War doch gar nicht so gemeint!
Ist es heutzutage vorstellbar, dass ein männlicher Journalist in einem Text das Wort „Schlampe“ synonym mit „Frau“ verwendet, und daraufhin angesprochen, sich mit den Worten verteidigt: „War doch nicht so gemeint“, und alle Welt ist zufrieden? Nein, natürlich nicht. Dies würde zu Recht als diskriminierender Sprachgebrauch gewertet. Unakzeptabel wäre auch diese Verteidigungslinie, die darauf hinausläuft, dass man durchaus „Schlampe“ als Synonym für das Wort „Frau“ einsetzen kann – Hauptsache, man hat es nicht so gemeint.
So etwas würde klar als billige Ausrede erkannt. Genauso verläuft jedoch die Auseinandersetzung, wenn es um rassistischen Sprachgebrauch geht. Die Worte Farbiger, Neger, Schwarzer werden synonym verwendet, ohne einen Gedanken daran, dass sie unterschiedlich wertend und zum Teil auch beleidigend sind. Ausländer, Migrant, Fremder werden als austauschbare Begriffe betrachtet, obwohl sie eigentlich völlig unterschiedliche Bedeutungen und Wertungen haben.
Journalisten sind Spracharbeiter. Egal, um welches Medium es sich handelt – Print, Radio, Online, sogar Film und Fernsehen -, die Sprache ist das Werkzeug, mit dem sich der Journalist und die Journalistin an ihr Publikum wenden. Je nachdem kommen Bilder und Ton hinzu, aber die Sprache bleibt von zentraler Bedeutung.
Erstaunlich also, dass viele Journalisten wenig darüber nachdenken, welche Sprache, welche Worte, welche Sprachbilder sie nutzen. Ein Maler macht sich ja ebenfalls Gedanken darüber, welche Technik, welche Farben und welcher Untergrund geeignet sein könnte, einer bestimmten Idee Ausdruck zu verleihen. Auseinandersetzung mit Sprache empfinden viele als ermüdend, oder sie monieren, dass ihnen vorgeschrieben werde, welche Worte sie benutzen dürften.
Zensur?
Deutlich wird dies jedes Mal bei der Diskussion, wie Schwarze bezeichnet werden sollen; so etwa bei der medialen Auseinandersetzung darüber, dass in Neuauflagen von bekannten Kinderbüchern wie „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ das Wort ‚Neger’ gestrichen wurde. Journalisten und Leserbriefschreiber regten sich darüber auf. Von der Freiheit der Kunst war die Rede, oder sogar von Zensur.
Jede/r weiße Deutsche – erst recht jeder weiße Journalist – fühlte sich befugt, darüber zu entscheiden, ob „Neger“ eine angemessene Bezeichnung für Schwarze sei, oder eher abwertend, oder zwar abwertend, aber eigentlich „nicht so gemeint“ und deswegen dann doch akzeptabel. Das Naheliegende jedoch wäre, schlicht und einfach Schwarze Deutsche dazu zu befragen, denn sie sind die Fachleute, niemand anderes. Repräsentative Organisationen wie die ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) sind jedoch nicht diejenigen, die als Erste dazu interviewt werden, sondern weiße „Experten“, Literaten oder Autoren, die sich ganz selbstverständlich anmaßen, über die Köpfe von schwarzen Menschen hinweg entscheiden zu können, was diskriminierend ist oder nicht, oder was „gar nicht so gemeint“ sei.
Einer weißen Frau wird zugestanden, sich von dem Wort „Tussi“ oder „Schlampe“ nicht repräsentiert oder auch diskriminiert zu fühlen. Männliche weiße Journalisten sind in der Regel bereit, die Proteste von weißen Frauen ernst zu nehmen und gegebenenfalls ihre Ausdrucksweise zu ändern. Keine unverheiratete Frau wird heutzutage in einem journalistischen Text noch als „Fräulein“ bezeichnet. Wenn aber Schwarze Deutsche sich dagegen wehren, als „Farbige“ oder gar als „Neger“ bezeichnet zu werden, heißt es: Diese Begriffe seien doch in Ordnung bzw. man solle nicht überempfindlich sein, und im Übrigen sei es doch gar nicht so gemeint.
Damit spricht man Schwarzen Deutschen das Recht ab, über ihre Benennung selbst zu entscheiden. Ebenso werden die Begriffe Ausländer, Türke, Migrant, Fremder als Synonyme gebraucht, obwohl es ein Leichtes wäre, bei repräsentativen Organisationen nachzufragen, welche Begriffe für die Betroffenen, das heißt Bezeichneten, in Ordnung seien. Die Bezeichnung werden aber für nebensächlich gehalten, und deswegen halten viele weiße Journalistinnen und Journalisten die Debatte darüber für überflüssig. Das Recht ethnischer Minderheiten, ihren Namen und damit ihre kulturelle und politische Verortung selbst zu wählen und darüber hinaus diskriminierende Benennungen abzulehnen, wird somit einfach ignoriert.
Die Deutungshoheit über Begriffe und Benennungen liegt nämlich bei der Mehrheitsgesellschaft. Die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ist weiß. Wenn allgemein übliche Benennungen – wie etwa die Bezeichnungen für Schwarze – rassistisch sind, wird durch den unreflektierten Gebrauch dieser Bezeichnungen eine rassistische Grundhaltung der Gesellschaft zementiert.
Viele Formen des Rassismus
Die Auseinandersetzung mit Rassismus ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit, was hauptsächlich daran liegt, dass Rassismus an der Faschismus-Erfahrung festgemacht wird. Es gibt jedoch viele Formen des Rassismus, und nur die extremen sind von physischer Gewalt geprägt.
Problematisch ist von vornherein, dass Weiß-Sein in Deutschland sozusagen als „Normalzustand“ betrachtet wird. Wer schwarz ist, wessen Eltern eine Migrationsgeschichte haben etc., ist die Ausnahme. Die Mehrheitsverhältnisse sind immer auch ein Machtfaktor – wer die Mehrheit hat, hat das Sagen, und damit auch die Deutungshoheit über Begriffe. Diese sind jedoch nicht neutral, sondern zementieren das Machtverhältnis. Nichts davon läuft offen oder auf der Oberfläche ab, sondern dies sind unterschwellige Prozesse, die dennoch sehr effektiv sind. Auch durch den Sprachgebrauch wird Dominanz manifestiert. Dazu schreiben Hadija Haruna und Jamie Schaerer von der ISD:
„Menschen können rassistisch handeln oder sich einer rassistischen Sprache bedienen, obwohl Schwarze Menschen zu ihrem sozialen Umfeld gehören, sie Neonazis verabscheuen und die Verbrechen des Holocaust verurteilen. Eine derartige Argumentationsrichtung lässt sich oft in den Medien ablesen: So wird einerseits in Beiträgen der ostdeutsche Neonazi kritisiert (…), andererseits wird über ‚Farbige‘ geschrieben oder unverkrampft das N-Wort in die Titelzeile genommen. Nicht selten erfolgt auf Kritik eine Diskussion über künstlerische Freiheit, den Zwang zur politischen Korrektheit oder einer vermeintlichen Schere im Kopf. Diese Argumentation macht es jedoch leicht, sich gegen Selbstreflektion abzuschotten. Die auch in den Medien verbreitete Allergie gegen das so genannte ‚PC‘ (Political Correctness) reicht von ganz rechts bis ganz links. Das zeigt, wie diffus die Vorstellung davon ist. Dabei geht es um kommunikative Regeln. Sie sollten auf gegenseitigem Respekt beruhen und einen Weg aus dem verbalen Erbe einer von Rassismus geprägten deutschen Kolonialgeschichte weisen. Rassismus bedeutet in diesem Kontext, Unterschiede zu konstruieren, wo keine sind und Menschen in ‚besser‘ und ’schlechter‘ einzuteilen, indem ihnen bestimmte, als ‚gut‘ oder ’schlecht‘ bewertete Eigenschaften zugeschrieben werden. (…) Von Rassismus wird erst dann gesprochen, wenn diese Vorurteile an Macht gekoppelt sind – politische, historische, ökonomische Macht. Sie geben weißen Menschen Privilegien, zu denen die anderen keinen Zugang haben.“
Es ist kein Zufall, dass in diesem Zusammenhang nicht von „Ausländerfeindlichkeit“ die Rede ist, sondern von Rassismus. „Ausländerfeindlichkeit“ ist nicht ein freundlicheres Wort für Rassismus, sondern es bezeichnet etwas anderes. Wenn blonde Norweger von weißen Deutschen beschimpft werden, einfach weil sie Ausländer – nämliche Norweger – sind, dann ist das Ausländerfeindlichkeit.
Menschen werden zu Fremden gemacht
Wenn türkischstämmige oder schwarze Deutsche von weißen Deutschen beschimpft werden, dann ist das Rassismus, denn sie sind Deutsche, denen aufgrund ihrer Hautfarbe/Aussehens das Deutschsein abgesprochen wird, sie somit diskriminiert werden, obwohl sie – bis auf das Aussehen und die Familiengeschichte – die Herkunft mit dem weißen deutschen Angreifer teilen. Wenn nun die Presse schreibt, dass türkischstämmigen oder schwarzen Deutschen „Fremdenfeindlichkeit“ entgegenschlägt, dann werden diese Menschen erst zu Fremden gemacht, denn sie sind eigentlich einheimisch; ihr „Anderssein“ ist durch diese Wortwahl wiederum zementiert worden. Sie werden sozusagen verbal ausgebürgert. Das war zwar von dem Journalisten „nicht so gemeint“, aber genauso funktioniert Rassismus -unterschwellig, unbewusst, aber nicht minder effektiv.
Hier eine Rassismus-Definition von der schwarzen deutschen Media-Watch-Website „der braune mob e.V.“:
„Wir definieren Rassismus als institutionalisiertes System von wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen, welches dafür sorgt, dass eine ‚racial group’ gegenüber den anderen privilegiert ist, Macht hat und diese erhält. Individuelle Teilhabe an Rassismus geschieht dann, wenn das objektive Resultat von Verhalten diese Beziehungen verstärkt, unabhängig davon ob eine subjektive Intention dahinter steht“ (Derman-Sparks 1997, 2). Im Anti-Bias-Ansatz werden drei (hauptsächliche) Formen von Rassismus unterschieden, welche sich gegenseitig verstärken (ebd. S.10): Individueller Rassismus besteht in Haltungen und Verhaltensweisen, die das Machtverhältnis von Rassismus ausführen und erhalten.
Es wird davon ausgegangen, dass individueller Rassismus weit mehr ist als Vorurteile und Stereotypen gegenüber anderen Gruppen zu haben. Das individuelle Verhalten ist eng verknüpft mit der kulturellen und institutionellen Ebene und von diesen genährt. Kultureller Rassismus besteht in den Überzeugungen, Symbolen und den zugrunde liegenden kulturellen Verhaltensregeln, die eine ‚weiße Überlegenheit‘ mit produzieren und billigen und welche über den Sozialisationsprozess an die jungen Individuen herangetragen werden. Obwohl der kulturelle Rassismus im alltäglichen Leben als natürlich wahrgenommen wird und nahezu unsichtbar ist, reflektiert er die Ideologie der dominanten Gruppe. Institutioneller Rassismus bezieht sich auf Rassismus im Auftrag, in den Verfahrensweisen, Grundsätzen und Organisationsstrukturen und deren institutionalisierte Einbettung in die gesellschaftlichen Strukturen.“
Rassismus beginnt nicht bei dem Skinhead mit dem Baseballschläger, sondern das ist schon das extreme Ende. Er beginnt ganz woanders – zum Beispiel bei der Sprache. Wenn jemand eine „Farbige“ genannt wird, weil sie „ja gar nicht so dunkel“ sei, schwingt dabei oft mit, dass man ihr einen Gefallen damit tut, sie nicht als ’schwarz‘ zu bezeichnen. Dabei ist jedoch impliziert, dass Schwarzsein schlecht sei – ganz unten auf der Hautfarbenskala, und ‚farbig‘ klänge ein bisschen besser. Weiße klassifiziert man ja auch nicht nach Abstufungen von ‚hellrosa‘, ‚dunkelrosa‘ oder ‚blassbeige‘, und die meisten weißen Deutschen würden sich zu Recht dagegen verwahren, wenn Schwarze ihnen sagen wollten, wie sie sich zu bezeichnen hätten.
Hierzu nochmal ein Zitat des Medien-Blogs „der braune mob e.V.“:
„‚Schwarz und weiß‘ sind keine echten ‚optischen Beschreibungen‘, sondern Konstrukte; sie benennen die verschiedenen Hintergründe, Sozialisationen und Lebensrealitäten. Viele Weiße sind dunkelbrauner als viele Schwarze. Weiße sind sie trotzdem.“
Der Verein Neue deutsche Medienmacher geht in Redaktionen und gibt Formulierungstipps bezüglich einer nicht-diskriminierenden Sprache. Die Reaktionen sind unterschiedlich. „Das konnte ich doch nicht wissen!“ ist der häufigste Satz, den wir zu hören bekommen, wenn wir Kollegen und Kolleginnen in den Redaktionen darauf aufmerksam machen, dass ihre Sprache, ihre Fotos, ihre Berichterstattung bei Themen, die Migranten betreffen, nicht angemessen ist.
Aber ist es wirklich so – kann man das nicht wissen? Dass es einen Unterschied gibt zwischen „Ausländerfeindlichkeit“ und Rassismus, dass die Worte „Farbiger“ und „Schwarzer“ nicht synonym sind? Dass das Bild einer kopftuchtragenden Frau nicht die beste Wahl ist, um einen Artikel über Islamismus zu bebildern? Dass Afrika von Völkern und nicht von Stämmen bewohnt wird? Man muss es nicht wissen, aber man könnte – wenn, ja wenn man über diese Themen nachdenken würde. Vielen weißen deutschen Journalisten sind die Belange von Migranten, Schwarzen Deutschen oder Flüchtlingen nicht wichtig genug, um sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ob ihre Berichterstattung über sie adäquat ist.
Eine differenzierte Wortwahl trägt wesentlich zu einer qualitativ hochwertigen und verantwortungsbewussten Berichterstattung bei. Hier einige simple Empfehlungen der Neuen deutschen Medienmacher für eine diskriminierungsfreie Sprache und eine angemessenen Darstellung der Einwanderungsgesellschaft:
„Türken“ oder „Ausländer“: Diese Bezeichnung ist sinnvoll, wenn es sich um Menschen „aus/in der Türkei“ bzw. aus dem Ausland (z.B. Touristen) handelt. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist er schlichtweg falsch, da viele die deutsche Staatsbürgerschaft haben und – diskriminierungsfrei betrachtet – Deutsche sind.
„Fremdenfeindlich“: Nur wenn die Taten gegenüber Fremden, wie z.B. Touristen verübt wurden.
„Ausländerfeindlich“: Richtet sich der Hass nicht auch gegen Deutsche mit Migrationshintergrund? Zutreffend: „rassistisch“.
Dass Neonazis ihre Opfer als „Ausländer“ und „Fremde“ betrachten, ist kein Grund, es ihnen gleich zu tun!
Einige Negativ-Beispiele
Spur der „Döner-Morde“ führt zu Grauen Wölfen (SPIEGEL, 19.02.2011)
„Bei Ermittlungen zu den sogenannten Döner-Morden, denen von 2001 bis 2006 acht türkische und ein griechischer Kleinhändler zum Opfer fielen, stießen Fahnder immer wieder auf eine rechtsnationalistische türkische Allianz. … Die Nürnberger Mordermittler, die das Verfahren leiten, glauben dagegen an einen Einzeltäter, der wegen seines Hasses auf Türken tötet.“ Aber: Zwei Opfer waren Deutsche!
Rechtsextreme sollen Döner-Morde begangen haben (Welt, 11.11.2011)
„Die rechtsextremen mutmaßlichen Mörder einer Heilbronner Polizistin sind womöglich auch für die Dönerbuden-Morde verantwortlich. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.“
Aber: Nur zwei Opfer wurden in einem Imbiss getötet!
Denken wie die Kinder
In Offenbach, der Stadt mit den meisten Ausländern, gibt es ein besonderes Kita-Projekt… (FAZ, 29.01.2012, Seite 3)
„Offenbach ist die Stadt in Deutschland mit den meisten Ausländern, mehr als 140 verschiedene Nationalitäten haben sie. Mit und ohne deutschen Pass machen sie etwa 45 Prozent der Bevölkerung aus.“
Aber: Ausländer mit deutschem Pass!?
Manchen Kolleginnen und Kollegen fehlt schlicht die Zeit oder der Zugang, um sich besser zu informieren. Für jene interessierten Reporter und Autorinnen gibt es jedoch praxisnahe Anleitungen, sei es auf den Websites der Neuen deutschen Medienmacher oder der braune mob e.V.; Bücher wie der „Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch“ des AntiDiskriminierungsBüro Köln oder „Afrika und die deutsche Sprache – ein kritisches Nachschlagewerk“ von Susan Arndt/Antje Hornscheidt. Mit anderen Worten: Informieren kann man sich, man muss es nur wollen. Die Ausreden „Das konnte ich doch nicht wissen!“ oder „Das war doch nicht so gemeint!“ lassen wir nicht gelten.