Und zack, zurück ins mediale Dunkel
Wenn man jemanden per Internet näher kennen lernte möchte, schafft man zunächst eine Verbindung, indem man „abonniert“, „liked“, „hinzufügt“ oder „folgt“. Im zweiten oder dritten Schritt wird man in die private Kommunikation eintreten und ihr oder ihm eine „private message“ schicken, in der man sich in wenigen Worten von seiner besten Seite zeigt. Solch eine Nachricht erhielt auch die Leichtathletin Ariane Friedrich vor knapp zwei Wochen via Facebook. „Willst du mal einen schönen Schw. sehen? Gerade geduscht und frisch rasiert“, stand darin. Intimer geht’s kaum.
„Zusätzlich hat er noch eine Datei mitgeschickt, die ich nicht öffnen werde“, notierte die Sportlerin auf ihrer Facebook-Pinnwand und machte den Namen und den Wohnort des Absenders öffentlich. Dafür erhielt sie anfangs viel Verständnis und Zustimmung, doch bald änderte sich der Ton, auch weil die Zeitungen darüber zu berichten begannen. Man warf ihr vor, die Folgen ihrer Handlung nicht bedacht zu haben. Statt die offene Diskussion, die sich auf ihrer Seite entspann, wie in anderen Fällen ausdrücklich zu loben, weil mediale Transparenz auf der politischen Tagesordnung gerade ganz oben steht, wiesen Kommentatoren auf die Gefahr eines Mobs und auf Friedrichs angebliche Unerfahrenheit mit dem Medium hin. Das ist, gelinde gesagt, ganz schön dreist von einer Presse, die oft genug jede Verantwortung für die Folgen ihrer Publikationen weit von sich weist.
Aus dem Licht der Öffentlichkeit
Die journalistischen Einsprüche wirkten dennoch: Mittlerweile wurde Ariane Friedrichs Seite auf dem sozialen Netzwerk stillgelegt. Nun schweigt das Opfer, und die sexuelle Belästigung ist wieder aus dem Licht der Öffentlichkeit gerückt und in das mediale Dunkel verfrachtet worden, dem sie entsprungen war und auf das sie sich also auch weiterhin verlassen kann.
Es ist ganz gleich, ob es sich um einen schlechten Witz handelt (manche behaupten, das beigelegte Foto zeige das Gemächt eines Hundes), um einen dieser idiotischen Facebook-Viren oder um eine banale Anmache, die ernsthaft darauf hofft, das Bild eines Penis sei ein überzeugendes Argument: Das Versprechen eines Genitals gilt als angemessener Einsatz im Kampf um mediale Aufmerksamkeit. Was an sich nichts Neues ist.
Doch je digitaler und damit steriler es in menschlichen Beziehungen zugeht, desto größer wird offenbar die Sehnsucht nach dem echten Fleisch. So scheint es jedenfalls auch ein paar Filialleitern einer Billig-Supermarkt-Kette ergangen zu sein: nie direkten Kontakt zu ihren Kundinnen, dafür umso mehr digitale Perspektiven auf deren Geschlechtsmerkmale. Wenn sich Frauen vor Kühltheken oder Regalen bückten, dann hielten die festangestellten Hobbyfilmer mit der firmeneigenen Überwachungskamera drauf – sofern der Ausschnitt oder die Länge des Rocks einen Blick auf noch mehr Fleisch erhaschen ließ. Die Aufnahmen wurden laut Bericht des „Spiegel“ auf CD gebrannt und getauscht. Als handelte es sich um ganz normale Erotik-Videos.
Zwischen Öffentlichkeit und Spannertum
Exhibitionismus und Voyeurismus sind zwei Seiten derselben Medaille: Ersterer infiltriert die Öffentlichkeit mit Intimität, Letzterer begreift das Intime als Öffentliches. Exhibitionismus gibt es vermutlich bei beiden Geschlechtern gleichermaßen – in den Massenmedien findet man allerdings vorwiegend Frauen, die sich angeblich umso wohler fühlen, je weniger sie anhaben.
Unter „Spannern“ dagegen stellt man sich aus denselben Gründen üblicherweise Männer vor: Wer sich selbst ausstellt, macht sich zum Objekt; wer beobachtet, erhebt sich dagegen zum Subjekt und degradiert den Anderen zum Gegenstand seiner Blicke. Dass diese Muster von privaten Fernsehsendern und dem so genannten Social Web fröhlich prolongiert werden, überrascht wenig, da beide per definitionem die Grenze zwischen privat und öffentlich unterminieren. Erstere infiltrieren die Öffentlichkeit mit Privatem, Letzteres münzt das Private in Öffentliches um.
Dass Ariane Friedrich mit weiblichem Voyeurismus auf männlichen Exhibitionismus geantwortet hat, ist deshalb vielleicht der eigentliche Vorwurf, den man ihr macht. Denn das wird Frauen von und in Medien nur sehr ungern zugestanden. Sie sollen sich zwar öffentlich abonnieren, liken, hinzufügen und folgen lassen. Aber ja stille halten, wenn jemand diese Verben beim Wort nimmt.