Küsse gegen Intoleranz
Heterosexuelle Männer knutschen vor der Kamera als Zeichen gegen Intoleranz, Ausgrenzung und Diskriminierung. Dahinter steckt das Männermagazin „GQ“ mit seiner Kampagne „#Mundpropaganda – Gentlemen gegen Homophobie“: David Baum ist Mitglied der Chefredaktion von „GQ“ und hat die Kampagne initiiert. Johannes Kram hat ihn interviewt.
VOCER: „GQ“ gilt als Refugium für „echte Männer“ mit Vorliebe für schnelle Autos oder schöne Frauen, in dem Bruce Willis erklärt, wie man „zum coolsten Hund der Welt“ wird. Wie kommen Sie darauf, dass Ihre Leser es auch cool finden, Männer küssende Männer zu sehen?
David Baum: Als Männermagazin behandeln wir auch klassische Männermagazinthemen, klar. Aber das ist ja nur eine Facette unserer redaktionellen Bandbreite. „GQ“ hat sich vor einigen Jahren auf die Spurensuche begeben, was den Gentleman im 21. Jahrhundert ausmacht. Natürlich haben wir keine abschließende Antwort gefunden, außer der einen: Ein Gentleman braucht Haltung. Das war gestern so, das wird auch morgen so sein. Und dazu gehört die Akzeptanz anderer Lebensauffassungen. Insofern wollen wir unseren Lesern einmal sagen, was unserer Meinung nach uncool ist: Intoleranz.
In Deutschland gilt der Kampf um gleiche Rechte im wesentlichen als Angelegenheit von Lesben und Schwulen selbst. In Amerika versteht man „Equal Right“ vor allem als Bürgerrechtsthema, für das sich viele „Ikonen“ der „Gesamtgesellschaft“ engagieren. Warum gab es so etwas in Deutschland bisher nicht?
Eine Spekulation wäre, dass Schwule und Lesben in Deutschland als weitgehend gleichberechtigt gelten – auch wenn mancher User-Kommentar von heute, etwa bei „Spiegel Online“, das traurige Gegenteil belegt. Die Einführung der sogenannten „Homo-Ehe“ ist etwa im Vergleich zu Frankreich geräuschlos und ohne nennenswerte Proteste verlaufen, offen lebende Schwule können in Deutschland Ministerpräsidenten oder Außenminister werden, und wenn ein bayerischer Landrat in die Schlagzeilen gerät, weil er schwule Sexdates in seinen Amtsräumen abgehalten hat, dann führt das nicht zwingend dazu, dass er an Beliebtheit einbüßt oder gar zurücktreten muss. Mit den Berichten über die Zustände in Russland vor dem Hintergrund der Olympischen Winterspiele in Sotchi hat sich das geändert. Durch das Protestverbot für Olympiateilnehmer ist das Thema mit einer anderen Dringlichkeit in die deutsche Debatte zurückgekehrt.
Der organisierten Schwulen- und Lesbenbewegung scheint im Kampf um gleiche Rechte und gegen Diskriminierung nicht mehr viel einzufallen. Müssen jetzt ausgerechnet die Heteros den Schwulen zeigen, was Mut ist? Und ein eher an Hetero-Männer gerichtetes Magazin, wie man eine „geile“ Kampagne für Schwule macht?
Zunächst: Unsere Redaktion ist wie auch unsere Leserschaft bunt gemischt. Und ich würde mir nicht anmaßen wollen, die Arbeit der Schwulen- und Lesbenbewegung zu bewerten. Keinesfalls treten wir in irgendeine Konkurrenz zu anderen Kampagnen oder Organisationen. Wir haben versucht, unser Statement und unseren Beitrag zur Debatte abzugeben und wir haben es auf unsere Weise getan. That’s it.
Herbert Grönemeyer, August Diehl, die Bands Fettes Brot und Revolverheld, Kostja Ullmann, Ken Duken, Moses Pelham und Thomas D. sowie die Beachvolleyball-Olympiasieger Julius Brink und Jonas Reckermann: Wie schwierig war es, die Protagonisten der Kampagne zum Mitmachen zu überzeugen? Welche Hindernisse gab es?
Die Jungs, die jetzt in der Kampagne sind, haben alle sofort zugesagt. Bei manchen anderen hat es leider aus organisatorischen Gründen einfach nicht geklappt. Besonders traurig bin ich, dass das Motiv Ben Becker küsst Ben Tewaag nicht geklappt hat. Beide hatten zugesagt, dann ist aber leider Beckers Stiefvater Otto Sander verstorben und Ben hatte dann natürlich andere Dinge im Kopf. Am meisten hat mich überrascht, dass Thomas D. und Moses Pelham mitgemacht haben – die sich jahrelang nicht mal die Hand gegeben haben. Ich glaube, dass die beiden das größte Risiko eingegangen sind. Ich will dem Hip-Hop-Publikum nichts unterstellen, aber ich habe den Eindruck, dass da mancher Fan sensibel reagieren könnte. Mein Kollege Josip Radovic, der einen guten Draht zu den großen Fußballvereinen und Sportverbänden Deutschlands hat, versuchte mit enormen Einsatz, Fußballer zum Mitmachen zu überreden, aber da läuft man gegen eine sehr hohe sehr dicke Wand. Sotchi-Olympioniken waren natürlich sofort raus, als das IOC drohte, sie bei Missachtung der russischen Vorgaben zu disqualifizieren.
Bisher galt doch: „Wir finden alle Schwule toll, aber müssen die sich ausgerechnet in der Öffentlichkeit küssen?“ Ändert sich da gerade etwas?
Ich glaube, dass sich gerade sehr viel ändert. Zwei küssende Männer sind heute kein Aufreger mehr – aber ich habe sogar den Eindruck, dass es für den einen oder anderen eine Herausforderung ist, plötzlich „normal“ zu sein. Lotte Tobisch, Grande Dame der Wiener Gesellschaft und jahrelange Organisatorin des Opernballs, sagte einmal zu mir, sie würde es begrüßen, wenn die sofortige Gleichstellung samt Kinderadoption umgesetzt würde, weil dann die aus ihrer Sicht provokative CSD-Parade nicht mehr nötig wäre. Ich bin mir nicht sicher, ob alle einen solchen Tausch begrüßen würden.
Was haben denn die Teilnehmer auf die Frage geantwortet, wie es ist, einen Mann zu küssen?
Grönemeyer hat gesagt, er hätte August Diehls Lippen schön und angenehm gefunden. Die beiden Beach Volleyball-Weltmeister Brink und Reckermann taten sich am Anfang etwas schwer. Die beiden haben jahrelang zusammen Sport gemacht, und auf einmal kamen sie sich so nahe wie nie zuvor. Für die meisten war es einfach ungewohnt, aber alle fanden es eine spannende Erfahrung.
Wenn Promis sich für eine „gute Sache“ einsetzen, gehen sie in der Regel kein Risiko ein und können sicher sein, dass es ihrem Image nutzt. Bei den Stars ihrer Kampagne ist das anders. Ist das ein neuer Ansatz: Wirklicher persönlicher Einsatz statt der übliche unverbindliche Charity-Schleim?
Wie gesagt ist das Risiko glaube ich vor allem bei den beiden Hip-Hoppern am größten. Ich kann nur einen Hut bzw. meine Baseballcap vor den beiden ziehen. Und vor allen anderen Teilnehmern auch. Aber grundsätzlich begrüße ich auch jeglichen „Charity-Schleim“, wenn er am Ende irgendetwas bewirkt oder jemandem hilft. Der selbstlose Philantrop ist eine rare Erscheinung. Aber wenn es einer Gala mit viel Champagner und Blitzlichtgewitter bedarf, um kranken Kindern zu helfen: Go for it!
Wie liefen die Vorbereitungen intern? Gibt es Bauchweh im Vertrieb, der sagt: ist ja eine super PR aber wir müssen an unsere Abonnenten denken?
Ich glaube nicht, dass man so eine Aktion in irgendeine Richtung kalkulieren kann. Ich hatte durch Zufall an einem sonnigen Herbstnachmittag Norman Röhlig, den Initiator der Aktion „Enough is Enough“, kennengelernt. Er erzählte von seiner Kampagne und beklagte, dass hauptsächlich Schwule Solidarität mit den Schwulen in Russland zeigen. Ich kam in die Redaktion zurück und erzählte meinen beiden Kollegen aus der Chefredaktion, José Redondo-Vega und Dominik Schütte, davon. Dominik sagte eher beiläufig: Eigentlich wären wir das ideale Medium, um das zu ändern. Und Redondo-Vega sagte: Dann machen wir das eben. Die einzige Kritik aus dem Verlag war jene, dass wir nicht gleich daran gedacht hatten, auch Sticker mit dem Protestlogo zu bestellen.
Definieren Sie da nicht gerade eine neue Zielgruppe, die sich durch „GQ“ zusammen finden soll: Die Heteros als die neuen Schwulen und die Schwulen als das neue Cool?
Quatsch. Unsere Zielgruppe sind immer schon Männer, die Stil haben und damit nicht ausschließlich Mode meinen. Wir hoffen, dass unsere Leser guten Sex haben, ob mit Männern oder Frauen, ist uns reichlich egal. Cool ist das neue Cool.
Wie schafft man es, eine so große Fotoproduktion, an der viele der beliebtesten deutschen Männer des Landes beteiligt sind, geheim zu halten?
Indem man es niemandem erzählt. Nein, Scherz. Erstens sind alle beteiligten Profis und zweitens funktioniert die Nachricht ja nur mit den Fotos.
Die Kampagne hat sich enorm schnell verbreitet. Haben Sie das so erwartet?
Die Kampagne ist ein paar Stunden online und wir können sagen, anders ist: Die Sympathie ist groß. Aus dem Erfolg von #Mundpropaganda kann man aber tatsächlich eine Lehre ziehe: Protest bei eine so ernsten Thema kann durchaus heiter formuliert und umgesetzt sein. Selbst die „Bild“-Zeitung hat inzwischen ihre Leser aufgerufen, sich dem Protest anzuschließen und gleichgeschlechtliche Kussbilder von sich einzusenden. Damit ist es eine Massenbewegung. Das ist schon einzigartig.
Im Editorial wird die Aktion von „GQ“ angesichts der russischen Anti-Homosexuellenpolitik damit begründet, dass das nicht nur „das Problem der Homosexuellen in den betroffenen Ländern ist. Es ist Männersache schlechthin.“ Und später heißt es: „In 38 afrikanischen Staaten gilt schwule Liebe als Straftat.“ Wieso eigentlich Männersache?
Sie haben Recht – die verfolgten Lesben bedürfen der gleichen Aufmerksamkeit und wir haben auch auf die Probleme von Transgender in den bewussten Staaten nicht thematisiert. Und natürlich ist das Engagement für Toleranz nicht Männersache, sondern Menschensache. Es gab übrigens auch prominente Frauen, die mitmachen wollten – was dann terminlich nicht geklappt hat. Indem wir uns mit dieser Aktion letztlich nur Männern zugewandt haben, konnten wir den Fokus bewusst auf unsere Zielgruppe legen – ohne natürlich eine Wertigkeit herzustellen.
Die große Berliner Demonstration „Enough is Enough“ im Sommer gegen die Anti-Homopolitik in Russland war für viele junge Lesben und Schwule Auslöser, sich erstmals politisch zu engagieren. Erleben wir hier gerade so etwas wie eine neue politische Bewegung oder zumindest eine neue politische Kultur, die in Kampagnen und nicht in den Kategorien von Parteien und Interessenorganisationen denkt?
Man muss dem IOC für seine unfassbar tumbe Entscheidung eigentlich dankbar sein. Denn dass auch unseren Olympioniken untersagt ist, sich zu Homosexualität auch nur zu äußern, hat die Repression direkt in unsere Mitte getragen. Seit Jahren ist doch eine Abkehr von den klassischen politischen Vereinen und Parteien zu beobachten. Leider hat es gedauert, bis sich Alternativen dazu eröffneten. Ich glaube, dass Phänomene wie der so genannte Wutbürger oder die Shitstormkultur im Netz eine Ausformung dieser Orientierungslosigkeit war. Wir berichten in „GQ“ regelmäßig über Politik und haben auch beobachtet, dass in den traditionellen Polit-Medien regelrecht Verstörung herrschte, als etwa Winfried Kretschmann mit „GQ“ und dann nicht einmal über seinen Kleidergeschmack, sondern über Politisches redete. Lassen Sie es mich in der Sprache der Trends ausdrücken: Politik ist wieder in, aber nicht im alten Look.