten, die wir vorhaben, sind sehr aufwendig und wir wollen unsere Autoren nach Tagessätzen bezahlen, weil wir glauben, dass das bei einem multimedialen Magazin einfach fairer ist. Außerdem werden wir einen hohen Aufwand mit Fotografie und Illustration betreiben.

Denis Dilba: Mit diesen 30.000 Euro können wir „Substanz“ sozusagen aus der Garage fahren. Das ist unser erstes Ziel: „Substanz“ in der Opulenz zu präsentieren, die wir uns vorstellen. Nach der hoffentlich erfolgreichen Kampagne heißt es dann: testen, testen, testen. Eine unserer obersten Maximen ist: Die App muss technisch einwandfrei funktionieren.

Wie wird es dann nach der Kampagne weitergehen? Wisst Ihr schon, wie das Bezahlmodell konkret aussieht?

Georg Dahm: Man wird Monatsabonnements und einzelne Ausgaben kaufen können. Der Preis richtet sich nach der Anzahl der Beiträge pro Ausgabe. Wir tarieren zurzeit noch aus, wie viele das werden – das bewegt sich auf jeden Fall im einstelligen Bereich; die meisten Abonnements werden ja gekündigt, weil die Leute es einfach nicht schaffen, alles zu lesen.

Wollt Ihr auch einzelne Beiträge verkaufen?

Georg Dahm: Das werden wir uns in Zukunft noch überlegen. Momentan ist aber die einzelne Ausgabe die kleinste Verkaufseinheit, mit der wir planen. Das ist ja auch eine Frage des Programmieraufwands. Wir glauben außerdem, dass der Preis pro Ausgabe so niedrig und attraktiv sein wird, dass der Leser die anderen Geschichten auch gerne mitnimmt. Außerdem wollen wir uns die Möglichkeit offenhalten, auch mal eine Ausgabe monothematisch durchzukomponieren, als Paket aus Film und Text zum Beispiel. Das ist ein bisschen wie bei einer Band, die ihr Konzeptalbum lieber als Ganzes verkauft.

Wie ist Eure Wahl auf Startnext als Plattform gefallen?

Georg Dahm: Wir hatten zuerst internationale Plattformen im Blick, also Indiegogo und Kickstarter. Dann haben wir aber relativ schnell das Gefühl bekommen, dass eine deutsche Plattform besser zu uns passt. Wir machen schließlich ein Medium explizit für den deutschsprachigen Markt – dann müssen wir uns auch auf einer Plattform mit einer deutschen Community bewegen. Daraufhin haben wir uns sowohl Krautreporter als auch Startnext angeschaut. Krautreporter finden wir super, aber die Wahl ist letztendlich auf Startnext gefallen, weil wir uns davon eine stärkere Multiplikatorwirkung versprochen haben. Krautreporter richtet sich eher an ein journalistisch interessiertes Publikum, Startnext ist da weiter gefasst. Und das ist für uns interessant, weil wir ein populärwissenschaftliches Magazin machen und breite Schichten erreichen wollen. Dazu kommt, dass Startnext interessante Partner hat, wie Nordstarter und Sciencestarter. Beide Plattformen haben uns in die Liste ihrer kuratierten Projekte aufgenommen, worüber wir uns sehr gefreut haben.

Denis Dilba: Dass wir die Kampagne auf einer deutschsprachigen Plattform fahren, hatte noch einen weiteren Grund: Crowdfunding ist in Deutschland noch sehr jung und nicht jeder kennt das Konzept. Da wollten wir nicht noch zusätzlich eine sprachliche Hürde aufbauen.

Welche Chancen werden dem Journalismus durch Crowdfunding zukünftig geboten – wenn es den Kinderschuhen entwachsen ist? Und kann es auch ein Modell für große Verlagshäuser sein?

Georg Dahm: Generell ist Crowdfunding auch jetzt schon eine extrem gute Möglichkeit, um neue Ideen auszuprobieren – und zwar vor allem Ideen, an die sich die Verlage bisher eben nicht heran getraut haben. Jede Crowdfunding-Kampagne ist ja immer auch Marktforschung: Wie kommt ein Projekt bei wem an und wer unterstützt es? Was die Nutzung durch große Verlage angeht: Das ist eine sehr schwierige Diskussion, die noch gar nicht richtig geführt wird. Es darf nicht darauf hinauslaufen, dass die Verlage ihre Freien die Recherchekosten per Crowdfunding reinholen lassen. So als heimliche Quersubventionierung. Anders sieht es aus, wenn ein Verlag ein besonders aufwendiges Projekt durch Crowdfunding mitfinanziert, das sonst nicht möglich wäre. Wenn Verlagshäuser so etwas transparent machen, kann das eine sehr interessante Entwicklung sein. Aber wie gesagt: Diese Diskussion bisher kaum geführt.

Denis Dilba: Momentan sehen wir Crowdfunding vor allem als Triebfeder für eine neue Gründungswelle im Journalismus: Kleine, dynamische Einheiten, die wie wir mit Leidenschaft eine ganz spezifische Leserschaft ansprechen.

Georg Dahm: Wir stehen da erst ganz am Anfang. In zehn Jahren wird die deutsche Verlagslandschaft ganz anders aussehen.


http://www.startnext.de/

VOCER hat nicht nur selbst ein alternatives Finanzierungsmodell, sondern schreibt auch über andere Projekte, die unkonventionelle Wege gehen. Jeden Monat stellen wir ein Crowdfunding-Projekt von der Plattform Startnext vor, das wir für fördernswert halten.

Im Februar: „Substanz – das digitale Wissenschaftsmagazin“