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Unerkannte Potenziale?

Nachdem sich die Politik lange Zeit dagegen sperrte, Deutschland als Einwanderungsland zu bezeichnen, hat in den vergangenen Jahren ein Umdenken eingesetzt. Deutschland gilt mittlerweile nahezu selbstverständlich – wie unter anderem der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration betont – als ein „Migrationsland“. Mit rund 19 Prozent verfügt nach Angaben des aktuellen Mikrozensus ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung über einen Migrationshintergrund. Einhergehend mit dieser Erkenntnis sind zahlreiche konkrete Initiativen entstanden, welche die gesellschaftliche Integration im Migrationsland Deutschland voranzutreiben versuchen. Im Mittelpunkt steht hierbei insbesondere die Frage, wie eine Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland in besonders guter Weise gelingen kann.

Dem Sport und den Medien werden dabei Schlüsselrollen zugewiesen.

So weist unter anderem der „Nationale Integrationsplan der Bundesregierung“ Sport wie Medien als zentrale Themenfelder einer integrationsfördernden Politik aus. Auch der aktuelle „Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ hebt das große Integrationspotenzial von Sport wie Medien hervor.

Umso mehr verwundert es, dass es in den in den einzelnen Fachverbänden wie in der Wissenschaft geführten Diskussionen um die Relevanz von Sport und Medien für die angestrebten Integrationsprozesse an einer die Potenziale von Sport und Medien verknüpfenden Perspektive bisher weitestgehend fehlt. So bestehen zwar generelle Studien und Erkenntnisse zur Mediennutzung durch Migranten und zur Darstellung von Migranten in den Medien (wie unter anderem die aktuelle Studie der ARD/ZDF-Medienkommission (Simon und Neuwöhner 2011)) sowie zu den Integrationsmöglichkeiten durch den Vereinssport – eine Betrachtung und Reflexion der Rolle des Sportjournalismus im Themenfeld Integration und Migration ist bisher jedoch weitestgehend ausgeblieben.

Über alle Schichten hinweg

Dabei liegen die Argumente, die gerade den medial vermittelten Sport als interessantes Handlungsfeld für Integration und Partizipation ausweisen, eigentlich auf der Hand. In der medialen Vermittlung von Sport kann die erfolgreiche gesellschaftliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in besonders anschaulicher Weise und – dies ist besonders wichtig – zugleich für eine breite Öffentlichkeit sichtbar gemacht werden.

Schließlich ist Sport ein Medienangebot, mit dem besonders viele Zuschauer über alle Schichten hinweg erreicht werden können. Regelmäßig belegen Sportübertragungen in Zuschauerrankings die ersten Plätze. Erreicht werden dabei nicht die selbst im Sport Aktiven, sondern auch die große Zahl derjenigen, die sich „nur“ als Rezipierende für Sport interessieren – oder, wie in Teilen junge Frauen mit Migrationshintergrund, aus bestimmten Gründen keinen Sport treiben dürfen.

Fairness, Disziplin, Toleranz

Zudem bietet die Sportberichterstattung auch inhaltlich gute Voraussetzungen, um als eine grundlegende Sozialisations- und Integrationsinstanz fungieren zu können. Nicht allein gesellschaftlich relevante Werte wie Fairness, Disziplin, Leistungswille sowie Toleranz können hier besonders gut und eindringlich übermittelt werden, wie unter anderem Schellhaaß und Fritsch (2007) aufgezeigt haben. Das Ressort Sport scheint auch in besonderer Weise geeignet, ein Gegengewicht zu anderen, in der Forschung stärker akzentuierten Feldern wie etwa der Kriminalitätsberichterstattung zu liefern, in der Migranten vornehmlich negativ und maßgeblich in Zusammenhang mit Bedrohungsszenarien dargestellt werden.

Denn nicht nur in der deutschen Fußballnationalmannschaft, die bei der Fußball-WM 2010 mit elf Spielern mit Migrationshintergrund im Kader antrat – und seitdem immer wieder als Beispiel eines bunten Deutschlands bemüht wird – tragen Sportler mit Migrationshintergrund maßgeblich zum Erfolg bei. Auch viele andere Bereiche des deutschen Sports sind mittlerweile in der nationalen Leistungsspitze von solchen Sportlern dominiert. So gehören beispielsweise im traditionsreichen deutschen Turnen mit Marcel Nguyen, Matthias Fahrig, Eugen Spiridonov und Thomas Taranu gleich vier Athleten mit Migrationshintergrund dem nationalen Geräteturn-Team an. Einen hohen Anteil an Sportlern mit Zuwanderer-Biografie weist seit vielen Jahren auch der Deutsche Boxport-Verband auf, nach Angaben des DOSB haben sind es rund die Hälfte aller Athleten in den Auswahlmannschaften. Es mangelt also nicht an Sportlern, an denen gelingende Integration medial aufgezeigt werden könnte.

Eine Anschlussstelle für Anschlusskommunikation

Darüber hinaus fungiert der medial vermittelte Sport – wie Befunde zweier am Institut für Kommunikations- und Medienforschung (IKM) der Deutschen Sporthochschule Köln durchgeführter Studien nahelegen – offenbar als eine besonders wichtige Anschlussstelle für Anschlusskommunikation zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Insbesondere für Migranten mit mittleren bis schlechten Sprachkenntnissen bildet der Faktor Sprache in der Kommunikation über medial vermittelten Sport eine weniger große Barriere als in der Kommunikation über Politik- oder Wirtschaftsthemen (vgl. Ludwig und Nieland 2010). Zudem wird das Thema Sport mehrheitlich als ein weniger heikles Thema als Politik oder Wirtschaft empfunden.

Immer wieder geäußerte Befürchtungen, dass sich im Zuge der durch Satellitenfernsehen und neue Medien entstandenen globalen Verfügbarkeit von Heimatmedien sogenannte „Medienghettos“ herausbilden, lassen sich nicht bestätigen. Ein Sportmediennutzungsverhalten, das sich ausschließlich auf Medien des Heimatlandes konzentriert, legen – wie ebenfalls am IKM durchgeführte Befragungen zur Sportrezeption von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund als der größten deutschen Migrantengruppe zeigen – trotz vorhandener Möglichkeiten nur die wenigsten Befragten an den Tag. Es überwiegen deutlich die Typen der so genannten assimilativen Mediennutzung, also der vorwiegenden Nutzung der Medien des Aufnahmelandes, und der multiplen Inklusion,  also eines Nutzungstyps, der sich sowohl Medien des Heimat- wie des Aufnahmelandes zuwendet. Auch bezüglich des Sportarteninteresses gibt es Überschneidungspunkte – insbesondere der Fußball ist hier hervorzuheben.

Grundlegende Voraussetzungen und Potenziale eines Integrationsagenten Sportjournalismus sind demnach offenbar gegeben. Um diese nicht allein erkennen, sondern eben auch besser nutzbar machen zu können, erscheint es wichtig, die möglichen Rollen und Funktionen des Sportjournalismus für das Themenfeld Integration künftig genauer in den Blick zu nehmen und zu reflektieren – und damit  selbstverständlich auch den Umgang mit der Thematik seitens der Medienschaffenden im Bereich Sport selbst. Schließlich sind sie es, die über Umfang, als auch die Art und Weise der Berichterstattung über Migranten entscheiden und damit auch deren Bild in der Öffentlichkeit mitbestimmen.