Illustration: Christiane Strauss

Das Ende des Zweiten Weltkriegs lag vier Jahre zurück, als die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim im Atelier des Bildhauers Marino Marini das Werk „Angelo della Città“ erwarb: die in allen Gliedern gestreckte Bronze-Skulptur eines Pferdes inklusive Reiter; der Gaul giert mit dem Kopf soweit nach vorn als möglich, der Mann auf seinem Rücken hat den Kopf in den Nacken überdehnt, die Arme hat er weit aufgerissen – Glück oder Erwartung, man weiß es nicht. Zwischen seinen Beinen ragt jedenfalls sein erigiertes Glied dezent in die Höh‘.

Mittlerweile ist der Phallus fest mit dem Herrn verschweißt, doch gegossen wurde die Statue von Marini, wohl auf Geheiß der Sammlerin, in Einzelteilen zum An- und Abschrauben – was einige Betrachter angeblich dazu motivierte, sich des Gemächts zu bemächtigen. Auch Guggenheim selbst hatte ein entspanntes Verhältnis zur symbolischen Kastration: Sie habe den Penis, so berichten es ihre Memoiren, an allen Feiertagen abgenommen, um die vorbeifahrenden Nonnen nicht zu irritieren. Der „Engel der Stadt“ nämlich steht im Garten ihres Museums im Venedig, mit Blick und eben gerecktem Phallus in Richtung Canal Grande. Heute, da man den Penis nicht mehr abnehmen kann, gehört er zu Venedigs beliebtesten „Ich und…“-Foto-Motiven der Touristen – und bewegt sich virtuell also umso schneller und vervielfältigter als zu seinen losen Zeiten durch die ganze Welt.

Als mobiler Signifikant hat der Phallus im digitalen Zeitalter nicht ausgedient, im Gegenteil. Die neuen Medien machen’s tatsächlich möglich, dass er fröhlicher auf Reisen geht denn je. Gerade in beruflichen Zusammenhängen scheint ein erigiertes Glied zu einem der beliebtesten E-Mail-Anhänge zu avancieren. Zumindest wenn man der US-Bloggerin Jenny Lawson, der „Bloggess„, glaubt, die gerade ihr erstes gedrucktes Buch veröffentlicht hat. Mehrere Jahre hat Lawson in einer Personalabteilung gearbeitet, und wie alle Merkwürdigkeiten aus ihrem Leben steht natürlich auch diese Erfahrung in „Das ist nicht wahr, oder?“. Das entsprechende Kapitel heißt „Düstere und erschreckende Geheimnisse der Personalabteilung, die niemand wissen darf“ und enthält angeblich Auszüge aus ihrem Tagebuch aus der damaligen Zeit. Darunter einen, der so beginnt:

Heute musste ich mit einem Angestellten sprechen, der einer Kollegin in seiner Abteilung ein Foto seines Penis gemailt hatte. Ich wusste, dass es sich um seinen Penis handelte, weil in der Betreffzeile „Das ist mein Penis“ stand. Außerdem steckte ein Namensschild deutlich sichtbar in seinem Gürtel. Ich übte in meinem Büro, bis ich „Ist das Ihr Penis?“ ohne Kichern sagen konnte, dann ließ ich ihn und seinen Fortgesetzten kommen.

Lawsonsche Ehrensache, dass das Gespräch völlig anders verläuft, als der Leser nach diesem Intro denken mag.

Bemerkenswert ist vor allem, dass die Autorin außerdem berichtet, wie erstaunt Kollegen gewesen seien, dass Lawson während ihrer Zeit als Personalerin (die so lang ja auch nicht dauerte) diese Frage nur fünf Mal stellen musste. Auch in Deutschland begegnet man dem Phänomen gefühlt immer öfter, man denke etwa an die Hochspringerin Ariane Friedrich, die ein solches Bild eines vermeintlichen besten Stücks per Facebook zugesandt kam, oder an jenen Frankfurter FDP-Politiker, der vor kurzem selbst als Inhaber wie Absender des Penis‘ fungierte. In dem Medium, in dem sich vielleicht wie in keinem zweiten berufliche und private Kommunikation überschneiden – wohl nichts ist so vorformatiert und zugleich so intim, so öffentlich und zugleich so geheim wie eine E-Mail -, scheint sich gerade der Penis besonders wohlzufühlen. Dass er stets als Anhang verschickt wird, nennt sein merkwürdiges Objektdasein schön beim Namen: Man muss ihn anfassen -beziehungsweise: doppelklicken -, damit er sich in seiner vollen Pracht zeigt; ob man sich damit dann aber einen schönen Anblick oder doch nur einen Virus einfängt, weiß man vorher nie.

Mithin kennen heutige Personalabteilungsmitarbeiter dank des Digitalen nicht mehr nur die berufliche, sondern auch die körperliche Ausstattung ihrer Kollegen. Vermutlich und hoffentlich den wenigsten dürfte es jedoch so ergangen sein wie Jenny Lawson, die einmal sogar die Fortsetzungsfrage stellen durfte:

„Sind das Ihre Penisse?“ Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Frage einmal stellen müsste, weil ich niemanden kenne, der mehr als einen Penis hat, aber in diesem Fall handelte es sich um zwei Männer, die während der Arbeit ein Gemeinschaftsfoto ihrer Penisse gemacht hatten.

Was die beiden Herren darauf geantwortet haben? Nun, der eine nickt nur stumm. Der andere aber sah sich zu einer genaueren Erörterung der Sachlage genötigt:

„Nur der“, sagte er. Ich dankte ihm für die Klarstellung, weil mir nicht einfiel, was ich sonst hätte sagen sollen. Sein Freund sah ihn entgeistert an, aber er hat daraus wahrscheinlich gelernt, genauer auf die Leute zu achten, mit denen sein Penis Bilder macht.