Warum Worte Werte prägen
Nicht nur der Nerd selbst ist inzwischen salonfähig, auch seine Sprache: Twittern steht längst im Duden, wir ergooglen uns grammatikalisch korrekt die Welt. OMGs, LoLs und fails künden von einer neuen sprachlichen Ära- und schon fragt die Öffentlichkeit: Verkümmern die sprachlichen Fähigkeiten unserer Kinder durch dieses Internet? Wenn man bedenkt, dass seit mehr als 2000 Jahren der angebliche Verfall irgendwelcher Sprachen beklagt wird, sollte man sich wohl nicht allzu viele Sorgen darum machen, wie aus dem Internet adaptierte Begriffe und Abkürzungen unser Sprachgut beeinflussen. Zumal vor dem Internet schon mindestens der Rockmusik eine ähnlich sprachapokalyptische Wirkung nachgesagt wurde.
Das größere Problem in der Art, wie wir über das Internet reden, ist ein anderes: Dreiviertel der deutschen Bevölkerung über 14 Jahren sind laut der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie gelegentlich online – ein Großteil davon dürfte nur bedingt Verständnis für Themen wie Datenschutz bei Facebook oder Kriminalität im Netz haben. Das scheint den Zeitschriften, Fernseh- und Radiosendern gerne zu entgehen, die sich inzwischen fast täglich mit Fragen aus diesem Bereich beschäftigen.
Worte diffamieren und stigmatisieren
Redakteure – medial eigentlich so versiert, dass sie zumindest die Grundmechanismen des Internet verstehen sollten – schreiben in Tageszeitungen vom Kampf gegen Cyberkriminelle, der „Spiegel“ titelt „Netz ohne Gesetz“, Google oder Facebook sind zur „Datenkrake“ geworden, und Nachrichten vom „Internetaktivisten Julian Assange“ machen in etablierten Medien die Runde. Medien mit Zielgruppen, die oftmals nur sehr oberflächlich Bescheid wissen über die Mechanismen des Netzes. Der Kontext einer Metapher wie der Datenkrake fehlt ihnen. Also die Frage, was mit unseren digitalen Fingerabdrücken eigentlich passiert und vor allem passieren darf. Sie müssen sich so ihr ganz eigenes Bild vom Internet zusammenschustern.
Das Bild eines unnahbaren, glitschigen Ungetüms etwa, das mit vielen Armen nach unserer Privat- und Intimsphäre giert. Oder das Bild, das Begriffe wie Internet- oder Cyberkriminalität mitunter hervorrufen: Wer ist hier der Geschädigte? Derjenige, der statt auf einen Scheckbetrüger auf einen Betrüger hereingefallen ist, der sich des Internets bedient? Oder nicht eher das Netz selbst, dem ein neuer Zweig der Kriminalität zugeschrieben wird? Für viele Leser, Zuschauer oder Zuhörer klassischer Medien dürfte das Web noch auf lange Zeit ein beängstigender Ort bleiben, weil sie es per se mit Kriminellen verbinden.
Und wer gehört eigentlich zu dieser ominösen Netzgemeinde, von der nicht nur überregionale Zeitung wie „Süddeutsche“ oder „Handelsblatt“ schreiben, als hätten wir einst mit Abschluss unseres Internetvertrages zugestimmt, gemeinsam mit über einer Milliarde Nutzer weltweit in eine Glaubensgemeinschaft eingegliedert zu werden?
Das Internet als Hort des Bösen
Bei der Netzgemeinde mag man noch schmunzeln. Aber was ist mit Wortschöpfungen wie dem Internettäter, der vor zwei Jahren im Zusammenhang mit der RTL2-Sendung „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ auftauchte und seinerzeit vor allem von der „Bild“-Zeitung dankbar aufgegriffen wurde? Er erzeugte ein schiefes Bild: „Diese und ähnliche Begriffe erwecken den Eindruck, als ginge es dabei um eine neue Form krimineller Handlungen, die durch das Medium des Internets ermöglicht werden“, erklärt Prof. Dr. Elize Bisanz, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Lüneburg.
Als Internettäter bezeichnete beispielsweise die damalige Ministergattin Stephanie zu Guttenberg Pädokriminelle, die sich ihre Opfer (unter anderem) online suchen. Wegen der reißerischen Art ihrer Sendung blieb sie nicht ungescholten. Doch im Gedächtnis bleibt, neben ihrem flammenden Plädoyer für die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen, auch die Anklage des Internets, das zum Mitschuldigen bei sich anbahnenden Verbrechen auserkoren wurde. Und: Der Begriff verschwand nach dem Sendungsende nicht, auch wenn er glücklicherweise nicht die Schlagkraft der Datenkrake entwickelte.
Solche Fälle, in denen das Internet zwar genau genommen nur ein mögliches Instrument ist, aber wie der Verursacher für verschiedene Delikte dargestellt wird, sind zahlreich. Ein eindrucksvolles Beispiel: die Cyber-/Netz-/Online-/Internet-/Webkriminalität, die sich Woche um Woche auf den Seiten großer Tageszeitungen sowie in Online-Publikationen findet. Eine Stichprobe in einem Medienarchiv zu diesen und weiteren Begriffen lässt vor allem den Schluss zu, dass Journalisten gern Schubladendenken kommunizieren – ohne zu erklären, was denn in dieser neuartigen Schublade eigentlich drin ist.
Wie kann es zum Beispiel sein, dass Zeitungen die jüngste BKA-Statistik über den „Schaden durch Internet-Kriminalität„ aufgreifen – ohne dass die Definition geklärt wurde? Was fällt unter diese Internet-Kriminalität eigentlich? Dazu zählen kriminelle Hacker, die sich Zugang zu geschützten Accounts verschaffen oder mittels Spionagesoftware ganze Konten leer räumen (können). Aber: Ist jemand schon ein Cyberkrimineller, wenn seine Tat „im Internet geboren“ ist, wie es der Unionspolitiker Hans-Peter Uhl unter Spott vieler Onliner im Zusammenhang mit den Anschlägen von Norwegen nannte? Oder müssten Journalisten die abscheuliche Tat des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik, der für den Mord an fast 80 Menschen kürzlich zur Höchststrafe verurteilt wurde, in seiner Stereotypenkommode nicht vielmehr in einer Schublade für „Real-Life-Kriminalität“ ablegen? Ein Hin und Her, wie es sich um Hans-Peter Uhls Äußerung und das daraufhin geprägte Meme #iminternetgeboren ergab, wiederholt sich regelmäßig – zwischen jeweils anderen Vertretern der Politik mit alten Floskeln und anderen Gesichtern im Web mit gewohnter Häme. Zuletzt veröffentliche das „Handelsblatt“ etwa die Kampfansage eines Politikers an die Netzgemeinde – die gelassener hätte reagieren sollen.
Klischees im Praxistest
Seien wir mal ehrlich: Die Gesellschaft hat aus den unterschiedlichsten Gründen zu einem immer noch erheblichen Anteil keinen blassen Schimmer, wie kompliziert und banal gleichermaßen das Internet eigentlich ist. Wir haben uns unter online- wie offline-affinen Personen umgehört. Das Resultat: Die Datenkrake ruft sofort Assoziationen wie „Google“, „Facebook“ oder „Datenklau“ hervor. Bei Cybermobbing denken die meisten, so sie denn etwas mit dem Begriff Mobbing generell anfangen können, an soziale Netzwerke. Der Kunstbegriff verschleiert das eigentliche Problem: Mobbing bleibt Mobbing, egal welches Medium genutzt wird. Und auch der Internetaktivist erweist sich in der nicht repräsentativen Kurzumfrage als äußerst irreführend. Wenn überhaupt, wurden die Befragten in Artikeln über WikiLeaks damit konfrontiert. Julian Assange, der Gründer des Whistleblower-Portals, war 2011 so oft in den Schlagzeilen, dass er zur Vorzeigefigur des Internetaktivismus und untrennbar mit dem Begriff verbunden wurde.
Markus Beckedahl, der vor allem durch das netzpolitische Blog Netzpolitik.org und den Lobbyverein Digitale Gesellschaft bekannt ist, sagt, er habe sich „mittlerweile daran gewöhnt“, dass für ihn der Internetaktivist quasi als Berufsbezeichnung geführt wird. „Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass ich schwer mit einem Titel zu beschreiben bin“, verteidigt er die Wortwahl. Und doch schließt er mit: „Wenn Ihr was Besseres findet, lasst es mich wissen!“
Gefahr für die aufgeklärte Gesellschaft
Ungeachtet der schwierigen und für Unternehmen wie Google oder Facebook nicht gerade schmeichelhaften Deutungen hat etwa die Datenkrake natürlich einen ernsten Hintergrund. Nur wird dieser durch falsch inszenierte Begrifflichkeiten gerne verschleiert. Kommunikationswissenschaftlerin Bisanz warnt vor den Konsequenzen, die „immer negativ für eine aufgeklärte Gesellschaft“ seien. Anstatt auf die eigentliche Gefahr hinzuweisen, werde – wie etwa im Fall des Internettäters – „ein Typus erfunden, der den Eindruck erweckt, allein durch das Fernbleiben vom Internet Kriminalität verhindern zu können“. Natürlich darf man die Themen, um die es geht, deswegen nicht bagatellisieren. Das Internet ist ein nützliches Instrument für Pädokriminelle ebenso wie für Wirtschaftskriminelle oder datensammelnde Staaten und Unternehmen.
Deshalb müssen wir dringend über die eigentlichen Themen reden, anstatt Klischees zu produzieren! Medien müssen für die tatsächlichen Gefahren sensibilisieren, ohne dabei das Gespür für die Macht ihrer Worte zu verlieren, wie es gelegentlich der Fall zu sein scheint.
Besser ein Text, in dem drei Mal hintereinander „Facebook“ oder „das Unternehmen“ vorkommt, als einer, in dem Datenkrake steht, bloß weil ein Synonym gesucht wurde. „Die Datenkrake bringt ein neues Produkt auf den Markt“ – das sei ein Kontext, „der den Leser, ob er will oder nicht, beeinflusst“, bedauert Stefan Keuchel, Pressesprecher Google. Denn eine Datenkrake werde nun mal „eher als etwas Negatives wahrgenommen“. Das Unternehmen geht deswegen gerne in die Offensive, was die Wortwahl von Journalisten angeht: „Wenn Journalisten den Begriff Datenkrake in einem Artikel verwenden, nehmen wir häufig Kontakt zu dem entsprechenden Redakteur auf, um mit ihm darüber zu sprechen und Hintergrund zum Thema Datenschutz anzubieten“, erzählt Keuchel. „Das hilft in den meisten Fällen. Redakteure, die man direkt darauf anspricht, verwenden den Begriff in der Regel anschließend nicht mehr.“
Doch die Verbindung Google/Datenkrake lässt sich nicht mehr so leicht tilgen. Nur: Wenn schon mit diesem Begriff gearbeitet wird, dann doch bitte, weil es im Text auch konkret ums Thema Datensammeln geht. Im Fall von Google etwa darf man keinesfalls kleinreden, wie bedenklich das enorme Wissen ist, dass der Konzern aus den Daten generiert, die wir ihm aus freien Stücken überlassen. Gerade unbedarfte Nutzer, denen die Funktionsweise von Internetunternehmen fremd ist, müssen über das Pro und Contra des Veröffentlichens ihrer Daten in sozialen Netzen oder der Nutzung von Cloud-Diensten immer wieder aufgeklärt werden. Umso mehr ein Grund, das eigentliche Problem nicht mit Kunstausdrücken zu verschleiern.
Ausgrenzung
Sprache ist es auch, die den Dauerclinch zwischen online-affiner Bevölkerung und politischer Öffentlichkeit mitverschuldet. Die Kluft zwischen Online- und Offline-Welt, wird vergrößert von denen, die die Gesetzmäßigkeiten des Netzes beherrschen und sich erhaben über diejenigen fühlen, denen die Regeln noch fremd sind. Internetausdrucker ist ihr liebstes Schimpfwort – ein lustiger Begriff, könnte man meinen, der jedoch klar eine Diffamierung impliziert. Wer das Internet nicht annimmt, wird so gerne in die Schublade der Fortschrittverweigerers gesteckt. Die Schublade wird abgeschlossen und erst wieder geöffnet, um den nächsten vermeintlich profanen Anti-Netz-Wortschwall hineinzuschieben.
So wie die Datenkrake von der einen Seite oft unbewusst genutzt wird, um die andere zu diskreditieren, wirft diese mit Begriffen um sich, die letztlich dasselbe tun: Das Gegenteil eines Digital Native wird als digital naiv tituliert, Neueinsteiger werden despektierlich Noob – oder eher: N00b – genannt und wer eine Zeitung statt Flipboard auf dem iPad liest, ist Holzmedienleser. Wir merken es oft erst am Stirnrunzeln des Gegenübers, wenn sich unsere Sprache mit Internet-Fachchinesisch wie bashen, faven, hachen oder trollen mischt – Begriffe, die dem überwiegenden Teil der Bevölkerung so fremd vorkommen müssen wie uns die wissenschaftlichen Erläuterungen von Sheldon Cooper in der Nerd-Serie „The Big Bang Theory“. Und wenn dann noch Vorsatz dahinter steckt, ist die Kluft kaum mehr zu überwinden.
Die Erfindung des World Wide Web und das Aufkommen moderner Kommunikationswege wie Facebook hat die Wertemuster in unserer Gesellschaft verändert – und diese Wertemuster werden durch Codes vermittelt, wie die Sprache eines ist. Klar, dass diese neue Symbolik nicht über Nacht in den allgemeinen Sprachschatz aufgenommen wird. Wenn stattdessen Begriffe Einzug halten, die für die eine oder andere Seite Partei ergreifen, werden sich online-affine und nicht so online-affine Menschen nur noch weiter voneinander entfernen.
Streng genommen gehören übrigens auch Begriffe wie Onliner und Offliner, Digitale und Analoge oder die Rede von verschiedenen Seiten und Parteien als Kategorisierung von Menschen auf unsere schwarze Liste. Und solche finden sich auch in diesem Text zuhauf. Sprache ist halt nicht nur eine Waffe, wie Kurt Tucholsky sagte, sondern manchmal auch verdammt schwer zu kontrollieren.
Zu diesem Thema haben Sanja Stankovic und Carolin Neumann auf der Konferenz re:publica einen Vortrag gehalten, den Sie hier anschauen können. Der Text steht unter dieser CC-Lizenz.