Torial: Feldforschung im Journalismus
Seit drei Jahren springe ich wie ein schusseliger Professor mit meinem Fangnetz durch die Biotope des deutschen Journalismus und fange seltene und gewöhnliche Exemplare von Journalisten. Dann starre ich durch mein Mikroskop auf ihre Zusammensetzung. Mit einem besonderen Interesse für ihren Verdauungsapparat, denn man will ja wissen, wie sie sich ernähren.
Ihre Fortpflanzung interessiert mich weniger, die scheint einstweilen zu funktionieren. Immer noch wollen viele junge Menschen Journalisten werden. Trotz Krise und vor allem trotz Anbetung der Krise scheint der Beruf nichts von seiner Anziehungskraft verloren zu haben. Die untersuchten Aufzuchtstationen (DJS, Axel Springer Akademie, Macromedia u.v.m.) sind voll von schillernden, lebhaften Exemplaren, denen viele der Neuerungen selbstverständlich sind und die dementsprechend ganz unbeschwert losflattern.
Auch sehr interessant: Schwarmverhalten (Freischreiber, DJV und Weltreporter), Wanderrouten und ökologische Nischen (v. a. die sogenannten Blogs), Rudelbildung (Krautreporter) und sehr interessante Einzelexemplare – Alphatierchen (Hallo, Dirk, Alex, Richard!) und Königinnen (Hallo, Caro! Hallo, Kixka!).
Schon vor Beginn des Forschungsprogramms war klar, dass sich der Lebensraum dieser Spezies spektakulär verändert hat und sich immer weiter verändert. In der Studie hat sich gezeigt, dass bei Weitem nicht alle Veränderungen nachteilig sind. Aber sie sind extrem umfassend und schnell und der Selektionsdruck ist von daher enorm hoch. Damit wird die Mutationsfähigkeit zur zentralen Größe. Das gilt gleichermaßen für Individuen und soziale Zusammenschlüsse.
Interessanterweise wird eine lineare Forschung immer wieder gestört durch die öffentlich-rechtliche Biosphäre. Wenn auch die Diversität in dieser Sphäre häufig erfreulich ist und unabhängig davon, dass ihre Existenz notwendig sein mag, so ist doch offensichtlich, dass die Abschirmung gegen die schädlichen Umwelteinflüsse und die unnatürliche Fütterung insofern Degenerationsprozesse fördern, dass es zur aktiven Verweigerung offensichtlich notwendiger Mutation kommt. Besonders in einer derart umfangreichen Metamorphose ist es schwierig, ein wissenschaftliches Spektrum richtig zu beurteilen, in dem so völlig verschiedene Grundvoraussetzungen gelten.
Jetzt mal im Ernst!
Geforscht haben wir, weil wir torial gebaut haben. torial ist das kostenlose Portfolio-Netzwerk für Journalisten. Bei torial zeigen Journalisten Kompetenz und sie finden Kompetenz. Mit wenig Aufwand wird die eigene Expertise in den richtigen Kontext gestellt. In der Folge finden Journalisten hier Inspiration, behalten ihre Themen im Auge und finden sich zu ganz konkreten Kooperationen zusammen. Wer hat den richtigen Kontakt für mich? Wer hat relevantes Footage?
Nicht unerheblicher Nebeneffekt: torial schafft auch die entscheidende Präsenz in Richtung der Kunden. Verleger und Redakteure finden hier die Experten, die sie aktuell brauchen. torial ist noch nicht groß, aber es dient bereits 2.500 JournalistInnen als effizienter Webauftritt und immer öfter berichten sie uns von kleinen und größeren Hilfestellungen, die sie bei torial gefunden haben, aber auch vermehrt von Kundenanfragen.
Sie sind Journalist und nicht bei torial? Versteh ich nicht! Es ist nämlich auch noch kostenfrei und gemeinnützig und extrem einfach und schnell zu handhaben. Jedenfalls, um so etwas zu bauen, mussten wir die Lage der Journalisten und des Journalismus verstehen. Und von den subjektiven Ergebnissen dieses Verständnisprozesses handelt dieser Text.
„… den Journalisten geht’s wohl zu gut!?“
Die deutsche Journalistin und den deutschen Journalisten gibt es nicht. Es ist die vermutlich am wenigsten homogene Zielgruppe, die man sich aussuchen kann. Gemeinsam haben sie eine gewisse Form von Eitelkeit, neugierig sind sie auch und deshalb sind sie wahrscheinlich auch meistens schlau.
Wir haben sehr schnell aufgehört damit, Journalisten zu fragen, was sie sich von torial wünschen: Es ist eh immer irgendetwas zwischen Perpetuum mobile und Skynet. Unsere „Icebox“ (digitale Sammelstelle für sinnvolle Ideen zur Weiterentwicklung der Software) ist sozusagen ein Kühlhaus.
„Geht’s denen zu gut?“, fragt Konrad Schwingenstein, unser Initiator und Investor, als ich ihm erkläre, wie schwer es ist, Journalisten ein wertvolles Geschenk (torial) zu machen. Aber erstens sind sie misstrauisch, die Journalisten, was ja gewissermaßen eine journalistische Tugend ist. Zweitens ist es natürlich nicht so einfach, aus der Masse der digitalen Heilsbringer herauszutreten. Und drittens wollen Journalisten sehr viel lieber erklären, wie etwas sich verhält, als Ratschläge zu bekommen. Das erzeugt gerne mal eine etwas „destruktive“ Haltung. Ursprünglich stand hier etwas von „Besserwissern“ und dem „geliebten Haar in der Suppe“ – aber die Kritik fand das zu beleidigt.
Dass es Journalisten nicht zu gut geht, ist klar. Der offensichtliche Druck auf die Branche und das Verständnis für die enorme Relevanz von freiem, hintergründigem und vielseitigem Journalismus für unseren Weg in eine digital geprägte Demokratie haben Schwingenstein ja gerade bewogen zu investieren. Sein Großvater war einer der SZ-Gründer, daher stammt das Geld und auch Schwingensteins Wunsch, etwas zurückzugeben.
… wirklich alles neu?
Weil sich so viel in so kurzer Zeit geändert hat, ist der Branchen-Diskurs ein wenig in eine Falle gelaufen. Man spricht nur noch und andauernd über Veränderung. Ein Perspektivwechsel ist hier recht erfrischend. Also, was ist eigentlich gleich geblieben? Dazu fallen mir vor allem zwei Dinge ein:
- Ich als Medienkonsument will von einem einzelnen Journalisten genau das Gleiche wie vor 30 Jahren. Ich will, dass er unabhängig, neugierig, unbestechlich, genau und umfangreich interessiert ist. Und ich will, dass er alle diese Eigenschaften nutzt, um mir gute Storys zu erzählen und mich nah an der Realität zu informieren. Wegen mir muss er dafür weder Programmierer sein, noch jeden digitalen Hype abreiten. Ich will auch nicht unbedingt an einem Prozess teilnehmen oder sonstwie eingebunden werden. Schließlich muss ich auch mein eigenes Hamsterrad bedienen. Klar – komm mir keiner mit Papier, Abos oder irgendwelchem monomedialen, schülerzeitungshaften Informationsdesign! Aber …
- … der Rohstoff für Journalismus ist derselbe geblieben. Vielleicht ist das Geschäft mit News tot, das mit Information ist es sicher nicht. Die informationelle Flut steigt und damit auch der Bedarf an Einordnung, Recherche und Reflexion. Die Produzenten und Verarbeiter dieses Rohstoffs sind Journalisten. Wir brauchen und wollen ihr Produkt.
Aber wo genau tut es eigentlich weh?
Wenn also der Rohstoff noch da ist, die Kunden noch da sind und die Produzenten auch, wo hakt es? Logisch, im Vertrieb. Bis jetzt haben Verlage aus vielen journalistischen Expertisen und Erzeugnissen (von Freien und Angestellten) ein Produkt gebaut, das der Werbung als Transportmittel diente. Dieses Konstrukt konnte so gut vermarktet werden, dass alle Beteiligten angemessen dafür bezahlt wurden und dabei weder Russlandbeilagen noch Videos verkauft werden mussten.
Und das ist es, was nicht mehr funktioniert. Es gibt keine Alternative, die es den Verlagen ermöglicht, in ähnlichem Umfang wie früher Journalisten angemessen zu bezahlen. Da sitzt der Schmerz. Und er sitzt fest und der Patient mag sich nicht so recht an seiner eigenen Heilung beteiligen. Er schluckt seine Tabletten nicht.
Der eingangs beschriebene Selektions- und Mutationsdruck wirkt also nicht so sehr auf den einzelnen journalistisch Kreativen, er ist eigentlich ein Verlagsproblem. Wir brauchen nicht etwa sich ständig neu erfindende Journalisten, sondern neue Vertriebsstrukturen. Und dafür brauchen wir die Verlage oder eben neue Verlage, neue Unternehmungen.
Ich glaube nicht daran, dass in Zukunft eine Armee von erfolgreichen Einzelunternehmern uns zufriedenstellend mit Tausenden von Einzelprodukten versorgen wird. Die digitale Welt bietet diese Möglichkeit zwar für Einzelne und das ist auch eine echte und wichtige Bereicherung. Aber ein guter Journalist ist nicht zwangsläufig ein geschickter Selbstdarsteller und nicht unbedingt ein guter Unternehmer. Manche sind auch irgendwie Künstler und brauchen für ihre Arbeit Ruhe und Sicherheit. Sie brauchen neue kollektive Strukturen, die ihnen das geben können.
Die armen Verlage!
Bevor mir das nachher einer ans Knie nagelt – na klar, der einzelne Journalist kann sich nicht einfach herausnehmen aus der Entwicklung. Wer aus verständlicher Angst, nachvollziehbarer Überforderung und schon fast zwangsläufigem Frust eine totale Verweigerungshaltung einnimmt, wer nicht mal bereit ist, das Neue anzusehen und zumindest auf Brauchbarkeit zu prüfen, wer weiter den Einzelkampf predigt, obwohl rechts und links von ihm die Gleichgesinnten dahingerafft werden, dessen Aktien möchte ich dann lieber doch nicht kaufen.
Gerade aus den Verlagen aber kommt ein Sperrfeuer guter Ratschläge, was Journalisten alles können sollten und was sie alles für tolle Möglichkeiten haben. Nein, natürlich, eierlegende Wollmilchschweine will man nicht, aber Infografik, Programmieren, alle Medien, alle Technik und unternehmerischer Spirit dürfen es schon sein. Selber schaffen sie es aber nicht mal, trotz eigenem, höchstdringendem Bedarf ein formatübergreifendes, abofreies, zeitgeistfähiges Bezahlmodel aufzusetzen. Ich sehe hier schon die Tendenz, den eigenen Innovationsdruck auf die Journalisten abzuleiten. Scheinbar ist noch genug Geld da, dass man sich das erlauben kann.
Es ist aber auch schwer für die Verlage. Nicht nur, dass das Geld zu knapp wird, um große, universelle Redaktionen zu unterhalten. Ganz langsam wird es auch immer schwieriger, mit einem betonierten Stuhlkreis ein spannendes und zeitgemäßes journalistisches Produkt zu erstellen. Das Internet passt nämlich nicht so recht zu den Verlagsstrukturen. Das Internet ist horizontal, durchgängig, flexibel, transparent und überall und bietet damit Möglichkeiten für den Journalismus, die nur schwer zu integrieren sind in die vertikalen, hierarchischen Strukturen im klassischen deutschen Elfenbeinturm. Dort muss man letztlich die eigene DNA infrage stellen, um tatsächlich reformfähig zu sein. Es wird sehr spannend sein zu beobachten, wem das als erstes und wem es überhaupt gelingt. Darauf warten kann man nicht.
Kooperation jetzt!
Es gibt ja auch viele, die nicht warten, und es gibt viele relevante Versuche. Und auf die Frage nach der Zukunft des Journalismus wird es eben auch sehr wahrscheinlich viele Antworten geben. Die Supermilchkuh „Print-Werbung“ ist nicht nur tot, sondern es ist auch unwahrscheinlich, dass so ein homogener, permanenter Kapitalstrahl überhaupt wieder entsteht.
Mein Blick in die Glaskugel sieht so aus: Journalismus wird so sein wie das Netz: horizontal, durchgängig, flexibel, transparent und überall. Und das bedeutet auch, dass er kooperativ sein wird. Und dass Journalisten mit denen netzwerken, die sie brauchen, und nicht nur mit denen, die sie kennen, damit sie bei maximaler Effizienz die bestmögliche Arbeit machen können. Und dass Publizisten schnell und spontan die aktuell gebrauchte Expertise finden, um ihr Format zu füllen. Dafür ist es grundsätzlich wichtig, dass Journalisten sich und ihre Erfahrungen im Netz leicht auffindbar machen. By the way: Hab ich schon von torial erzählt?
Weihnachtsmann
Wenn ich mir jetzt noch was wünschen darf: Die digitale Welt sollte für den Journalismus nicht die totale Kapitalisierung bedeuten. Journalismus kann keine Ware werden wie jede andere. Journalismus ist keine Option. Also her mit den Zuschüssen! Journalismus ist selbst seine Maxime und nicht sein „Return on Investment“. Wenn er nur noch wert ist, was der Endkonsument dafür bezahlen will, dann ist das ganz schlicht demokratiegefährdend.
Ich glaube, wir brauchen auch in Zukunft starke Marken im Journalismus. Marken, die einen wichtigen Teil ihrer Wertschöpfung aus Zuverlässigkeit und Qualitätssicherung ziehen. Marken, auf die ich mich verlassen kann. Ich wünsche mir, dass die Unternehmer im kommenden Journalismus verstehen, dass es auch die Idealisten, Künstler und Nischen-Nerds braucht. Nicht nur Blockbuster, sondern auch „Panorama“.
Es geht nicht darum, den „alten“ Journalismus wiederherzustellen oder zu erhalten. Mit dem Netz kann Journalismus viel besser und wirkungsvoller werden als je zuvor.