„Tageszeitungen sterben, kommen wir drüber weg“
Thomas Knüwer wurde bekannt als Redakteur des „Handelsblatt“, für das er auch das Blog „Indiskretion Ehrensache“ führte. 2009 machte er sich mit der Webberatung KpunktNull selbständig. Im VOCER-Interview spricht der Gründungs-Chefredakteur der deutschen „Wired“ über die mangelnde Innovationsbereitschaft der Öffentlich-Rechtlichen, Paid-Content und stiftungsfinanzierten Journalismus.
VOCER: Herr Knüwer, hat der Journalismus in der Gesellschaft an Bedeutung verloren?
Thomas Knüwer: Die Bedeutung des Journalismus ist höher. Früher war die Welt einfacher einzuordnen, das ist jetzt schwieriger. Der Berufsstand des Journalisten wird weniger geschätzt. Der Journalist neigte immer schon dazu, sich sehr in seinem eigenen Biotop zu bewegen, das ist heute noch viel schlimmer.
Was bedroht den Journalismus?
Den Journalismus bedroht, ehrlich gesagt, gar nichts. Das Berufsbild des festangestellten Journalisten wird durch den digitalen Wandel massiv bedroht. Der Journalismus selbst entwickelt sich hin zur Tätigkeit und nicht mehr zum Beruf. Es gibt Blogs mit einem höheren Niveau als klassische Medien. Im Wirtschaftsbereich sind das zum Beispiel „egghat“ und „weißgarnix“. Wir laufen auf ein Zeitalter der Inhalte zu. Die jetzige Generation ist begeistert von der technischen Entwicklung und will sie weiter voran treiben wie Philipp Riederle („Mein iPhone und ich„) oder Eva Schulz vom „Hurra-Blog„.
Thomas Knüwer
In welchen Bereichen halten Sie journalistische Innovationen für besonders wichtig?
Wenn Journalismus keine Innovationen hervorbringt, stirbt er. Solange unsere Gesellschaft sich weiter entwickelt, muss der Journalismus in allen Bereichen innovativer werden. Das Modell „Zeitung“ ist längt überholt und kann vernachlässigt werden. Am nötigsten hätte das Fernsehen eine paar Innovationen. Die Zuschauer von morgen haben sich das lineare Fernsehen abgewöhnt. Das könnte zum Problem für journalistische Formate werden – andererseits hat „Kony2012“ gezeigt, dass auch non-fiktionale Inhalte die Menschen erreichen können. Wenn ich das deutsche Fernsehen mit dem britischen vergleiche, so sind die Qualitätsunterschiede – egal ob Privatsender oder Öffentlich-Rechtlich – dramatisch. Und dass sowohl im fiktionalen wie non-fiktionalen Bereich.
Die komplette Gattung „Tageszeitung“ hat Ihrer Meinung nach keine Chance mehr?
Tageszeitungen sterben, kommen wir drüber weg. Auf dem Land werden sie vielleicht noch am längsten bleiben, weil viele lokale Themen von den nationalen Medien nicht abgedeckt werden. Die wirtschaftliche Entwicklung zeigt aber einen Rückzug der Unternehmen aus dem Bereich der Printanzeigen. Handelsketten wollen nicht mehr für Zeitungsbeilagen bezahlen, wenn es auch komplett digital geht. Bisher war Anzeigenvertrieb für lokale und regionale Medien eine ganz einfache Sache. Sie konnten warten, bis die fetten Anzeigenkunden wie Lidl oder Media Markt mal wieder eine Beilage orderten. Der Fleischer um die Ecke war nicht so wichtig. Der hat zwar auch Anzeigen geschaltet, wurde aber nie aktiv akquiriert. Jetzt gehen die kleinen Geschäfte lieber zu Groupon. Auch das wird auf lange Sicht die Regionalzeitungen treffen. Dazu kommen natürlich die sinkenden Leserzahlen. Die Frage ist nicht: Wann wird der letzte Leser gehen? Die Frage ist: Wie lange ist die Produktion einer Zeitung noch wirtschaftlich? Tatsächlich sterben Zeitungen in Deutschland schon heute – sie werden nämlich fusioniert.
Ist das die Chance für neue hyperlokale Plattformen?
Neben Frankreich liegen wir in der westlichen Welt am weitesten zurück im digitalen Zeitalter. Mir begegnen aber immer mehr Modelle, die in diese Richtung gehen. „Altona.info„, „Ruhrbarone“ und „Heddesheimblog“ sind nur einige von vielen. Wir stehen da noch ganz am Anfang.
Wenn Sie Verleger einer regionalen Zeitung wären, was würden Sie tun, um nicht Ihrem eigenen Untergang nur zuzusehen?
Schon in den Achtzigern haben die Lokalzeitungen das Lokale vernachlässigt. Auf Seite 1 fand nur die große weite Welt statt. Seit den Anfängen des Internets kaufen die Leser eine Zeitung aber wegen den lokalen Informationen. Je kleiner der Ort, desto überzeugter sind die Bewohner von ihren Veranstaltungen. In diesem Moment sind einfache Videos oder eine Klickstrecke vom Schützenumzug eine sinnvolle Ergänzung der Berichterstattung. Man braucht die Redakteure aber vor Ort, und dann hat man eben noch digital alle Möglichkeiten. Das Konstrukt der Tageszeitung wird das langfristig nicht retten – aber es geht ja darum, die journalistischen Arbeitsplätze zu retten.
Werden Angebote wie „WikiLeaks“ in der Bevölkerung wichtiger als klassische Medienmarken?
Anonyme Marken sind definitiv tot. Eine Marke war noch nie das, was sich das Unternehmen vorstellt, sondern immer das, was sich in den Köpfen der Verbraucher bildet. Die Bindung an eine Marke, die heute nicht mehr kommuniziert, nimmt ab. Womit wir bei Medienmarken wären: Warum haben die meisten bemerkenswert geringe Anhänger-Zahlen bei Facebook? Weil sie nicht in der Lage sind eine sinnvolle Kommunikation über ihre Themen in Gang zu setzen. Die Facebook-Auftritte der meisten Medienmarken sind wirklich schlecht. Hin und wieder wird eine Frage gepostet, aber die Medien müssen die Hilfe und das Wissen ihrer Rezipienten annehmen. Das unterscheidet sie dann von neuen, digitalen Angeboten – die verstehen, wie es geht.
Wo bleibt die Dachmarke, wenn jeder Autor selbst zur Marke wird?
Die Untermarken strahlen immer auf eine Dachmarke ab. Wenn es dann zu einer Trennung kommt, ist das für einen Verlag natürlich unschön. Vielleicht müssen die Verlage aber auch bessere Arbeitgeber werden. Weniger Geld und schlechtere Arbeitsbedingungen sorgen nicht für ein gutes Klima.
Inwieweit beeinflusst die Technik den heutigen Journalismus?
Technik hat den Journalismus schon immer beeinflusst. Das ist überhaupt nichts Neues. Je schneller ein Redaktionssystem wurde, desto später konnte der Andruck erfolgen. Das heißt, der Journalist war in der Lage ein bisschen ruhiger zu arbeiten. Rechtschreibkontrollen haben den Journalismus genauso beeinflusst. Leichtere und billigere Kameras haben den Fernsehjournalismus vereinfacht.
Dadurch wurden die Beiträge schneller produziert und auch qualitativ besser. Datenjournalismus scheint mir doch ein größerer Paradigmenwechsel zu sein.
Früher gab es auch schon Infografiken. Ist das tatsächlich sowas anderes? Die Beschaffung der Zahlen ist allerdings einfacher geworden – und auch die Analyse, so man die Technik beherrscht.
Der Leser ist aber nicht mehr nur auf die Zahlen angewiesen, die der Journalist in seinem Artikel unterbringen konnte. Er kann sich kleinteiligere Informationen aus seiner direkten Umgebung suchen.
Datenjournalismus als Tätigkeit ist sehr spannend, weil es eine Änderung des Denkens zufolge hat. Bisher mussten Journalisten auswählen und in einem beschränkten Raum agieren. Daten können jetzt individualisiert werden. Das ist aber keine Revolution, sondern eine Evolution.
Wie sollten Medien mit nutzergenerierten Inhalten umgehen?
Gute Artikel, Bilder und Videos sollten in die Berichterstattung eingebunden werden. Wenn das nutzergenerierte Material im Vordergrund steht, sollte man auch dafür auch bezahlen. Bei Kommentaren ist das schwieriger. Sie können helfen und interessant sein, aber man braucht ein gutes Community-Management. Wenn es keine Art der Moderation gibt, schaden einige Diskussionen auch oft dem Medium.
Tun denn die Medien genug, um Expertenwissen von außen zu kuratieren?
Die meisten Journalisten bekommen gar nicht mit, was in ihrem Bereich überhaupt passiert. Das ist dann tatsächlich das Erschreckende. Wenn sie dann doch etwas gefunden haben, benehmen sie sich wie die Wildsäue. Als Quelle wird dann angegeben „Internet“. Auch bei öffentlich-rechtlichen Sendern ist oft genug zu lesen „Quelle: YouTube“. In der Zeitung schreibt man doch auch nicht „Wie im Fernsehen zu sehen war“. Das ist schon eine bedenkliche niedrige Medienkompetenz.
Was passiert mit dem öffentlich-rechtlichen Angeboten, wenn sie im Internet keine Rolle spielen und die klassischen Zuschauer und Leser wegsterben?
Die Rechtfertigungsfalle wird kommen. Dem könnten sie ganz schnell entgehen, indem sie die Werbung abschaffen. Die BBC kommt auch ohne Werbung aus. Die neue Fokussierung auf Qualität wird sich für die Gesellschaft rentieren.