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Von „Schmuddelkindern“ zu Experten

2010 wehren sich fast 35.000 Menschen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung. Der Chaos Computer Club (CCC) wird als Sachverständiger herangezogen. Dass man sich im CCC hinsetzen und Gesetzestexte verfassen würde und die Regierung einen um seine fachkundige Meinung bittet, hätten in den Anfangstagen des Clubs weder die Mitglieder und erst recht nicht die Öffentlichkeit gedacht. Beides ist mittlerweile mehrmals geschehen – aber bis dahin war es ein langer und ganz und gar nicht leichter Weg.

Illu aus STADTLIHH 7 © Parham Khorrami

Wau Holland, Gründungsmitglied des Clubs, wollte einfach nur mit Leuten reden, die seine Interessen teilen. Deswegen organisierte er 1981 ein Treffen in Berlin. In den Räumen der Zeitung „taz“ entstand einer der heute größten und wichtigsten Hackerclubs der Welt. Seine Mitglieder waren neugierig und stöberten auf unerforschten Gebieten. Computer waren damals für Regierung und Wissenschaft reserviert, privat konnte sich kaum einer die großen Geräte leisten. Genau dieser Punkt lag Wau Holland und den anderen Gründungsmitgliedern am Herzen: Computer sollten für alle zugänglich sein.

Verrat, Betrug und Misstrauen

Schnell wurde die Geschichte der jungen neugierigen Hacker von kriminellen Machenschaften überschattet. Einige Mitglieder des CCC nutzten ihr technisches Wissen, um damit Geld zu verdienen. Sie verstießen nicht nur gegen die CCC-Leitlinie „No hacks for money“ (Keine Hacks gegen Bezahlung), sondern betrieben aktive Spionage für den KGB. Als ihr Treiben Mitte der achtziger-Jahre aufflog, war nicht nur die westdeutsche Bevölkerung schockiert. Jahrelang wurden nun im CCC ehemalige Freunde als Verräter verdächtigt. „Vorher war man schon irgendwie eine große glückliche Familie, und plötzlich war das Misstrauen da“, berichtet Michael Hirdes, alias Dodger, ein Mitglied des Chaos Computer Clubs Hamburg. Die Vision, die Wau Holland gehabt hatte, war fast zerstört.

Doch der nächste Sprecher des Clubs, Andy Müller-Maguhn, schaffte es nicht nur, die pauschalisierenden Beschuldigungen der Gesellschaft gegen den Club abzuwehren, sondern sorgte auch für eine Neuorganisation in den eigenen Reihen. Ohne ihn hätten sich viele interne Fronten wahrscheinlich nie geklärt. Ihm und den nachfolgenden Sprechern ist es zu verdanken, dass sich Deutschland mehr und mehr mit seinen Computerspezialisten anfreundet. Constanze Kurz, die gegenwärtige Sprecherin des CCC, geht sogar soweit, zu sagen, dass sich das Image „von diesen Schmuddelkindern, die immer so halbkriminell sind, zu schon akzeptierten Experten“ verbessert habe.

Neben dem Hauptsitz in Hamburg wurde mit der Wiedervereinigung auch der CCC Berlin gegründet. Von da an sprossen die Chaos Clubs in verschiedenen Städten. Die entstehende dezentrale Struktur entspricht ganz den Wünschen des Clubs. Der Zulauf zu den verschiedenen Veranstaltungen ist enorm, und die Mitgliederzahl hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Das kann natürlich auch an den wachsenden Technikkenntnissen der Bevölkerung liegen. „Die Wahrnehmung der Menschen ist heute ganz anders. Dass jeder einen Rechner zuhause hat, das war zu Beginn nicht so“, meint auch Constanze Kurz. Die Interessen überschneiden sich immer öfter.

Ein schmerzvoller Verlust

2001 war ein tragisches Jahr für den Club. Er verlor seinen Gründer und Übervater Wau Holland durch einen Schlaganfall. Ein Verlust, der deutliche Spuren hinterlassen hat. „Mit dem Tod von Wau Holland ist, glaube ich, der intellektuelle Kern weggebrochen. Das stimmt schon. Er ist aber ein bisschen ersetzt worden durch die stärkere Vernetzung“, sagt Constanze Kurz (mehr von der Sprecherin im Interview).

Heute haben immer noch viele Menschen ein negativ gefärbtes Bild von Hackern. Eine Erklärung dafür ist die irreführende Begriffsverwendung in den Medien. Hacker klauen keine Daten von Sony. Hacker bringen die Internetseiten von Paypal und Visa nicht zum Einsturz. Zumindest in Insiderkreisen gibt es die halbwegs klare Trennung in Hacker und Cracker. Letztere sind für zerstörerische Hacks verantwortlich. Hacker hingegen wollen nur in Systemen stöbern, und wenn sie dabei zufällig über eine Sicherheitslücke stolpern, versuchen sie, dem Hersteller zu helfen. Verweigert sich der Hersteller, wird der Systemfehler öffentlich gemacht. Es geht ihnen darum, Systeme zu verbessern und Sicherheitslücken zu schließen. Solange aber die Medien nicht zwischen Hackern und Crackern unterscheiden, kann man auch von der Öffentlichkeit nicht erwarten, dass sie die Begriffe auseinanderhalten kann.


Illustriert von Parham Khorrami. Dieses Inteview ist zuerst im STADTLICHH Magazin, Ausgabe #7, erschienen.