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Thomas Hanitzsch: „Neue Chancen“

Dr. Thomas Hanitzsch ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalismus an der LMU. Sein Werdegang begann mit einem Volontariat bei den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ und dem Studium der Journalistik, Arabistik und Indonesistik. Er verfasste zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Journalismus und Kommunikationswissenschaften, beispielsweise das „Handbook of Comparative Communication Research“ gemeinsam mit Frank Esser. Auf VOCER erklärt er, was Social Media für den deutschen Journalismus bedeutet.


VOCER: Finden Sie auch, dass neue Medien zurzeit boomen?

Das ist vermutlich jedem aufgefallen. Die Entwicklung hier in Deutschland ist zwar erst etwas später angekommen, scheint aber jetzt auch rasante Fortschritte zu machen.

Im Vergleich wozu spät angekommen?

Im Vergleich zu Amerika. Die Social Media – gerade auch in der politischen Kommunikation – haben dort viel früher eine wichtige Rolle gespielt.

Was, glauben Sie, begünstigt die Verbreitung neuer Medien?

Das ist relativ klar: die technischen Endgeräte. Die Entwicklung, die es uns derzeitig ermöglicht, auf die Onlineangebote zum Beispiel auf Soziale Netzwerke und anderes jederzeit zugreifen zu können.

Wie bewerten Sie den Einfluss dieses Booms auf die deutsche Gesellschaft, also auf die Öffentlichkeit?

Wie sich der Einfluss bemerkbar macht, sieht man im Alltag: Gewohnheiten der Menschen verändern sich sehr stark, rapide. Man sieht in öffentlichen Verkehrsmitteln, wie Menschen permanent auf ihr Handy starren und Informationen abrufen. Ich meine das durchaus nicht negativ. Es entwickeln sich einfach ganz andere Verhaltensgewohnheiten werden, auch in kommunikativen Hinsichten. Die Art und Weise, wie man heute kommunikativ Beziehungen aufbaut, wie man sie mit Informationen füttert und wie man Beziehungen abbricht. Dabei spielen digitale Technologien eine immer wichtigere Rolle. Das gilt insbesondere auch für die ganz jungen Bevölkerungsgruppen, die mit diesen Technologien als „Digital Natives“ auch ganz anders umgehen.

Wenn Sie das nicht negativ meinen, sagen Sie ja, dass dieser Einfluss positiv zu bewerten ist.

Ich würde niemals eine Aussage genereller Natur machen, also ob der Einfluss eher negativ oder positiv zu bewerten ist, aber ich würde es mal so sagen: Die Technologie bietet uns ganz neue Chancen. Das sehe ich positiv, denn es gibt ja auch viele Leute die sagen, alles wird schlechter und die Welt geht den Bach runter. Die Technik schafft einen völlig neuen kommunikativen Spielraum, ganz neue Möglichkeiten zur Umsetzung von Kommunikationsprozessen. Das gilt für viele Bereiche der öffentlichen Kommunikation – und auch für die nicht-öffentliche Kommunikation. Mit der Erfindung der Rotationspresse wurde eine Chance eröffnet, die in die Entstehung der modernen Massenpresse mündete. Das hat sicherlich viele kommunikative Prozesse und auch die Politik nachhaltig verändert. Das Gleiche erleben wir auch heute. Es gibt sicher auch negative Entwicklungen, aber aus der Geschichte können wir lernen, heutige Entwicklungen als Chance wahrzunehmen und dementsprechend positiv zu nutzen.

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Fallen Ihnen trotzdem Negativbeispiele ein?

Also Negativbeispiele gibt es zu Hauf, zum Beispiel das Cybermobbing oder die erweiterten Möglichkeiten zur Überwachung. Einschränkungen beim Datenschutz sind ein ernsthaftes Problem. Es gibt auch Beispiele für das weitgehend ungefilterte Teilen von Gewaltvideos, in denen etwa Schüler ihre Mitschüler zusammenschlagen. Solche Negativentwicklungen kann man aber schlecht der Technik zurechnen. Es ist die Art und Weise, wie Technologien von Einzelnen genutzt werden.

Wie groß ist der Einfluss neuer Medien auf die journalistische Berichterstattung in Deutschland allgemein?

Böswillig könnte man jetzt unterstellen, dass die Verfügbarkeit von diesen Instrumenten Journalisten vielleicht dazu animiert, weniger intensiv und aktiv zu recherchieren. Dafür finden sich auch einige Hinweise. Andererseits gibt es gleichzeitig auch Hinweise darauf, dass Journalisten vor allem deswegen weniger recherchieren, weil sie weniger Zeit und ökonomische Ressourcen zur Verfügung haben. Es lässt sich nicht immer eindeutig abgrenzen, was genau die Ursache ist – die Technologie oder die ökonomischen Rahmenbedingungen. Ich glaube auch gerade in Bezug auf Journalismus, dass wir jetzt in einer Umbruchphase sind. Es ist einerseits denkbar, dass die neuen Technologien dem Journalismus traditionelle Bereiche der Möglichkeit zur Profitgenerierung entziehen, wenn man sich zum Beispiel die Informationsvermittlung über die sozialen Netzwerke anschaut, die ja dort in zunehmendem Maße auch stattfindet. Aber gleichzeitig schaffen sie auch wieder völlig neue Möglichkeiten für professionelle Journalisten, vielleicht auch eine ganz andere Plattform, um journalistische Inhalte zu verwerten und zu vermarkten.

Könnte man soweit gehen zu behaupten, dass besonders die sozialen Netzwerke die Recherche und Berichterstattung beeinflusst haben?

Journalisten arbeiten im Wesentlichen heute noch genauso wie sie es vielleicht vor 20 Jahren gemacht haben. Vielleicht mit dem Unterschied, dass vieles, was früher über das Telefon abgewickelt wurde oder das die Informationsgenerierung allgemein betrifft, nun häufig durch andere – eben auch soziale Medien oder neue Medien – geschieht. Journalisten vor Ort machen sich diese technologischen Möglichkeiten natürlich auch zunutze, zum Beispiel indem Parteien über Twitter und Facebook bestimmte Statements verbreiten, die Journalisten dann aufgreifen und in ihrer Berichterstattung verarbeiten. Soziale Netzwerke werden mittlerweile sehr zentral für die politische Kommunikation. Und es gibt seit längerem Operatoren, die in sozialen Netzwerken für Unternehmenskampagnen aktiv sind.

In wie weit haben Ihrer Meinung nach die neuen Medien unsere Berichterstattung aus der arabischen Welt beeinflusst -vor allem in Hinblick auf die revolutionären Umbrüche?

Informationsbruchstücke, die im Rahmen der üblichen journalistischen Routinen verarbeitet werden, greifen – gerade zur Zeit des Arabischen Frühlings – heute sehr stark auf nutzergenerierte Inhalte zurück. Westliche Journalisten konnten während der Unruhen oft nicht vor Ort berichten. Da waren die Journalisten und die Heimatredaktionen oft auf zugelieferte und oft über Youtube verbreitete Videomaterialien – meistens von Handykameras – angewiesen, da sie für die Berichterstattung von Nutzen waren. Die klassischen großen deutschen Nachrichtenredaktionen wie zum Beispiel die Tagesschau haben Journalisten damit beschäftigt, die Authentizität dieser Videos zu prüfen und zu schauen, aus welcher Quelle sie stammen und ob die Quelle vertrauenswürdig ist. Das heißt, hier werden nutzergenerierte Inhalte in die klassische Berichterstattung eingearbeitet. Und insofern sind die neuen Medien natürlich auch eine Bereicherung gewesen. Sie bieten neue Möglichkeiten zur Generierung von authentischem Bildmaterial für die Auslandberichterstattung.

Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen der journalistischen Arbeit im Orient und der journalistischen Arbeit hier in Deutschland?

Da gibt es sehr viele Unterschiede. Im arabischen Raum haben wir es mit einer Informationsumgebung zu tun, die sehr stark eingeschränkt ist. Es gibt eine umfangreiche Pressezensur. Journalisten können nicht erwarten, dass die Behörden auf alle Anfragen entsprechend Auskunft geben. Die Informationspflicht staatlicher Institutionen ist nicht gewährleistet. Auch in Israel unterliegen Journalisten der Militärzensur. Und natürlich ist es in Krisenregionen für Journalisten auch gefährlich und sie müssen auf ihre Sicherheit achten. Außerdem gibt es substanziell unterschiedliche Journalismuskulturen in Deutschland und in den arabischen Ländern. Wo deutsche Journalisten eher die Tendenz entwickeln, distanziert, neutral und objektiv zu berichten, haben Journalisten in arabischen Ländern überhaupt kein Problem damit, Stellung zu beziehen, zu intervenieren und zum Wandel der Gesellschaft beizutragen. Das heißt, es gehört demnach auch zur Professionalität der Journalisten, dass sie zeigen, wo sie politisch stehen und wie sich das politische Geschehen einordnen lässt.