Über Tücken und Chancen des Crowdfunding
Ist Crowdfunding ein dritter Weg für Kunst und Kultur in Zeiten der Digitalisierung? Ich habe Ende Oktober ein Crowdfunding-Experiment gestartet, das in dieser Woche endet – sehr erfolgreich. Mit „Eine neue Version ist verfügbar“ wollte ich 5.000 Euro erreichen. Wenige Tage vor Abschluss steht das Projekt bei über 10.000 Euro. Deshalb erlaube ich mir, ein paar Schlüsse aus diesem Experiment zu ziehen:
1. Nur wer weiß, was er will, kann andere davon überzeugen
Wer in Erwägung zieht, die Finanzierungsmethode des Crowdfunding auszuprobieren, muss vor allem erklären können, worum es ihm geht. Ein Buch zu schreiben oder einen Film zu drehen, ist an sich noch kein Ziel, das außerhalb der eigenen Familie für Interesse sorgt. Vermutlich wird man aber mehr Menschen überzeugen müssen, Geld für das Projekt zu geben. Das gelingt dann besonders gut, wenn man erstens weiß, was man will, und zweitens versteht, wen man erreichen will: Wer interessiert sich für diese Form der Kunst? Wo befindet sich dieses Publikum, und wie erreiche ich es?
Das klingt banal, viele Projekt scheitern aber schon hier. Und auch die erfolgreichen tun sich manchmal eher schwer damit, Antworten auf diese Fragen zu finden.
2. Crowdfunding handelt in erster Linie von der Crowd
Ein gar nicht falscher Vorwurf gegen das Crowdfunding besagt, dass diese Finanzierungsmethode eine gewisse Markttauglichkeit von Kunst und Kultur fördert. Allerdings muss es sich dabei nicht zwingend um einen Mainstream-Markt handeln. Der Begriff der „Crowd“ beschreibt bei dieser Finanzierungsmethode eine engumgrenzte Community, die Begeisterung für ein Projekt entfacht und so auch Ideen finanzieren kann, die im Mainstream-Markt vermutlich keine Chance hätten. Das gelingt allerdings nur dann, wenn die Crowd sich auch in dem Projekt wiederfindet. Das bezieht sich nicht nur auf dessen Inhalt, sondern auch ganz wörtlich auf die Anschluss-Fähigkeit des Projekts – zum Beispiel über Facebook-Aktivitäten oder Twitter-Dialog. Im Interview, das ich für die Dokumentation meines Buches mit Tino Kreßner von Startnext geführt habe, beschreibt er Crowdfunding als „Social-Media-Instrument zur Finanzierung von Projekten“.
3. Social Media ist mehr als Twitter und Facebook
Einen Account auf bekannten Plattformen anzulegen, kann helfen, reicht aber nicht aus. Denn Social Media heißt in diesem Kontext vor allem: Über das eigenen Projekt auf unterschiedlichen Kanälen reden. Sicher auch auf Twitter und Facebook, aber die Frage des Kanals ist gar nicht entscheidet. Wichtiger ist: Will man so viel über das Projekt reden und sich ständig aufs Neue begründen und erklären? Und vor allem: Kann man Menschen derart von dem Projekt überzeugen, dass sie ihre Teilnahme als Gewinn für sich selber und nicht nur als Unterstützung verstehen?
Im Laufe meines Projekts habe ich festgestellt: Die Gruppe der Unterstützer, die auf Startnext öffentlich einsehbar ist, war ein mindestens ebenso wichtiger Faktor für Menschen, sich dem Projekt anzuschließen wie das Projekt selber. So wie man sich für einen Konzertbesuch entschließt, weil man die anderen Menschen sympathisch findet, die hingehen – auch wenn man die Band nicht kennt.
4. Crowdfunding ist kein Betteln
Wer ein Produkt über Startnext kauft, muss dieses als „Dankeschön“ auswählen. Das klingt etwas ungelenk und zeigt auf, dass wir noch keine passenden Worte haben, um diese Art der Finanzierung über Crowdfunding zu verstehen. Ich glaube, dass „Dankeschön“ einer ähnlichen Welt entspringt, wie „Unterstützer“ oder der Vorwurf, eine Projektstarter auf einer Crowdfunding-Plattform würde betteln. So lange diese unklare Begrifflichkeit im Raum steht, wird eine Perspektive auf diese Form der Kulturfinanzierung versperrt bleiben, die ich gerne wählen würden: Beim Crowdfunding kaufen Menschen ein Buch, einen Song oder einen Film – allerdings bevor dieses Endprodukt erstellt wurde. Insofern investieren sie auch in den Autoren, Musiker und Filmemacher, aber sie unterstützen ihn in Wahrheit genau wie jemand, der ein fertiges Buch kauft oder einen fertigen Song herunterlädt.
5. Crowdfunding macht Arbeit und schafft Arbeit
Es würde mich freuen, wenn mehr Menschen die Möglichkeiten des Crowdfunding austesten würden. Projekte wie „Kraut-Reporter“ stimmen mich optimistisch. Allerdings darf die aktuelle Begeisterung für das Thema nicht darüber hinwegtäuschen: Crowdfunding ist keine einfache Form der Finanzierung. Es steckt wahnsinnig viel Arbeit darin, ein gutes Pitch-Video zu drehen, Aufmerksamkeit auf ein Projekt zu lenken und dieses kontinuierlich zu betreuen. Hinzu kommen all die rechtlichen und organisatorischen Fragen, die man klären muss, wenn man sich dafür entscheidet, im direkten Austausch mit dem Publikum ein Projekt zu finanzieren. All diese Arbeit, die im Crowdfunding steckt, spricht meiner Einschätzung nach aber nicht gegen diese Form der Finazierung. Ich denke im Gegenteil, dass sich in naher Zukunft Partner und Dienstleister herausbilden werden, die die Kreativen dabei unterstützen – man könnte sie Verlage nennen.
6. Crowdfunding ist Ergänzung, kein Ersatz für klassische Modelle
Niemand, der die aktuellen Entwicklungen realistisch einschätzt, glaubt, dass Crowdfunding die klassischen Finanzierungswege auf absehbare Zeit ersetzen wird. Gleichzeitig glaubt aber auch niemand, dass die klassischen Modelle unbeeinflusst blieben vom Crowdfunding. Vielleicht geht es langsamer als gedacht, vielleicht wird zunächst weniger Geld bewegt als erwartet, aber die Entwicklung weist eher in Richtung mehr Crowdfunding als weniger. Ich glaube, dass dies an dem liegt, was ich als den Kern digitaler Kommunikation beschreiben würde: eine neue Definition des Kreativen zu seinem Publikum. Crowdfunding kann dabei sehr helfen.