Trending Topic Terror
Kombinationsbesprechungen bergen immer die Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Denn nur weil zwei Früchte der Wissenschaft eher zufällig das gleiche akademische Etikett tragen, heißt das noch lange nicht, dass sich unter der Schale auch der gleiche Inhalt befindet. Das Etikett, um das es in vorliegendem Fall geht, ist die Berichterstattung über Terrorismus in den Medien.
Terrorismus, das muss der Rezensent vorweg schicken, ist in den Sozialwissenschaften, vor allem in der Medien- und Kommunikationswissenschaft, seit dem 11. September 2001 zu einer regelrechten Trending Topic geworden: Bergeweise wurden empirische und theoretische Abhandlungen veröffentlicht, die sich mit der medialen Darstellung und Inszenierung terroristischer Gewaltakte befassen. Auch die beiden vorliegenden Bücher wählen einen Gegenstand, der in vielfältiger Weise empirisch, theoretisch, aber auch medienhistorisch durchdrungen wurde (etwa hier, hier, da und dort).
Beide 2011 erschienenen Bände sind sich auffallend ähnlich – in Themenwahl, Konzeption und auch der methodischen Vorgehensweise: Sie basieren auf Empirie gesättigten Studien, die jeweils mit materialreichen Analysen unterfüttert werden. Dem umfangreicheren Band, „Terror in der Medienberichterstattung“ von Bernadette Linder, liegt eine Dissertation zugrunde, die 2010 am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck eingereicht wurde. Der schmalere Band „Terrorismus im Fernsehen“ der Forschergruppe Jürgen Gerhards, Mike S. Schäfer, Ishtar Al-Jabiri und Juliane Seifert von der Freien Universität Berlin entstand im Rahmen des DFG-geförderten Exzellenzclusters „Languages of Emotion“.
Während Linder eine quantitativ-qualitative Inhaltsanalyse (nebst ergänzenden Mail-Interviews mit einer Handvoll Korrespondenten) gewählt hat, um die Berichterstattung über Terrorismus der Nachrichtensender Al-Jazeera English, CNN International und BBC World zu untersuchen, analysieren Gerhards et al. mittels eines ähnlichen inhaltsanalytischen Vorgehens ebenfalls CNN und BBC, außerdem den arabischen Dienst von Al Jazeera sowie ARD und RTL.
Kulturell-politische Lesarten des Terrorismus
Eine weitere verblüffende Gemeinsamkeit ist neben der Umsetzung und der Wahl der untersuchten Medien die Fokussierung der Fragestellung: Es werden quotenstarke TV-Sender aus verschiedenen Weltregionen untersucht, um deren kulturell-politischen Lesarten des Terrorismus zu entschlüsseln, also verbalen und visuellen Merkmalen in ihren quantitativen und qualitativen Ausprägungen auf den Grund zu gehen. In beiden Bänden geht es um (senderspezifische) „Besonderheiten massenmedialer Terrorismuskonstruktionen“ (Gerhards et al.: 218) im Fernsehen.
Das Augenmerk liegt im Nachweis möglicher Konfliktlinien unterschiedlicher Kulturkreise, die sich in den massenmedialen Darstellungen wiederspiegeln sowie daraus resultierenden Implikationen für die jeweiligen Medienbetriebe. Diese „Besonderheiten“ werden in beiden Untersuchungen mit einer erfreulichen Akribie herausgearbeitet – bei Gerhards und Kollegen aus einer soziologischen, bei Linder aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive. Bei ihr findet sich zudem eine fundierte Auseinandersetzung und theoretische Anbindung an die Diskussion über eine vermeintliche Symbiose von Medien und Terrorismus.
Beide Bücher fördern – trotz des annähernd gleichen Gegenstands und der Methode – teils unterschiedliche Erkenntnisse zutage, die an manchen Stellen diskussionswürdig sind. Vor allem Gerhards et al. tun sich sichtlich schwer, die Ergebnisse ihrer komparativen Inhaltsanalyse der Terroranschläge in verschiedenen Großstädten Europas und des arabischen Raums (Madrid 2004, London, Scharm El Scheich, Amman, alle 2005) an den Leser zu bringen.
Das mag an manchen Textstellen sprachlich-stilistische Gründe haben, ist aber insgesamt eher forschungspragmatischer Natur: Kämpft sich der Leser durch die Analyse der beeindruckenden Zahl von 774 ausgewerteten Nachrichtenbeiträgen bis zum Resümee von nicht einmal 20 Seiten vor, erfährt er, dass die untersuchten Sender trotz unterschiedlicher Verbreitungsgebiete keine länder- oder kulturspezifischen Merkmale aufweisen, sich also weitgehend ähnlich in ihrer Berichterstattung über Terrorismus sind – ob in den Sendungsformaten, den ausgewählten Inhalten und ihren Interpretationen oder bei den dargestellten Emotionen.
Das mag kaum überraschen, stützen sich die untersuchten Nachrichten doch auf ein inzwischen gängiges angloamerikanisches Präsentationskonzept, das weltweit – auch bei Al Jazeera in Katar – umgesetzt wird, zumal dort überwiegend Redakteure des ehemaligen arabischen Dienstes der BBC World zu den Redaktionsmitgliedern der ersten Stunde zählten und Sender wie CNN, ABC, Fox und das ZDF nach wie vor zu den ständigen Kooperationspartnern für den Bild- und Nachrichtenaustausch gehören (vgl. Hafez 2008).
Die Angleichung und Standardisierung von TV-Formaten – zumindest angebotsseitig und ungeachtet sprachlicher und kultureller Differenzen – gehört damit zum Grundverständnis der Konvergenz von Nachrichtenformaten unter dem Eindruck der Globalisierung und Amerikanisierung der Nachrichten. Auch sind Erkenntnisse wie solche, „dass alle Sender in ähnlicher Weise ihrer Chronistenpflicht nachkommen“ (S. 224), Terrorismus „unisono als illegitim dargestellt“ wird (225), und dass „die Verurteilung der Taten auch die negative Bewertung der Täter“ (225) mit einschließt, nicht wirklich bahnbrechend. Sie würden bei Medienpraktikern allenfalls Stirnrunzeln hervorrufen.
Kein „Sprachrohr des Terrorismus“
Linder hingegen kommt in ihrer Analyse der Berichterstattung über Terrorismus im Untersuchungszeitraum von sechs Monaten (Februar bis Juli 2009) zu einer theoretisch etwas anschlussfähigeren Erkenntnis: Die Autorin stellt fest, dass Al Jazeera English durchaus anders, nämlich häufiger, regionalisierter und opferzentrierter über Terroranschläge berichtet, dabei aber nicht weniger sachlich und objektiv als CNN und BBC. Diese quantitativen und qualitativen Differenzen in der Terrorismusberichterstattung sind zwar nicht gravierend, aber insofern bemerkenswert, als dass Al Jazeera somit „keineswegs eine Sonderrolle“ (S. 333) einnimmt und der dem Sender häufig gemachte Vorwurf, ein „Sprachrohr des Terrorismus“ zu sein, zumindest für den englischen Ableger guten Gewissens empirisch verworfen werden kann. Am Ende zeigt sich aber auch Linder überrascht, „dass sich die drei Nachrichtensender nicht erheblich in ihrer journalistischen Qualität unterscheiden“. (ebd.)
Beide Studien liefern insgesamt verdienstvolle Datensätze, die nun erstmals in einer komparativen Systematik lückenlos verfügbar sind. Gefragt nach den damit verbundenen Konsequenzen für die mit Krisen und Terrorismus befasste Berufspraxis, erschließt sich der Erkenntnisgewinn allerdings nur im Detail. Aufschlussreicher wäre für einen soziologischen, aber auch für einen politikwissenschaftlichen Zugang gewesen, sich der Wirkmacht terroristischer Gewaltakte, deren Medieninszenierungen und den damit verbundenen Gefahren für die globalisierte Mediengesellschaft beziehungsweise die handelnde Politik zu widmen. Ein normativer Ansatz mit einer starken These wäre da sicher hilfreich gewesen. Auch wenn in beiden Studien an manchen Stellen die intellektuelle Verschränkung mit dem makrotheoretischen Gesamtbild gesucht wird, bleiben sie im Kern auf argumentative Verschlingungen vieler Einzelinterpretationen beschränkt.
Es fehlt diesen breit angelegten Untersuchungen insgesamt an einer holistischen Herangehensweise, die den Entstehungs- und Verwertungsgedanken des medial inszenierten Terrorismus im Fernsehen auf intelligente Weise zueinander in Beziehung setzt.